Rz. 227
Da die Störung der Geistestätigkeit die (faktische) Ausnahme darstellt, ist ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen, auch wenn er unter Betreuung stand. Dem Gericht kommt eine eigenständige Beurteilung der Testier- und Geschäftsfähigkeit zu, auch wenn im Betreuungsverfahren ein Sachverständiger zum Ergebnis gekommen ist, Geschäftsunfähigkeit sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. An den Beweis einer Testierunfähigkeit sind im Interesse der Rechtssicherheit besonders hohe Anforderungen zu stellen. Vollständig bewiesen werden muss insbesondere der Ausschluss der freien Willensbildung, wobei das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit keine tatsächliche Vermutung für einen derartigen Ausschluss begründet. Dies gilt auch für Personen, für die eine Betreuung angeordnet wurde. Ein im Betreuungsverfahren eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten stellt dann keine tragfähige Entscheidungsgrundlage dar, wenn nicht nur unerhebliche Zweifel an der Testierfähigkeit bestehen.
Der Testator ist so lange als testierfähig anzusehen, wie nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist.
Rz. 228
Bei der Feststellung der Testierunfähigkeit kann u.U. ein Anscheinsbeweis in Betracht kommen, wenn die Testierunfähigkeit vor und nach der Testamentserrichtung festgestellt wurde. Die ernsthafte Möglichkeit eines lucidum intervallum, während dessen das Testament errichtet worden sein soll, reicht zur Erschütterung des ersten Anscheins der uneingeschränkten Testierfähigkeit aus. Für den Beweis des ersten Anscheins genügt es, wenn es gelingt, Umstände vorzutragen, die um den Zeitpunkt der Errichtung des Testaments liegen. Wer sich in einem solchen Fall auf lichte Momente beruft, hat dafür die Beweislast.
Eine Auskunftspflicht unter Miterben über Umstände, die die Testierunfähigkeit begründen könnten, besteht nicht.
Rz. 229
Hinweis
Die Beweislast für Testierunfähigkeit trifft im Rechtsstreit denjenigen, der sie behauptet.
Rz. 230
Das Kammergericht führt in seinem Beschl. v. 7.9.1999 aus:
Zitat
1. Der Erblasser ist so lange als testierfähig anzusehen, als nicht seine Testierunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichtes nachgewiesen worden ist. Die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit hat derjenige zu tragen, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments wegen Testierunfähigkeit des Erblassers beruft.
2. Kommt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass die durch Zeugen oder andere Beweismittel feststellbaren Tatsachen nicht ausreichen können, um den Ausnahmefall der Testierunfähigkeit des Erblassers mit Hilfe eines Sachverständigen zu begründen, darf es davon absehen, ein Gutachten erstatten zu lassen.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung eines Testaments testierunfähig war, kommt der Aussage des Hausarztes des Erblassers und des beurkundenden Notars erhöhte Bedeutung zu. …
Rz. 231
Grundsätzlich muss die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments festgestellt werden. Dies kann aber zu Schwierigkeiten führen, wenn der Errichtungszeitpunkt nicht mehr festgestellt werden kann.
Rz. 232
Lebzeitige Feststellungen zum Geisteszustand des späteren Erblassers können u.U. in einem selbstständigen Beweisverfahren getroffen werden.
Feststellung der Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit des Erblassers im selbstständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) ist möglich, wenn der Erblasser dies selber beantragt. Ob ein entsprechender Antrag potenzieller Erben zulässig ist, ist zweifelhaft. Jedenfalls gibt es keine gesetzliche Verpflichtung für den Erblasser, sich untersuchen zu lassen, d.h. er müsste freiwillig dazu bereit sein.
Im selbstständigen Beweisverfahren kann die Einholung eines Gutachtens zum Gesundheitszustand eines älteren Menschen in Betracht kommen. Der Umstand, dass der Erblasser noch lebt, steht der Einholung eines Gutachtens im selbstständigen Beweisverfahren zu den Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit nicht entgegen, wenn das Gutachten der Vermeidung eines späteren Rechtsstreits dienen kann. Ein rechtliches Interesse i.S.v. § 485 Abs. 2 ZPO kommt allerdings nicht in Betracht, wenn der Erblasser nicht bereit ist, an einer medizinischen Untersuchung mitzuwirken, und wenn außerdem keine erheblichen anderen Anknüpfungstatsachen für das Gutachten eines Sachverständigen ersichtlich sind.“
Das OLG Köln hat mit Urt. v. 13.12.1929 ein Rechtsschutzinteresse des potenziellen gesetzlichen Erben auf Klärung der Testierfähigkeit des Erblassers verneint. Der Bruder einer Testatorin, der dieser Unterhalt gewährte, erhob eine Feststellungsklage und wollte damit klären lassen, ob ein von der Testatorin errichtetes Testament rechtswirksam sei, weil erhebliche Zweifel an deren Geschäftsfähigkeit bestanden. Das OLG Köln hat ein Feststellungsinteresse verneint, weil zu Lebzeiten zwischen ihm und der Schwester kein erbrechtliches R...