Rz. 58
Allerdings benötigt der Richter als Schlüssigkeitsvoraussetzung (OLG München zfs 1986, 175) für eine Schmerzensgeldklage jedenfalls Angaben zu den Vorstellungen des Geschädigten über die Größenordnung des Schmerzensgeldes. Es müssen also in jedem Falle in der Klagebegründung dem Gericht ein Mindest- oder Ungefährbetrag und zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung genannt werden (BGH NJW 1984, 1807 ff.; BGH zfs 1996, 290; BGH zfs 2003, 14 ff.; dazu auch v. Gerlach, VersR 2000, 525 ff.).
Rz. 59
Bei der Festsetzung des vom Geschädigten als angemessen bezeichneten Schmerzensgeldes sind dem Tatrichter im Rahmen des § 308 ZPO durch die Angabe eines Mindestbetrages nach oben keine Grenzen gesetzt (BGH zfs 1996, 290). Das Gericht ist also nicht an die Vorstellungen des Klägers gebunden, solange er keine Obergrenze angibt. Es hat die Möglichkeit, auch ein höheres Schmerzensgeld zuzusprechen, als sich der Geschädigte vorgestellt hat. Andererseits trägt der Kläger kein Prozessrisiko, wenn das Gericht lediglich die Mindestforderung zuspricht, sondern nur dann, wenn das Gericht sie unterschreitet.
Rz. 60
Tipp
Der Klageantrag lautet daher z.B.: "… die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen"; oder: "…, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ein über bereits gezahlte 10.000 EUR hinausgehendes weiteres, in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen."
Rz. 61
Es ist nicht zwingend notwendig, eine Mindestvorstellung im Klageantrag selbst zu nennen. Es wird durchaus die Meinung vertreten, das sei sogar schädlich, weil damit eine Bindung hinsichtlich des Gegenstandswertes eintrete, die ja gerade nicht gewünscht werde. Dies folge aus dem Urteil des BGH v. 30.4.1996 (VersR 1996, 990). Diese Schlussfolgerung ist aber falsch.
Rz. 62
Im Gegenteil: Gerade um sich die Möglichkeit eines Rechtsmittels zu erhalten, ist dem Anwalt dringend anzuraten, weiterhin die Größenordnung so präzise wie möglich anzugeben. Deshalb sollte nicht so sehr die – ungefähre – Größenordnung, sondern besser – weil präziser – der Mindestbetrag genannt werden (Hacks/Wellner/Häcker, 38. Auflage, S. 28). In der Praxis wird ohnehin regelmäßig durch das Gericht der Gegenstandswert entsprechend den Angaben des Klägers festgesetzt unabhängig davon, ob ein Mindestbetrag oder eine Größenordnung im Antrag oder in der Klagebegründung genannt wird.
Rz. 63
Im Rahmen des Bestimmtheitsgebotes gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es daher erforderlich, eine möglichst genaue Betragsvorstellung anzugeben, wenn der Kläger sich die Möglichkeit offenhalten will, ein Rechtsmittel einzulegen. Benennt er nur eine Größenordnung, ohne deutlich zu machen, dass es sich dabei um einen Mindestbetrag handeln soll, dann ist er durch ein Urteil nicht beschwert, mit dem ihm gerade dieser Betrag zugesprochen wurde, und er kann das Urteil nicht mit dem alleinigen Ziel anfechten, ein höheres Schmerzensgeld zu erhalten (BGH zfs 1999, 192; BGH zfs 2004, 354).
Rz. 64
Der Kläger, der ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe eines Mindestbetrages begehrt hat, ist aber nicht beschwert, wenn das Gericht ihm diesen Betrag zugesprochen, aber abweichend von seiner Auffassung ein Mitverschulden bejaht hat (BGH zfs 2002, 69 = DAR 2002, 33).
Rz. 65
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Geschädigte wegen zunächst aus sachverständiger Sicht nicht erkennbar eingetretener Verletzungsfolgen ein weiteres Schmerzensgeld fordert. Das ist nicht ausgeschlossen, weil diese Bemessungstatsache nicht zum Streitgegenstand der ersten Schmerzensgeldklage gehören konnte (BGH VersR 1988, 929 ff.; BGH VersR 1995, 471 f.). Besser ist es also, wenn der Geschädigte einen höheren Betrag sofort verlangt, was aber wegen des höheren Prozesskostenrisikos problematisch sein kann. Es kann daher empfehlenswert sein, bei der Erhebung der Schmerzensgeldklage deutlich zu machen, dass nur ein Teil des dem Geschädigten nach seiner Meinung zustehenden Schmerzensgeldes geltend gemacht werde (Diehl, Anm. zu BGH zfs 2004, 354 f. mit Hinweis auf Lepa, VersR 2001, 265 ff.).
Rz. 66
Es ist also höchste Vorsicht bei der Formulierung des Klageantrages geboten. In der vorgenannten Entscheidung des BGH (zfs 1999, 192) hatte der Antrag – vermeintlich völlig korrekt – wie folgt gelautet: "Der Kläger begehrt ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM. Er beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird."
Rz. 67
Das Gericht sprach diese 40.000 DM zu und der BGH lehnte das Rechtsmittel mangels Beschwer mit der Begründung ab, dass derjenige Kläger, der sich die Möglichkeit eines Rechtsmittels offen halten will, den Betrag nennen muss, den er auf jeden Fall zugesprochen haben will und bei dessen Unters...