Rz. 25
Während eines rechtmäßigen Streiks ist die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer suspendiert. Da sie keine Arbeitsleistung erbringen müssen, ist ihre Arbeitsniederlegung nicht arbeitsvertragswidrig.
a) Abmahnung und Kündigung wegen des Arbeitskampfs
Rz. 26
Dem bestreikten Arbeitgeber ist es deshalb nicht möglich, aus der rechtmäßigen Arbeitsverweigerung Konsequenzen zu ziehen. Eine Abmahnung scheitert daher ebenso wie eine Kündigung, die auf dem Arbeitskampf basiert. Im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes folgt dies für die ordentliche Kündigung bereits aus § 1 KSchG, da den Streikteilnehmern kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Aber auch dem nicht kündigungsgeschützten Arbeitnehmer kann nicht rechtswirksam ordentlich gekündigt werden, da er nach § 612a BGB nicht für die berechtigte Wahrnehmung eigener Rechte im Arbeitsverhältnis, d.h. die Streikteilnahme, benachteiligt werden darf. Die fristlose Kündigung nach § 626 BGB scheitert ebenfalls, weil kein Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegt.
b) Kündigung aus anderen Gründen als dem Arbeitskampf
Rz. 27
Der Arbeitgeber ist allerdings berechtigt, seine Arbeitnehmer aus anderen Gründen als der Arbeitsverweigerung abzumahnen oder zu kündigen.
Rz. 28
Beispiel
Der Arbeitnehmer will nach einem gewerkschaftlichen Aufruf an einem – rechtmäßigen – Warnstreik teilnehmen. Entgegen den betrieblichen Gepflogenheiten stempelt er nicht aus, als er seinen Arbeitsplatz für die Streikteilnahme verlässt. Der Arbeitgeber ist in dieser Situation berechtigt, den Arbeitnehmer wegen des Fehlverhaltens abzumahnen. Zum einen handelt es sich um eine vertragliche Nebenpflicht, die nicht von der suspendierenden Wirkung eines Streiks erfasst wird. Zum anderen tritt die Suspensionswirkung erst mit der Teilnahme am Streik ein. Das Ausstempeln liegt jedoch zeitlich davor.
Rz. 29
Da die vertraglichen Nebenpflichten nicht suspendiert werden, können auch Verstöße gegen Wettbewerbsverbote, etc. arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Da also alle Umstände, die ihre Ursache nicht in der Streikteilnahme bzw. Suspendierung haben, als tragfähige Kündigungsgründe in Betracht kommen, ist der Arbeitgeber auch berechtigt, dem Arbeitnehmer gegebenenfalls betriebs- oder personenbedingt oder (außerordentlich) verhaltensbedingt zu kündigen.
c) Beteiligungsrechte des Betriebsrats
Rz. 30
Die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bleiben während des Arbeitskampfes grundsätzlich unverändert bestehen. Deshalb bedarf die Kündigung eines Arbeitnehmers im Regelfall weiterhin des Verfahrens nach § 102 BetrVG bzw. § 103 BetrVG. Dies ist Folge des § 74 Abs. 2 BetrVG, der die Neutralitätspflicht des Betriebsrats (jedenfalls der Mandatsausübung) in Bezug auf Arbeitskämpfe regelt.
Rz. 31
Die Rechtsprechung hat jedoch erkannt, dass den möglicherweise ebenfalls streikenden Betriebsräten mit den Beteiligungsrechten ein weiteres Druckinstrument gegen den Arbeitgeber zur Verfügung steht, um die Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen. Da dies zu einer erheblichen Belastung des bestreikten Arbeitgebers bzw. einer Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit (bspw. bei der Anordnung von Mehrarbeit für die nicht streikenden Arbeitnehmer über § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) führen kann, entfallen die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats für Maßnahmen, die arbeitskampfrelevant oder -bedingt sind und mit denen der Arbeitgeber arbeitskampfbezogen tätig wird oder reagiert. Dadurch unterfällt bspw. die Kündigung wegen Streikexzesses (also einer unverhältnismäßigen Streikmaßnahme) nicht der Mitbestimmung nach §§ 102, 103 BetrVG. Dasselbe gilt bei einer arbeitskampfbedingten Versetzung arbeitswilliger Arbeitnehmer in einen bestreikten Betrieb. Ob Notdienstmaßnahmen der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen, ist im Übrigen streitig.