Mündliche Verhandlung ist vorgeschrieben

Auch in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen nach Betragsrahmen abzurechnen ist, kommt eine fiktive Terminsgebühr (Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV) bei Abschluss eines Vergleichs in Betracht, da auch hier eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (§ 124 Abs. 1 SGG).

Unstrittig ist, dass eine Terminsgebühr nach Anm. S. 1 Nr. 1 zu 3106 VV anfällt, wenn die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht annehmen (Fall des § 101 Abs. 2 S. 1 SGG).

 

Beispiel 5

Im gerichtlichen Verfahren erlässt das Gericht einen Beschluss, in dem es einen Vergleich vorschlägt, den beide Parteien annehmen. Zu einem gerichtlichen Termin kommt es daher nicht mehr. Außergerichtliche Besprechungen hatten nicht stattgefunden.

Der Anwalt erhält nach Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV neben der Verfahrens- und der Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr. Die Höhe der Terminsgebühr beläuft sich auf 90 % der Verfahrensgebühr (Anm. S. 2 zu Nr. 3106 VV). Die Einigungsgebühr beläuft sich auf die Höhe der Verfahrensgebühr (Nr. 1006 VV).

 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV   300,00 EUR
2. Terminsgebühr, Nr. 3106 VV   270,00 EUR
3. Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1006 VV   300,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 890,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   169,10 EUR
Gesamt 1.059,10 EUR

Streitfrage: § 278 Abs. 6 ZPO

Umstritten ist, ob auch ein nach § 202 Abs. 1 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich festgestellter Vergleich ausreicht, um die Terminsgebühr nach Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV auszulösen. Die überwiegende Auffassung bejaht dies (Bayerisches LSG JurBüro 2015, 467; LSG Niedersachsen-Bremen AGS 2016, 69 = ASR 2015, 253 = RVGreport 2015, 461; LSG Nordrhein-Westfalen NZS 2015, 560). Zum Teil wird die Anwendung jedoch auch abgelehnt (Bayerisches LSG AGS 2017, 114 = LSG DAR 2017, 117 = ASR 2017, 121). Zutreffend ist es, die Terminsgebühr zu gewähren.

 

Beispiel 6

Im gerichtlichen Verfahren bitten die Parteien das Zustandekommen eines zwischen ihnen geschlossenen Vergleichs gem. § 202 Abs. 1 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich festzustellen. Das Gericht erlässt daraufhin einen entsprechenden Beschluss.

Der Anwalt erhält nach zutreffender Ansicht auch in diesem Fall nach Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV neben der Verfahrens- und der Einigungsgebühr eine Terminsgebühr. Abzurechnen ist wie in Beispiel 5.

Streitfrage bei einfach schriftlichem Vergleich

Nach der überwiegenden sozialgerichtlichen Rspr. soll die Terminsgebühr bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs dann nicht anfallen, wenn das Zustandekommen des Vergleichs weder nach § 101 Abs. 1 S. 2 SGG noch nach § 202 Abs. 1 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt worden ist (LSG Niedersachsen-Bremen AGS 2016, 69 = ASR 2015, 253 = RVGreport 2015, 461; Bayerisches LSG JurBüro 2015, 467 = RVGreport 2015, 342; AGS 2017, 114 = LSG DAR 2017, 117 = ASR 2017, 121; LSG Nordrhein-Westfalen NZS 2015, 560; Beschl. v. 5. 1. 2015 – L 19 AS 1350/14 B; SG Osnabrück AGS 2017, 219). Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend. Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Das Gesetz fordert lediglich einen schriftlichen Vergleich. Was ein Vergleich ist, ergibt sich aus § 779 BGB. Was unter Schriftlichkeit zu verstehen ist, ergibt sich wiederum aus § 126 BGB. Was soll angesichts dieser eindeutigen Rechtslage noch auszulegen sein? Dem Gesetzgeber kann doch wohl nicht unterstellt werden, dass er im Rahmen des RVG von seinen eigenen gesetzlichen Definitionen abweichen wollte. Gegen diese Auffassung spricht auch, dass dem Gesetzgeber des RVG durchaus der Unterschied zwischen einem schriftlichen Vergleich und einem gerichtlich festgestellten Vergleich bekannt war. Liest man nämlich einmal die Vorschrift der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV, nach der der Anwalt bei Protokollierung eines Vergleichs über nicht anhängige Gegenstände eine Verfahrensdifferenzgebühr erhält, so wird man feststellen, dass dort ausdrücklich ein gerichtlich festgestellter Vergleich gefordert wird. Der Gesetzgeber hat also sehr genau unterschieden, wann er einen schriftlichen Vergleich ausreichen lässt und wann der Vergleich gerichtlich festgestellt sein muss. In der Zivilgerichtsbarkeit ist i.Ü. schon lange geklärt, dass ein privatschriftlicher Vergleich ausreicht (s. AGS 2018, S. 100). Zutreffend ist es daher, jeglichen schriftlichen Vergleich ausreichend sein zu lassen.

 

Fiktive Terminsgebühr bei schriftlichem Vergleich

Eine fiktive Terminsgebühr nach Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV fällt auch bei einem schriftlichen sogenannten außergerichtlichen Vergleich an.

LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 14.3. 2018 – L 13 SB 1/17 B, AGS 2018, 172 = NJW-Spezial 2018, 316 = RVGprof. 2018, 116 = ASR 2018, 144; ebenso SG Neuruppin AGS 2016, 569 = NJW-Spezial 2016, 763; SG Dessau-Roßlau AGS 2017, 220 = NJW-Spezial 2017, 445

Allein dies entspricht auch dem Zweck dieser Vorschrift...

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