I. Fragen
1. Fall 1
Dem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Beklagten ist in einer Zivilsache die Klageschrift am 1.9. zugestellt worden. Der von dem Beklagten am 10.9. mit der Vertretung in diesem Rechtsstreit beauftragte Rechtsanwalt B fertigt am 11.9. einen Schriftsatz, mit dem er sich für den Beklagten zum Prozessbevollmächtigten bestellt und ankündigt, in dem anberaumten Verhandlungstermin einen Antrag auf Abweisung der Klage stellen zu wollen. Weitere Ausführungen zur Klage enthält der Schriftsatz nicht. Der Schriftsatz vom 11.9. wird von einer Mitarbeiterin des Rechtsanwalts B ordnungsgemäß frankiert und noch am Abend des 11.9. in den Postbriefkasten geworfen. Ausweislich des Eingangsstempels geht der Schriftsatz dann am 14.9. bei dem Prozessgericht ein. Mit dem am 12.9. beim Prozessgericht in den Vormittagsstunden eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage hat der Kläger seine Klage zurückgenommen. Von der Klagerücknahme erhält der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter erst durch die gerichtliche Mitteilung vom 20.9. Kenntnis.
Welche außergerichtlichen Kosten kann der Beklagte aufgrund des zu seinen Gunsten ergangenen Kostenbeschlusses von dem Kläger erstattet verlangen?
2. Fall 2
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des zuständigen Amtsgerichts hat den Antrag des dem Kläger im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalts A auf Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zustehenden PKH-Anwaltsvergütung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht (Amtsrichter) ebenfalls zurückgewiesen. In der dieser Entscheidung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es, dass die Beschwerde binnen Monatsfrist eingelegt werden kann. Rechtsanwalt A legt seine Beschwerde bereits nach drei Wochen ein.
Ist diese Beschwerde zulässig?
II. Lösungen
1. Lösung zu Fall 1
Problematisch ist hier lediglich die Verfahrensgebühr. Die anwaltlichen Auslagen wie die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV oder die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV sind hingegen unproblematisch entstanden.
I. Anfall der Verfahrensgebühr
Die Verfahrensgebühr entsteht nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Mit welchem Gebührensatz die Verfahrensgebühr anfällt, ergibt sich aus der einschlägigen Regelung in Teil 3 VV. Für die Vertretung des Beklagten in einem Zivilprozess bestimmt sich die Verfahrensgebühr nach den Nrn. 3100, 3101 VV.
Nach Nr. 3100 VV fällt die Verfahrensgebühr mit einem Gebührensatz von 1,3 an. Dies setzt allerdings voraus, dass keiner der in Nr. 3101 Nr. 1 VV aufgeführten Ermäßigungstatbestände erfüllt ist, wonach die Verfahrensgebühr nur mit einem Gebührensatz von 0,8 entsteht. Somit fällt die unverminderte 1,3-Verfahrensgebühr dann an, wenn der Rechtsanwalt eine oder auch mehrere der in Nr. 3101 Nr. 1 VV aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt hat.
Vorliegend kommt es mangels Sachvortrags in dem Schriftsatz vom 11.9. für den Anfall der unverminderten Verfahrensgebühr allein darauf an, ob Rechtsanwalt B einen Schriftsatz mit einem Sachantrag eingereicht hat.
1. Sachantrag
Nach allgemeiner Auffassung in der Rspr. ist auch ein – wie hier – lediglich angekündigter Sachantrag, nämlich die Ankündigung, im Verhandlungstermin einen Antrag auf Abweisung der Klage stellen zu wollen, ein die volle Verfahrensgebühr auslösender Sachantrag i.S.d. Nr. 3101 Nr. 1 VV.
2. Eingereicht
Rechtsanwalt B hat den Schriftsatz vom 11.9. auch i.S.d. Gebührenrechts eingereicht, bevor der Auftrag des Mandanten durch Klagerücknahme geendigt ist. Zwar ist der Schriftsatz des Rechtsanwalts B erst zwei Tage später bei Gericht eingegangen als die Klagerücknahme. Jedoch hat Rechtsanwalt B den Tatbestand der Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV bereits zu dem Zeitpunkt ausgelöst, als er den Schriftsatz vom 11.9. am Abend dieses Tages in den Postbriefkasten hat einwerfen lassen. Damit hat er nämlich diesen Schriftsatz so auf den Weg gebracht, dass sein Zugang ausschließlich von der Tätigkeit der Postbediensteten abhängig war.
II. Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr
Vom Anfall der vollen Verfahrensgebühr zu unterscheiden ist deren Erstattungsfähigkeit im Kostenfestsetzungsverfahren. Diese richtet sich nach § 91 ZPO. Der die volle Verfahrensgebühr auslösende Schriftsatz vom 11.9. ist zwar erst am 14.9. und damit zu einem Zeitpunkt bei Gericht eingegangen, als die Klagerücknahme mit Eingang bei Gericht am 12.9. bereits wirksam geworden ist. Somit war das Einreichen des die Ankündigung der Klageabweisung enthaltenen Schriftsatzes objektiv nicht (mehr) notwendig. Jedoch haben weder Rechtsanwalt B noch sein Mandant zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der bereits wirksamen Klagerücknahme gehabt. Hiervon hat Rechtsanwalt B erst aufgrund der gerichtlichen Mitteilung vom 20.9. Kenntnis erlangt. Für die Erstattungsfähigkeit kommt es jedoch auf die verobjektivierte Sicht des Erstattungsberechtigten an, sodass für die Erstattungsfähigkeit auch die Kenntnis oder Unkenntnis der erstattungsberechtigen Partei von den entsprechenden Umständen ankommt. Der III. ZS d...