I. Fragen
1. Fall 1
In dem beim LG Berlin anhängigen Rechtsstreit, in dem der Kläger die Zahlung einer Werklohnforderung i.H.v. 20.000 EUR zzgl. Verzugszinsen geltend macht, hat der durch seinen im Januar 2021 beauftragten Rechtsanwalt vertretene Beklagte schriftsätzlich einen Klageabweisungsantrag ankündigen lassen. In der Klageerwiderungsschrift hat der Beklagte u.a. eingewandt, ein Teil der verfahrensgegenständlichen Arbeiten des Klägers sei mangelhaft. Vor dem angesetzten Verhandlungstermin verhandeln die Prozessbevollmächtigten beider Parteien telefonisch über die einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits. Die Anwälte einigen sich schließlich daraufhin, dass der Kläger näher bezeichnete Mängel beseitigt, der Beklagte die restliche Klageforderung ohne Verzugszinsen zahlt, der Kläger seine Klage wieder zurücknimmt und die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben werden. Diese Vereinbarung wird umgesetzt, der Kläger nimmt vereinbarungsgemäß seine Klage zurück. Das LG Berlin hebt den angesetzten Verhandlungstermin wieder auf.
Welche Vergütung kann der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seinem Mandanten berechnen? Wie ist abzurechnen, wenn sich die Prozessbevollmächtigten der Parteien telefonisch mit demselben Inhalt wie im Ausgangsfall geeinigt haben, dass die Parteien nach Behebung der Mängel und Zahlung der Hauptforderung den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklären?
2. Fall 2
Das LG Hamburg hat dem in Berlin ansässigen Beklagten den Berliner Rechtsanwalt B im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet. Da Rechtsanwalt B von seinem Mandanten keine hinreichenden Informationen über die dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen erhalten hat, beantragt er beim LG Hamburg, ihm die Gerichtsakten in seine Kanzlei nach Berlin zu übersenden. Dem kommt das Gericht nach.
Welche kostenrechtlichen Überlegungen sollte Rechtsanwalt B im Hinblick auf die Aktenübersendung anstellen?
II. Lösungen
1. Lösung zu Fall 1 – Ausgangsfall
I. Anwendbares Recht
Maßgeblich für die Berechnung der Anwaltsvergütung des Beklagtenvertreters ist die am 1.1.2021 in Kraft getretene Fassung des RVG, da der Beklagte seinen Prozessbevollmächtigten nach Inkrafttreten des KostRÄG 2021 mit der Prozessvertretung beauftragt hat (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG).
II. Vergütung
1. Verfahrensgebühr
Für das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 3 Abs. 2 VV) ist dem Rechtsanwalt des Beklagten die Verfahrensgebühr angefallen. Da der Rechtsanwalt in seinem Klageerwiderungsschriftsatz einen Sachantrag angekündigt hat und der Schriftsatz Sachvortrag enthält, ist ihm nach Nr. 3101 Nr. 1 VV die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen. Diese beträgt nach einem Gegenstandswert von 20.000 EUR 1.068,60 EUR.
2. Terminsgebühr
Für die telefonische Besprechung zwischen den Anwälten mit dem Ziel der Erledigung des Rechtsstreits ist dem Beklagtenvertreter nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3104 VV die 1,2-Terminsgebühr i.H.v. 988,40 EUR angefallen.
3. Einigungsgebühr
Die Prozessbevollmächtigten der Parteien haben sich über die Erledigung des Rechtsstreits geeinigt und dabei ihren Streit über die gegenseitigen Pflichten aus dem Werkvertrag beseitigt. Für die Mitwirkung an dieser Einigung ist dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten – gleiches gilt für den Rechtsanwalt des Klägers – die 1,0-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV angefallen. Bei einem Gegenstandswert von 20.000 EUR beträgt die Einigungsgebühr 822,00 EUR.
4. Auslagen
Ferner kann der Beklagtenvertreter die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV mit 20,00 EUR und auf den Gesamtbetrag von 2.899,00 EUR 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV mit einem Betrag von 550,81 EUR abrechnen. Insgesamt steht dem Rechtsanwalt gegen den Beklagten eine Gesamtvergütung i.H.v. 3.449,81 EUR zu.
2. Lösung zu Fall 1 – Abwandlung
Für den Anfall und die Höhe der 1,3-Verfahrensgebühr und der 1,2-Terminsgebühr gelten die vorstehenden Ausführungen zum Ausgangsfall ebenso.
Hinsichtlich der 1,0-Einigungsgebühr ergeben sich hier folgende Besonderheiten. Die bloße Abgabe der Prozesserklärung, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, löst bei den Rechtsanwälten noch keine Einigungsgebühr aus. Vorliegend haben die Parteienvertreter jedoch die Hauptsache-Erledigungserklärungen aufgrund des zuvor geschlossenen Einigungsvertrags abgegeben, mit dem sie den Streit über die gegenseitigen Verpflichtungen der Parteien aus dem Werkvertrag beseitigt haben.
In der Abwandlung fallen somit dieselben Gebühren und Auslagen an wie im Ausgangsfall.
3. Lösung zu Fall 2
I. Anfall der Aktenversendungspauschale
Für die auf Antrag von Rechtsanwalt B erfolgte Versendung der Prozessakten ist nach Nr. 9003 GKG KV die dort geregelte Pauschale i.H.v. 12 EUR angefallen.
II. Kostenschuldner
Gem. § 28 Abs. 2 GKG schuldet die Aktenversendungspauschale nur derjenige, der die Versendung der Akte beantragt hat. Dies ist allein Rechtsanwalt B, auch wenn die Aktenübersendung im Interesse des Mandanten zwecks Einholung der Informationen erfolgt ist. Folglich gilt für die Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 GKG KV nicht di...