Nach Auffassung des LG kommen Zuschläge für die entstandenen Verfahrensgebühren gem. Nrn. 4101, 4113 und 4115 VV nicht in Betracht, weil sich die Angeklagte durch ihre Aufnahme im Zeugenschutzprogramm nicht unfreiwillig "nicht auf freiem Fuß" i.S.d. Vorbem. 4 Abs. 4 VV befunden habe.
Die Zuschläge gem. Vorbem. 4 Abs. 4 VV entstehen – so das LG – ausschließlich dann, wenn sich der Angeklagte nicht "auf freiem Fuß" befinde. Der Haftzuschlag werde unabhängig von konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts etwa dann gewährt, wenn sich der Angeklagte in Untersuchungshaft oder Strafhaft befinde, vorläufig untergebracht oder sich in einem anderen Verfahren in Unterbringung, Sicherungsverwahrung oder Zwangshaft nach §§ 888, 901 ZPO befinde. Entsprechendes gelte für Auslieferungs- oder Abschiebehaft, Polizeigewahrsam und auch, wenn sich der Mandant im offenen Vollzug befinde, nicht aber, wenn der Aufenthalt in einer stationären Therapieeinrichtung freiwillig erfolge (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., 2021, VV 4100 Rn 14, 15 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben sei der Zuschlag hier nicht festzusetzen. Eine Inhaftierung oder Unterbringung liege nicht vor. Die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm stelle sich auch nicht als vergleichbar i.S.d. Vorbem 4 Abs. 4 VV dar. Der Haftzuschlag beinhalte eine generelle, nicht auf den Einzelfall bezogene, zwingende Regelung, die ohne Ausnahmen oder Einschränkungen ihrer Anwendung gelte. Nach der Gesetzesbegründung gehe der Gesetzgeber davon aus, dass der Rechtsanwalt als Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten die jeweilige Gebühr mit Zuschlag erhalten solle, weil er gerade bei inhaftierten Mandanten einen erheblich größeren Zeitaufwand zu erbringen habe als für die Verteidigung nicht inhaftierter Mandanten. Dieser entstehe in der Regel allein schon durch die erschwerte Kontaktaufnahme mit dem in der Justizvollzugsanstalt einsitzenden Beschuldigten. Als gleich zu behandelnden Fall nenne die Gesetzesbegründung auch die Unterbringung des Mandanten, da eine solche Unterbringung für den Rechtsanwalt auch auf jeden Fall zu einem Mehraufwand führe (BT-Drucks 15/1971, 221). Daraus folge, dass es für die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag nicht darauf ankomme, ob im Einzelfall aufgrund der Inhaftierung Umstände gegeben seien, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts geführt haben. Aufgrund dieser typisierenden Betrachtung durch das Gesetz komme eine Anwendung auf sonstige Konstellationen nicht in Betracht, bei denen auch nach einer weiten Auslegung keine haft- oder unterbringungsähnliche Situation vorliege (d.h. freie Aufenthaltsbestimmung nicht aufgehoben oder eingeschränkt). Denn auch wenn im Einzelfall die Möglichkeit einer konkreten Erschwernis der Tätigkeit des Rechtsanwalts in anderen Konstellationen bestehen möge, fehle es jedenfalls an den von dem Gesetzgeber zugrunde gelegten Umständen, aus denen sich für den Gesetzgeber die unwiderlegliche Vermutung eines erheblich größeren Zeitaufwands ergebe.
Zwar verbiete sich eine Bewertung der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm als freiwillig, weil sie sich als Auflage im Rahmen der Außervollzugsetzung des Haftbefehls darstelle. Allerdings könne aus der Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm – anders als bei einer Inhaftierung oder unfreiwilligen Unterbringung – nicht zwangsläufig und typisch auf einen Mehraufwand für den Verteidiger geschlossen werden. Ob ein solcher Mehraufwand entstehe, obliege der konkreten Handhabung durch die Angeklagte. Diese sei in ihrer Bewegungsfreiheit durch die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm nicht vergleichbar einer Inhaftierung oder Unterbringung eingeschränkt.
Auch fehle es bei der Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm an den typischerweise mit einer Haft oder Unterbringung verbundenen zusätzlichen Arbeiten des Verteidigers, wie z.B. Haftbeschwerden, Beschwerden gegen die Unterbringung oder Einwänden gegen die Bedingungen der Untersuchungshaft bzw. der Unterbringung, welche ebenfalls durch die Zuschläge abgegolten werden sollen.