Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend, die Begründung ist hingegen nicht zutreffend. Auch i.Ü. ist dem LG zu widersprechen.
1. Abstellen auf den Einzelfall
M.E. ist es nicht zutreffend, wenn das LG hinsichtlich der dem Pflichtverteidiger zustehenden Gebühren auf die Umstände des Einzelfalls abstellt (so allerdings auch OLG Hamm RVGreport 2009, 309 = StRR 2009, 438). Das hatte hier für den (zusätzlichen) Pflichtverteidiger zwar keine Nachteile, da der Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten auf jeden Fall dazu führen musste, dass ihm nicht nur die Terminsgebühr Nr. 4108 VV, sondern auch Grundgebühr Nr. 4100 VV und Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV zu gewähren waren. In anderen Fällen, in denen der Umfang der erbrachten Tätigkeiten geringer ist, kann dieser Ansatz jedoch für den Pflichtverteidiger nachteilig sein.
Dieser Ansatz ist zudem auch falsch, denn der "zusätzliche" Pflichtverteidiger rechnet nach inzwischen wohl überwiegenden Meinung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV ab, sodass ihm die Grundgebühr Nr. 4100 VV, die jeweilige gerichtliche Verfahrensgebühr und die jeweilige gerichtliche Terminsgebühr zustehen. Denn er ist "vollständiger" Verteidiger des Angeklagten, da es eine Vertretung bei der Pflichtverteidigung nicht gibt. Zudem ist eine isolierte gerichtliche Terminsgebühr – also ohne Grundgebühr und Verfahrensgebühr – vom System des RVG her nicht denkbar (zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A 2102 ff. m.w.N. aus der Rspr.; jüngst auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171, in diesem Heft).
Die mit den Gebühren des Terminsvertreters zusammenhängenden Fragen werden in Rspr. und Lit. immer wieder diskutiert. Von daher wäre es vielleicht angebracht gewesen, wenn der Einzelrichter der Strafkammer vielleicht dann doch mal einen Kommentar zu Rate gezogen hätte.
I.Ü. spricht auch nicht, wie das LG meint, der Wortlaut der Verfügung des Vorsitzenden lediglich für eine Beiordnung als Vertreter, sondern für den Termin ist der Rechtsanwalt "voller" Verteidiger.
2. Weitere Beanstandungen
Hätte der Einzelrichter einen Kommentar zu Rate gezogen, würden sich ggf. auch die weiteren "Beanstandungen" erübrigen.
a) Bindung an die OLG-Rechtsprechung
Zu widersprechen ist der Aussage im "Hinweis des Gerichts": "Maßgeblich für die im OLG Stuttgart ansässigen Gerichte ist dabei die Rechtsauffassung des OLG Stuttgart". Das sehe ich nicht so, zumindest nicht so absolut – "ist" – wie das LG. Zwar ist es sicherlich zutreffend, wenn sich die Instanzgerichte im Bezirk – schon wegen der Einheitlichkeit – der Rspr. "ihres" OLG anschließen. Aber eine (gesetzliche) Bindungswirkung, wovon offenbar das LG ausgeht, besteht nicht. Das wäre auch mehr als misslich, denn eine solche Bindungswirkung hätte zur Folge, dass sich die Rspr. in einem OLG-Bezirk praktisch nie ändern würde/könnte, weil die Instanzgerichte ja immer so entscheiden, wie das OLG mal entschieden hat. Das OLG wäre nie in der Lage, seine Rspr./Auffassung an die eines Instanzgerichts, dass ggf. von seiner Rspr. abgewichen ist, anzupassen. Dass das nicht sein soll, zeigt m.E. gerade das Rechtsmittelsystem des RVG, das ja eine weitere Beschwerde (§§ 56 Abs. 1, 33 Abs. 6 RVG) vorsieht.
b) Einzelrichter/weitere Beschwerde
Mit dem Vorstehenden korrespondiert eine weitere Beanstandung. Der Einzelrichter der Strafkammer meinte, selbst entscheiden zu können/müssen und die weitere Beschwerde nicht zulassen zu müssen. M.E. war das falsch. Vielmehr hätte die Sache auf die Kammer übertragen und die weitere Beschwerde zugelassen werden müssen. Denn die Entscheidung des OLG Stuttgart stammt aus dem Jahr 2011. Seitdem hat es eine Flut von Entscheidungen anderer OLG gegeben, die die Frage, welche Gebühren dem "Vertreter" des Pflichtverteidigers zustehen, anders entschieden haben als das OLG Stuttgart. Die Frage hat also nach wie vor "grundsätzliche Bedeutung" (vgl. dazu § 33 Abs. 6 S. 1 RVG). So ist die Chance vertan, dass das OLG Stuttgart ggf. seine unzutreffende Rechtsauffassung im Beschl. v. 3.2.2011 – 4 Ws 195/10 (AGS 2011, 224 = RVGreport 2011, 141 = StraFo 2011, 198) aufgibt und sich der zutreffenden h.A. in der Rspr. anschließt. Auch OLG sollen ja nicht gegen bessere Erkenntnis gefeit sein.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 4/2024, S. 173 - 175