Das BVerfG sieht die Verfassungsbeschwerde als – jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht zulässig an. Die Geschädigte habe den Rechtsweg noch nicht erschöpft.
1. Rechtswegerschöpfung
Nach Auffassung des BVerfG genügte die Verfassungsbeschwerde nicht dem Gebot der Rechtswegerschöpfung. Die Anhörungsrüge nach § 33a S. 1 StPO zähle vorliegend zum Rechtsweg.
Werde mit der Verfassungsbeschwerde – ggf. lediglich der Sache nach – eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehöre eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gem. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG regelmäßig abhängig sei. Erhebe ein Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, habe das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig sei, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (BVerfGE 134, 106, 113).
Das Anhörungsrügeverfahren gehöre andererseits nicht zum Rechtsweg und wirke nicht fristbestimmend für die Verfassungsbeschwerde, wenn es offensichtlich aussichtslos sei (st. Rspr., vgl. u.a. BVerfGE 134, 106, 113). Offensichtlich aussichtslos sei ein Rechtsbehelf, über dessen Unzulässigkeit der Beschwerdeführer bei seiner Einlegung nach dem Stand der Rspr. und Lehre nicht im Ungewissen habe sein könne (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.2007 – 1 BvR 730/07; Beschl. v. 30.6.2009 – 1 BvR 893/09 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben sei die beschwerdeführende Geschädigte darauf zu verweisen, eine Entscheidung über ihre mit Schreiben vom 3.9.2021 erhobene Anhörungsrüge herbeizuführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei ihre Verfassungsbeschwerde daher nicht zulässig. Die Anhörungsrüge zähle vorliegend zum Rechtsweg, da die Beschwerdeführerin jedenfalls der Sache nach die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend mache. Die Anhörungsrüge sei auch nicht offensichtlich aussichtslos. Insbesondere sei sie als statthaft anzusehen.
Zwar sei tauglicher Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 33a StPO grds. nur ein Beschluss (vgl. MüKo-StPO/Valerius, 2. Aufl., 2023, § 33a, Rn 3). Hier sei aber die Anhörungsrüge ausnahmsweise auch gegen ein (amtsgerichtliches) Urteil statthaft. Werde ein Adhäsionsantrag gestellt und erweise sich dieser als zulässig und begründet, so habe das Gericht dem Adhäsionskläger die geltend gemachte Forderung in dem Strafurteil zuzusprechen (§ 406 Abs. 1 S. 1 StPO). Sei der Antrag unzulässig oder stelle sich das Strafgericht auf den Standpunkt, dass die geltend gemachte Forderung nicht begründet sei, so habe es nach Hinweis und Anhörung des Adhäsionsklägers (§ 406 Abs. 5 S. 1 StPO) von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abzusehen (§ 406 Abs. 1 S. 3 StPO). Diese Entscheidung sei durch Beschluss zu treffen (§ 406 Abs. 5 S. 2 StPO). Gegen eine der Form nach korrekte, ausdrückliche Absehensentscheidung durch Beschluss sei sodann, bis zur instanzabschließenden Entscheidung, zunächst die sofortige Beschwerde (vgl. MüKo-StPO/Grau, 1. Aufl., 2019, § 406 Rn 17) und im Anschluss die Anhörungsrüge statthaft.
Die 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG habe eine Anhörungsrüge auch dann als statthaft angesehen, wenn das Gericht eine ausdrückliche Absehensentscheidung irrtümlich im Rahmen des Strafurteils, statt, wie vorgesehen, durch Beschluss, getroffen habe. Es hänge nicht von der Bezeichnung ab, ob eine Entscheidung hinsichtlich der statthaften Rechtsbehelfe als Urteil oder als Beschluss anzusehen sei; maßgeblich seien vielmehr der Inhalt der Entscheidung und die Gründe, auf denen sie beruhe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.5.2020 – 2 BvR 2054/19). Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen seien übertragbar mit der Folge, dass die Anhörungsrüge auch in der vorliegenden Fallkonstellation statthaft sei. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheide sich von dem Sachverhalt, über den das BVerG bereits entschieden habe, nur dahingehend, als das AG vorliegend nicht ausdrücklich von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag absah. Es habe keine explizite Absehensentscheidung ausgesprochen, sondern den Adhäsionsantrag stillschweigend übergangen. Das habe aber der Sache nach den gleichen Inhalt und die gleiche Wirkung wie eine ausdrücklich durch Urteil ausgesprochene Absehensentscheidung.
Das BVerfG wertet das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Geschädigten vom 3.9.2021 als Anhörungsrüge. Darin sei sinngemäß gerügt worden, dass der Adhäsionsantrag ohne zureichende Gründe übergangen worden sei. Nach der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten habe das AG über diese Anhörungsrüge erneut zu entscheiden; die Beschwerdeführerin habe vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde auf eine solche Entscheidung hinzuwirken.