I. Fragen

1. Fall 1 – Ausgangsfall

K, der Verbraucher ist, hat gegen B eine fällige Kaufpreisforderung i.H.v. 4.000,00 EUR. Er beauftragt Rechtsanwalt A in der Sprechstunde damit, diesen Kaufpreisanspruch durchzusetzen.

1a)1. Abwandlung

K fragt Rechtsanwalt A um Rat, wie er am besten gegen B vorgehen kann. Rechtsanwalt A berät K im Rahmen eines ersten Beratungsgesprächs kurz über die Sach- und Rechtslage.

1b)2. Abwandlung

K bittet Rechtsanwalt A, den B zunächst durch außergerichtliche Bemühungen zur Zahlung zu bewegen. Dem kommt Rechtsanwalt A nach und übersendet dem B eine entsprechende kurze Zahlungsaufforderung mit Fristsetzung.

1c)3. Abwandlung

K erteilt Rechtsanwalt A den Auftrag, die Kaufpreisforderung einzuklagen, bittet ihn jedoch, dem B zuvor noch ein Aufforderungsschreiben zu übersenden. Auf dieses von Rechtsanwalt A gefertigte Aufforderungsschreiben zahlt B dem Kläger die Kaufpreisforderung.

1d)4. Abwandlung

In der 3. Abwandlung hat auch die außergerichtliche Zahlungsaufforderung des Rechtsanwalts A keinen Erfolg. Der Rechtsanwalt erhebt deshalb Zahlungsklage und erwirkt gegen B in mündlicher Verhandlung, zu der B weder erschienen noch ordnungsgemäß vertreten ist, ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil.

Welche Vergütung kann Rechtsanwalt A in diesen vier Abwandlungen abrechnen?

2. Fall 2

In Fall 1 Abwandlung 1 und 2 erteilt K dem Rechtsanwalt A den Auftrag, die offene Kaufpreisforderung einzuklagen. Rechtsanwalt A erhebt Klage und erwirkt im schriftlichen Verfahren gem. § 331 Abs. 3 ZPO ein Versäumnisurteil gegen B.

Welche Vergütung steht Rechtsanwalt A für seine Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter zu?

II. Lösungen

1a) Lösung zu Fall 1 – 1. Abwandlung

K hat Rechtsanwalt A mit der Erteilung eines mündlichen oder schriftlichen Rates beauftragt, sodass sich dessen Vergütung gem. § 34 RVG bestimmt. Rechtsanwalt A hat nicht – wie in § 34 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt – auf eine Gebührenvereinbarung mit K hingewirkt. Deshalb erhält er nach § 34 Abs. 1 S. 2 RVG die übliche Vergütung, die hier mehr als 190,00 EUR betragen soll. Da K jedoch Verbraucher ist und die Beratung im Rahmen eines ersten Beratungsgesprächs erfolgt ist, beträgt die übliche Vergütung gem. § 34 Abs. 1 S. 3 RVG höchstens 190,00 EUR.

Eine Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV ist mangels Anfalls auch nur eines Postentgelts Rechtsanwalt A bei der nur mündlich erteilten Beratung nicht angefallen. Er hat auch kein Telefonat geführt. Für die Übersendung seiner Vergütungsberechnung an den Mandanten K steht dem Rechtsanwalt nach der Anm. zu Nr. 7001 VV ebenfalls kein Postentgelt zu.

Damit rechnet Rechtsanwalt A seine Vergütung für die Beratung wie folgt ab:

 
 
1. Gebühr für erstes Beratungsgespräch, 190,00 EUR
  § 34 Abs. 1 S. 2 und 3 RVG  
2. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 36,10 EUR
  Gesamt 226,10 EUR

1b) Lösung zu Fall 1 – 2. Abwandlung

I. Auftrag

K hat Rechtsanwalt A einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung i.S.v. Teil 2 Abschnitt 3 VV erteilt.

II. Geschäftsgebühr

Die in Nr. 2300 VV geregelte Geschäftsgebühr ist nach Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV durch das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Entgegennahme der Information entstanden. Dabei ist unerheblich, ob die von Rechtsanwalt A gefertigte Zahlungsaufforderung als Schreiben einfacher Art i.S.d. Nr. 2301 VV anzusehen ist, wonach die Geschäftsgebühr lediglich mit einem Gebührensatz von 0,3 entsteht. Denn der dem Rechtsanwalt A erteilte Auftrag beschränkte sich nicht auf ein solches Schreiben einfacher Art, sondern betraf allgemein die außergerichtlichen Bemühungen des Rechtsanwalts und war damit weiter gefasst.

III. Vergütung

Bei hier vorliegenden unterdurchschnittlichen Umständen i.S.v. § 14 Abs. 1 RVG berechnet Rechtsanwalt A dem K folgende Vergütung:

 
 
1. 1,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV 278,00 EUR
  (Wert: 4.000,00 EUR)  
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 56,62 EUR
  Gesamt 354,62 EUR

1c) Lösung zu Fall 1 – 3. Abwandlung

I. Auftrag

K hat Rechtsanwalt A einen unbedingten Prozessauftrag erteilt, sodass sich die Vergütung nach Vorbem. 3 Abs. 1 VV nach Teil 3 VV bestimmt.

II. Verfahrensgebühr

Die in Nrn. 3100, 3101 VV geregelte Verfahrensgebühr ist dem Rechtsanwalt A nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Entgegennahme der Information angefallen. Durch diese Verfahrensgebühr ist gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 RVG auch die Zahlungsaufforderung als Vorbereitung der Klage abgegolten.[1] Da der Prozessauftrag des Rechtsanwalts A endete, bevor er eine der in Nr. 3101 Nr. 1 VV aufgeführten Tätigkeiten entfaltet hat, ist die Verfahrensgebühr nur mit einem Gebührensatz von 0,8 angefallen.

[1] S. OLG Koblenz AGS 2023, 263 [Hansens], in diesem Heft.

III. Vergütung

Rechtsanwalt A rechnet seine Tätigkeit somit wie folgt ab:

 
 
1. 0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 VV 222,40 EUR
  (Wert: 4.000,00 EUR)  
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV 20,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 46,06 EUR
  Gesamt 288,46 EUR

1d) Lösung zu Fall 1. – 4. Abwandlung

I. Auftrag

Auch in dieser Fallgestaltung ist Rechtsanwalt A ein unbedingter Prozessauftrag erteilt worden.

II. Verfahrensgebühr

Die für das Betreiben des Geschäfts nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV angefallene Verfahrensgebühr deckt auch in dieser Fallgestaltung die Zahlungsaufforderung ab, was die Berechnung einer Geschäftsgebühr ausschließt.[2] Da Rechtsanwalt A die Klageschrift eing...

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