Das vom LAG München behandelte Problem ist immer noch sehr umstritten:
Zunächst ist zu differenzieren zwischen der Frage, ob der im Wege der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt Anspruch auf eine Differenzverfahrensgebühr und die Terminsgebühr aus dem nicht anhängigen Vergleichsgegenstand hat (bejahend BGH AGS 2018, 141 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2018, 315 [Hansens]) und der Frage, ob eine der beigeordnete Rechtsanwalt für den Mehrvergleich einen Anspruch auf eine 1,5- oder nur eine 1,0-Einigungsgebühr gegen die Landeskasse hat. Im vorliegenden Fall war nur die Höhe der Einigungsgebühr streitig.
1. Die gesetzliche Ausgangslage
Nach Nr. 1000 Nr. 1 VV entsteht eine 1,5-Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Grundsatz). Nach Nr. 1003 VV betragen die Gebühren nach Nrn. 1000 bis 1002 VV 1,0, wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist. Nach Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV gilt dies auch, wenn ein Verfahren über die PKH anhängig ist (Ausnahme), soweit nicht lediglich PKH für ein selbstständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags i.S.d. Nr. 1000 VV erstreckt (§ 48 Abs. 3 RVG) (Rückausnahme).
2. Der Meinungsstand
Die Frage, wann die Voraussetzungen der vorerwähnten Rückausnahme vorliegen, wird in der Rspr. unterschiedlich beantwortet. Früher ging die Rspr. überwiegend davon aus, die Voraussetzung der Rückausnahme, dass lediglich die Protokollierung des Vergleichs betragt wird, liege bereits dann nicht vor, wenn das Gericht über die bloße Protokollierung hinaus auf irgendeine Weise an dem Zustandekommen des Vergleichs mitgewirkt hat (vgl. nur LAG München, JurBüro 2017, 79; LAG Nürnberg AGS 2020, 65; OLG Bamberg AGS 2018, 445; LAG Mainz AGS 2015, 371).
In der neueren Rspr. sowie in der Lit. wird hingegen vermehrt die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der Rückausnahme in Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV könnten auch bei der Mitwirkung des Gerichts am Vergleich vorliegen (vgl. nur LAG Düsseldorf AGS 2014, 503 und AGS 2014, 505; LAG Stuttgart AGS 2016, 323 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rspr.; LAG Berlin-Brandenburg AGS 2018, 292 = RVGreport 2018, 299 [Hansens]; LAG Halle (Saale) AGS 2019, 210; LAG Mainz, Beschl. v. 8.5.2019 – 3 Ta 25/19; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., 2021, Nr. 1003 VV Rn 46 f.; vgl. auch LAG Kiel, Beschl. v. 11.4.2017 – 5 Ta 36/17).
3. Prozesskostenhilfe für Mehrvergleich
Geht man von dieser Meinung aus, so liegen im dem Fall, in dem dem Kläger im Anschluss an einen – nach Erörterung der Sach- und Rechtslage – geschlossenen Vergleich (auch im Hinblick auf den Vergleichsabschluss) PKH bewilligt wurde, hinsichtlich des Mehrvergleichs die Voraussetzungen der Rückausnahme Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV ("die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird") vor. Es ist hinsichtlich des Mehrvergleichs eine 1,5-Einigungsgebühr entstanden.
Die Ausnahme der Nr. 1003 VV ist ebenso wie die Rückausnahme in Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV daran geknüpft, dass ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Bei der Rückausnahme darf sich der Antrag jedoch lediglich auf die Protokollierung des Vergleichs beziehen. Dabei ist mit dem LAG Düsseldorf AGS 2014, 503 davon auszugehen, dass sich das Wort "lediglich" nicht auf die Tätigkeit des Gerichts (Protokollierung), sondern auf den Antrag bezieht. Der Antrag bezieht sich dann lediglich auf die Protokollierung des Vergleichs, wenn die Parteien im Hinblick auf den Gegenstand des Mehrvergleichs keine gerichtliche Tätigkeit beantragt haben und auch nicht beantragen wollen (LAG Düsseldorf AGS 2014, 505).
Das gilt auch dann, wenn sich die gerichtliche Tätigkeit nicht auf die bloße Protokollierung des Mehrvergleichs beschränkt, sondern das Gericht zuvor am Aushandeln des Vergleichs mitgewirkt hat. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es nämlich unerheblich, ob das Gericht zuvor an dem zu protokollierenden Vergleich mitgewirkt hat oder nicht.
Anders als bei einem Antrag, der darauf gerichtet ist, PKH für die Durchführung eines streitigen Verfahrens über den Gegenstand des Mehrvergleichs zu bewilligen, bedarf es vor der Bewilligung von PKH für den Vergleichsmehrwert keiner bzw. keiner umfassenden Prüfung der Erfolgsaussichten des Klagebegehrens. PKH für die Protokollierung eines Vergleichs ist schon zu bewilligen, wenn zu erwarten ist, dass über den Gegenstand des Mehrvergleichs ein Vergleich zustande kommt. Es kommt für die erforderliche Erfolgsaussicht nicht darauf an, ob der Prozesspartei, wäre über den zusätzlich in den Vergleich einbezogenen Gegenstand ein Prozess geführt worden, Erfolgsaussichten zur Seite stünden oder ...