I. Fragen
1. Ausgangsfall
Der Beklagte B ist durch das erstinstanzliche, für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil zur Zahlung von 20.000,00 EUR nebst Zinsen verurteilt worden. Sein für die Berufungsinstanz bestellter Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt A legt gegen dieses Urteil auftragsgemäß Berufung ein und beantragt ferner, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil gem. §§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 ZPO einstweilen einzustellen. Das Berufungsgericht gibt dem Einstellungsantrag nach Anhörung des Klägers ohne gesonderte mündliche Verhandlung hierüber durch Beschluss statt und beraumt Termin zur mündlichen Verhandlung in der Hauptsache an. Nach Zugang des Einstellungsbeschlusses kündigt B das Mandat mit Rechtsanwalt A ohne wichtigen Grund.
Welche Vergütung steht Rechtsanwalt A gegen seinen Mandanten B zu?
2.1. Abwandlung
Im Ausgangsfall gibt das Berufungsgericht dem Einstellungsantrag ohne gesonderte mündliche Verhandlung statt, stellt die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil einstweilen jedoch nur gegen Sicherheitsleistung des Beklagten B ein. Rechtsanwalt A legt gegen diesen Beschluss auftragsgemäß sofortige Beschwerde mit dem Ziel ein, dass die Anordnung der Sicherheitsleistung entfällt. Das Beschwerdegericht weist die sofortige Beschwerde des B zurück.
Hieraufhin kündigt B das Mandat mit Rechtsanwalt A ohne wichtigen Grund.
Welche Vergütung kann Rechtsanwalt A nunmehr abrechnen?
3.2. Abwandlung
Im Ausgangsfall hat B den Rechtsanwalt A nur für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil beauftragt. Rechtsanwalt A hat schriftsätzlich die einstweilige Einstellung beantragt. Das Berufungsgericht entscheidet hierüber wiederum durch Beschluss, der ohne vorherige mündliche Verhandlung über den Einstellungsantrag ergeht. Damit endet das Mandat des Rechtsanwalts A.
Wie rechnet Rechtsanwalt A seine Vergütung in diesem Fall ab?
II. Lösungen
1. Lösung zum Ausgangsfall
I. Vertretung im Berufungsverfahren
Um die Vergütung richtig ermitteln zu können, empfiehlt es sich, die auftragsgemäßen Anwaltstätigkeiten in zeitlicher Reihenfolge zu würdigen.
Nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV hat Rechtsanwalt A für das nach Auftragserteilung erfolgte Betreiben des Geschäfts, für die erste Information und für die Beratung des Beklagten B die Verfahrensgebühr verdient. Diese ist – zunächst – nach Nr. 3201 VV mit einem Satz von 1,1 angefallen. Die Verfahrensgebühr hat sich nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3201 VV auf den in Nr. 3200 VV geregelten vollen Satz von 1,6 erhöht, weil Rechtsanwalt A den die Berufung enthaltenen Schriftsatz bei Gericht eingereicht hat.
Die Verfahrensgebühr berechnet sich nach der Klageforderung, ohne Zinsen und Kosten, zu deren Zahlung der Beklagte B durch das angefochtene Urteil verurteilt worden ist.
II. Vertretung im Einstellungsverfahren
Für das Einreichen des Einstellungsantrags und die Vertretung in dem Verfahren über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist Rechtsanwalt A wiederum die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV angefallen. Allerdings gehören diese Tätigkeiten nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 RVG zum Rechtszug und werden durch die im Berufungsverfahren angefallene Verfahrensgebühr mit abgegolten. Über den Einstellungsantrag hat nämlich keine abgesonderte mündliche Verhandlung stattgefunden.
III. Vergütung
Somit kann Rechtsanwalt nach Beendigung des Mandates folgende Vergütung abrechnen:
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
1.315,20 EUR |
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(Wert: 20.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
253,69 EUR |
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Gesamt |
1.588,89 EUR |
2. Lösung zur 1. Abwandlung
I. Vergütung im Berufungsverfahren
Auch in der Abwandlung kann Rechtsanwalt A für das Einreichen der Berufungsschrift eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV nach einem Gegenstandswert von 20.000,00 EUR verlangen.
II. Vertretung im Einstellungsverfahren
Da über die Einstellung keine abgesonderte mündliche Verhandlung stattgefunden hatte, greift auch hier die Regelung in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 RVG ein. Danach gehört die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Einstellungsverfahren zum Rechtszug des Berufungsverfahrens. Eine gesonderte Verfahrensgebühr kann Rechtsanwalt A somit auch hier nicht geltend machen.
III. Vertretung im Beschwerdeverfahren
Die Vertretung im Beschwerdeverfahren ist nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG eine besondere gebührenrechtliche Angelegenheit. Sie hat bei Rechtsanwalt A die gesonderte Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV ausgelöst.
IV. Gegenstandswert
Der Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren betreffend die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist niedriger als der Wert der Hauptsache. Er bestimmt sich gem. § 25 Abs. 2 RVG nach billigem Ermessen und beträgt im Regelfall 1/5 der Hauptforderung ohne Kosten und Zinsen, hinsichtlich der die Einstellung begehrt wird. Vorliegend ging es in dem Beschwerdeverfahren jedoch nicht um die einstweilige Einstellung als solche, die das Berufungsgericht ja angeordnet hatte, sondern lediglich um den Entfall der außerdem angeordneten Sicherheitsleistung. Damit soll sich der Gegenstandswert hier auf 1/10tel der Hauptforderung belaufen.
In der Praxis wird Rechtsanwalt gem. § 33 Abs. 1 RVG einen Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdev...