Leitsatz
- Ein gegen Unbeteiligte (hier: Klägerin und Beklagte) ergangener Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 55 RVG ist grob rechtswidrig und damit nichtig und tatsächlich wirkungslos. In diesem Fall kommt eine Rubrumsberichtigung nicht in Betracht. Das Gericht muss den Beschluss aufheben und seinen Rechtsschein beseitigen.
- Eine Kostenerstattung kommt nur den Fällen des § 197 Abs. 2 SGG in Betracht, nicht wenn der Anwalt das Verfahren in eigenem Namen betreibt.
Thüringer LSG, Beschl. v. 12.5.2015 – L 6 SF 115/15 B
1 Sachverhalt
Mit der Klage (S 40 AS 857/09) hatte sich die von den Rechtsanwälten R. und H. vertretene selbstständige Klägerin gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit v. 1.8.2008 bis 28.2.2009 gewandt. Mit einer weiteren Klage (S 26 AS 2473/10) wandte sie sich gegen die Ablehnung von Leistungen für die Zeit v. 1.11.2009 bis 31.5.2010. In beiden Fällen hatte die Beklagte die Hilfebedürftigkeit mit der Begründung bestritten, sie habe Anspruch auf Rückübertragung eines Grundstücks nach § 528 BGB und Einkommen aus einer Erbschaft. Das SG bewilligte der Klägerin im Verfahren S 40 AS 857/09 Prozesskostenhilfe und ordnete Rechtsanwalt H. bei. Unter dem 20.10.2010 teilte die Beschwerdegegnerin, eine Rechtsanwältin, dem SG mit, die Klägerin habe sie mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen beauftragt; die Verbindung beider Verfahren werde beantragt.
In der 143 Minuten dauernden mündlichen Verhandlung am 10.11.2010 bewilligte das SG der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. und ab 1.10.2010 unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Sie bewilligte der Klägerin dann für das Verfahren S 26 AS 2473/10 Prozesskostenhilfe ab 2.4.2010 unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Anschließend verband sie beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Verfahrens S 40 AS 857/09. Den in der Verhandlung geschlossenen Vergleich widerrief die Beklagte. Nach weiterem Schriftverkehr vernahm das SG in der 117 Minuten dauernden Verhandlung am 26.1.2011 u.a. einen Zeugen. Nach weiterem umfangreichen Schriftverkehr und Beiziehung weiterer Urkunden teilte die Beschwerdegegnerin dem SG am 10.10.2011 mit, sie vertrete die Klägerin nicht mehr. Nachdem sich im November 2011 Rechtsanwalt R. als Prozessbevollmächtigter bestellt hatte, änderte das SG den Prozesskostenhilfe-Beschluss dergestalt ab, dass für den Zeitraum 1.10.2010 bis 10.10.2011 die Beschwerdegegnerin und ab 11.10.2011 Rechtsanwalt R. beigeordnet werde.
Später beantragte die Beschwerdegegnerin die Festsetzung folgender Gebühren:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV |
350,00 EUR |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV |
380,00 EUR |
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 |
20,00 EUR |
Fahrtkosten 10.11.2010 Nr. 7003 VV |
19,20 EUR |
Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV |
20,00 EUR |
Fahrtkosten 26.1.2011 Nr. 7003 VV |
19,20 EUR |
Tage- und Abwesenheitsgeld |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
828,40 EUR |
Umsatzsteuer |
157,40 EUR |
Summe |
985,80 EUR |
Nach Anhörung der Beklagten setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) mit Kostenfestsetzungsbeschluss im Rechtsstreit der Klägerin vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei S. und R. und die Rechtsanwältin R. gegen die Beklagte die "der Klägerin im Rahmen der Prozesskostenhilfe zustehende Vergütung" auf 652,60 EUR fest und berücksichtigte die Verfahrens- und Terminsgebühr jeweils in Höhe der Mittelgebühr.
Dagegen hat die Beschwerdegegnerin Erinnerung eingelegt und vorgetragen, die Kürzung auf die Mittelgebühren sei angesichts ihres überdurchschnittlichen anwaltlichen Aufwands (u.a. Sichtung umfangreicher Unterlagen und mehrere Besprechungstermine mit der Klägerin) nicht nachvollziehbar. Der Vorsitzende hat das Rubrum des Erinnerungsverfahrens "berichtigt" und die Beschwerdegegnerin als Erinnerungsführerin und den Beschwerdeführer als Erinnerungsgegner eingetragen. Mit Beschluss hat er die der Erinnerungsführerin zu erstattenden "Kosten" auf 926,29 EUR festgesetzt und im Übrigen die Erinnerung zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer habe der Beschwerdegegnerin 4/5 der Kosten des Erinnerungsverfahrens zu erstatten. Die Mittelgebühr komme angesichts der Tatsache, dass zwei Verhandlungstermine mit Zeugenbefragung durchgeführt wurden und von einem erhöhten Schwierigkeitsgrad des "Prozessstoffes" angesichts der richterlichen Hinweise und der erkennbaren Hinarbeitung des Kammervorsitzenden auf einen Vergleich nicht in Betracht. Die Mittelgebühr der Verfahrensgebühr sei lediglich um 20 v.H. zu erhöhen, weil die Beschwerdegegnerin das Verfahren nicht abgeschlossen habe. Eine Kostenentscheidung sei erforderlich, weil das Erinnerungsverfahren eine gesonderte Angelegenheit i.S.v. § 18 Nr. 5 RVG sei.
Dagegen hat der Erinnerungsführer Beschwerde eingelegt und sich gegen die Auferlegung der Kosten und die erhöhte Vergütung gewandt.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem LSG vorgelegt. Das LSG hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütu...