Die Entscheidung des LSG München befasst sich mit einigen wichtigen Problemen, die eine nähere Betrachtung verdienen.
1. Rechtsbehelfe bei Festsetzung der PKH/VKH-Anwaltsvergütung
a) Erinnerung
Die Auffassung des LSG München, die Erinnerung gegen die Festsetzung der PKH- oder VKH-Anwaltsvergütung nach § 55 RVG sei unbefristet, entspricht der allgemeinen Auffassung in der Rspr. und Lit. (s. OLG Brandenburg RVGreport 2010, 218 [Hansens] = AGS 2011, 280; OLG Frankfurt RVGreport 2007, 100 [Ders.]; OLG Düsseldorf RVGreport 2016, 218 [Ders.], LSG Halle (Saale) RVGreport 2018, 15 [Ders.]; Mayer/Kroiß/Pukall, RVG, 6. Aufl., § 56 Rn 10; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., § 56 RVG Rn 8). A.A. ist lediglich das OLG Koblenz (RVGreport 2006, 60 [Hansens]).
b) Beschwerde
Demgegenüber verweist § 56 Abs. 2 S. 1 HS 2 RVG für das Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung auf die entsprechende Anwendung von § 33 Abs. 3 bis 8 RVG. Dies schließt die in § 33 Abs. 3 S. 3 RVG geregelte Befristung der Beschwerde ein.
c) Weitere Beschwerde
Ebenfalls befristet ist die – zulassungsbedürftige – weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des LG als Beschwerdegericht. Hier gilt ebenfalls die Verweisung in § 56 Abs. 2 S. 1 HS 2 RVG, sodass für die weitere Beschwerde § 33 Abs. 6 S. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 3 RVG anwendbar ist.
d) Zusammenfassung
Somit gilt für die Rechtsbehelfe in Verfahren auf Festsetzung der PKH- oder VKH-Anwaltsvergütung Folgendes:
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Die Erinnerung ist unbefristet. |
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Für die Beschwerde gilt eine Beschwerdefrist von zwei Wochen. |
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Die weitere Beschwerde ist ebenfalls binnen der Beschwerdefrist von zwei Wochen einzulegen. |
2. Verwirkung des Erinnerungsrechts
Ob das Erinnerungsrecht verwirken kann, ist in der Rspr. umstritten.
a) Erinnerung der Staatskasse
Teilweise wird die Auffassung vertreten, das Erinnerungsrecht der Staatskasse verwirke entsprechend § 20 GKG/§ 19 Abs. 1 FamGKG (s. etwa OLG Brandenburg RVGreport 2010, 218 [Hansens] = AGS 2011, 280; KG RVGreport 2004, 314 [Ders.]; OLG Zweibrücken RVGreport 2006, 423 [Ders.]; OLG Jena Rpfleger 2006, 434; LSG Halle (Saale) RVGreport 2018, 15 [Ders.]; SG Berlin RVGreport 2011, 381 [Ders.]; offen: OLG Celle RVGreport 2015, 248 [Ders.] für die Rückforderung des Vorschusses vom PKH-Anwalt); a.A. OLG Düsseldorf RVGreport 2016, 218 [Ders.].
Eine Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse soll aber dann nicht eintreten, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt vorsätzlich oder grob fahrlässig einen unberechtigten Festsetzungsantrag gestellt hat und die Festsetzung auf diesen falschen Angaben des Anwalts beruht (LSG München AGS 2012, 584; OLG Rostock JurBüro 2012, 197). Schließlich kommt eine Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse dann nicht in Betracht, wenn der Anwalt seinerseits Erinnerung gegen die Festsetzung der Vergütung eingelegt hat und sich die Staatskasse der Erinnerung angeschlossen hat. Für den Fall, dass sich die Staatskasse nicht der Erinnerung des Rechtsanwalts angeschlossen hat und gegen die Festsetzungsentscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erst später Erinnerung einlegt, kann hingegen – wie auch das LSG München hier festgestellt hat – von einer Verwirkung des Erinnerungsrechts ausgegangen werden
Einigkeit besteht bei den Gerichten, die grds. von einer Verwirkung des Erinnerungsrechts ausgehen, darüber, dass neben dem sog. Zeitmoment auch das Umstandsmoment vorliegen muss. Das Zeitmoment ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn zwischen dem Erlass der angefochtenen Entscheidung und der Einlegung ein Zeitraum von nur 13 Monaten (so das LSG Erfurt RVGreport 2020, 96 [Hansens]) oder 15 Monaten (so das LSG Halle (Saale) RVGreport 2018,15 [Hansens] liegt.
b) Erinnerung des Rechtsanwalts
Demgegenüber besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das Erinnerungsrecht des Rechtsanwalts nicht verwirkt (OLG Zweibrücken RVGreport 2006, 423 [Hansens]; KG RVGreport 2004, 314 [Ders.]; a.A. OLG Koblenz FamRZ 1999, 1362 zu § 128 BRAGO: Verwirkung nach Ablauf von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Festsetzung der Vergütung).
3. Verfahrensgebühr
Die Ausführungen des LSG München zur Höhe der von dem Rechtsanwalt angesetzten Verfahrensgebühr sind ein gutes Beispiel für eine praxisgerechte Entscheidung, von denen man leider nicht allzu viele liest. Im Regelfall bewerten die Gerichte bei der Überprüfung der von dem Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG vorgenommenen Gebührenbestimmung nur die Umstände, die sich aus den Akten ergeben. Bewertet wird deshalb häufig nur der in den Gerichtsakten befindliche Schriftverkehr. Hierauf hatte sich auch der Vertreter der Landeskasse gestützt und die Auffassung vertreten, die einzige "messbare" Tätigkeit des Rechtsanwalts im Klageverfahren sei die Klagerücknahme und die Einsicht in die Verwaltungsakte gewesen. Dem hat das LSG München zu Recht widersprochen. Es hat darauf hingewiesen, dass die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts, die nicht durch eine besondere Gebühr vergütet wird, durch die Verfahre...