Zu Unrecht hat die Rechtspflegerin des LG im angefochtenen Beschluss sowie im Nichtabhilfebeschluss die Auffassung vertreten, die Wiederaufrollung des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Festsetzungsverfahrens zur Geltendmachung nach inzwischen geänderter Rechtsauffassung vermeintlich erwachsener Gebühren sei nicht zulässig. Die materielle Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 15.4.2010 steht der Geltendmachung einer 0,65-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nicht entgegen.
Nach allgemeiner Ansicht können Kostenfestsetzungsbeschlüsse formell und materiell in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGH NJW 2003, 1462 [= AGS 2003, 176]; OLG München MDR 2000, 665, 666; OLG Frankfurt JurBüro 1986, 599, je m. w. Nachw.). Schon das RG hat in einem Beschl. v. 9.2.1891 (RGZ 27, 402 ff.) klargestellt, dass Kostenfestsetzungsbeschlüssen materielle Rechtskraft zukommt und dass diese Rechtskraft sich nicht auf den Gesamtbetrag, sondern auf die im Festsetzungsgesuch enthaltenen Einzelpositionen bezieht. Zur Begründung hat das RG ausgeführt, dass der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten nach seinem rechtlichen Inhalt wie der Anspruch des Mandanten auf Erstattung seiner Auslagen aus selbstständigen Einzelansprüchen bestehe, so dass die Entscheidung über einzelne liquidierte Ansprüche nur auf diese bezogen werden könne. Auf diese Entscheidung hat der BGH an späterer Stelle ausdrücklich Bezug genommen (vgl. BGH NJW 1990, 2060).
Folge der materiellen Rechtskraft ist, dass sich eine neue Entscheidung über denselben Streitgegenstand verbietet (vgl. BGHZ 93, 278, 289). Kostenfestsetzungsbeschlüsse können jedoch nur hinsichtlich zu- oder aberkannter Kosten formell und materiell rechtskräftig werden. Die Rechtskraft steht einem Antrag auf Nachfestsetzung deshalb dann nicht entgegen, wenn mit diesem Antrag ein bisher nicht geltend gemachter Posten erstmals zur Festsetzung angemeldet wird (OLG München, a.a.O.; vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 6.3.2009–8 W 82/09, MDR 2009, 1136; OLG Karlsruhe OLGR 2007, 542 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.3.2009–8 W 82/09, AGkompakt 2009, 39 zur Nachfestsetzung von Umsatzsteuer). Der BGH hat diesbezüglich in seiner Entscheidung v. 16.1.2003 (V ZB 51/02, NJW 2003, 1462 [= AGS 2003, 176]) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Anspruch, der nicht Gegenstand des vorhergehenden Kostenfestsetzungsverfahrens war, im Nachfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden und dass diesem Anspruch nicht der Einwand der Rechtskraft entgegengehalten werden könne. Denn in einem solchen Fall fehle eine rechtskräftige Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch. Im dortigen Fall hat der BGH dies für einen Zinsanspruch entschieden. Das BVerfG hat entschieden (Beschl. v. 17.2.1995–2 BvR 502/92, JurBüro 1995, 583), dass eine im ersten Kostenfestsetzungsverfahren irrtümlich nicht geltend gemachte Mehrvertretungsgebühr im Wege der Nachliquidierung geltend gemacht werden kann. Das OLG Hamburg hat gemeint, dass eine Nachliquidation grundsätzlich zulässig sei, wenn ein Prozessbevollmächtigter fälschlich seine Kosten nach altem Gebührenrecht abgerechnet habe, solange noch keine Verjährung der Ansprüche eingetreten ist (MDR 1979, 235). Zahlreiche Obergerichte haben entschieden, dass die irrige Annahme eines zu niedrigen Streitwertes im Wege der Nachfestsetzung korrigiert werden könne (vgl. OLG Hamm Rpfleger 1982, 80; OLG Hamburg MDR 1979, 235 und BayObLG NfBR 2004, 621; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.6.1985–6 W 16/85).
Vor diesem Hintergrund ist eine Nachliquidierung auch im Streitfall möglich. Folge der materiellen Rechtskraft ist nämlich, wie bereits ausgeführt, lediglich, dass sich seine neue Entscheidung über denselben Streitgegenstand verbietet (vgl. BGHZ 93, 278, 289). Für das Kostenfestsetzungsverfahren folgt daraus, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse nur hinsichtlich zu- oder aberkannter Kosten formell und materiell rechtskräftig werden können. Die Rechtskraft eines Festsetzungsbeschlusses erstreckt sich immer nur auf die beantragten und festgesetzten Kosten; darüber hinausgehende Kosten können deshalb innerhalb der Verjährungsfrist grundsätzlich noch nachträglich geltend gemacht und festgesetzt werden (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.).
Um feststellen zu können, ob die materielle Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses der Nachliquidierung entgegen steht, bedarf es mithin zunächst Feststellungen dazu, was überhaupt durch den ersten Kostenfestsetzungsbeschluss in Rechtskraft erwachsen ist. Nach allgemeiner Ansicht bestimmt sich der Streitgegenstand durch den gestellten Antrag sowie den dem Antrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., Einl. Rn 68, 72). Der zuletzt von der Klägerin gestellte Antrag auf Kostenausgleich – nur der zuletzt gestellte Antrag ist für den folgenden Kostenfestsetzungsbeschluss maßgeblich – lautete dahin, hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren einen Betrag von 2.495,95 EUR in die Kostenausgleichung einzustellen. Hinsichtlich der Verfahrensgebühr war Gegensta...