1. Grundsätze
Nach Auffassung des OLG, das sich insoweit auf die Zuschrift des Vertreters der Staatskasse bezieht, ist die Gebühr Nr. 4143 VV entstanden. Da die Nebenklägerin ihre Anwältin in 2020 und damit noch vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021 beauftragt habe, sei gem. § 60 Abs. 1 RVG das RVG in der Fassung bis Ende 2020 anzuwenden.
Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV a.F. entstehe für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben. Die Gebühr entstehe für jeden Rechtsanwalt, der mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde, auch für den Nebenklägervertreter, wenn er neben der Vertretung in dem Nebenklageverfahren von dem Verletzten noch mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde. Erforderlich sei immer, dass der Rechtsanwalt ausdrücklich auch für die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt werde. Die Gebühr entstehe aber nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig sei. Sie entstehe auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.
Als Verfahrensgebühr verdiene der Rechtsanwalt die Gebühr für das "Betreiben des Geschäfts" (vgl. Vorbem. 4 Abs. 2 VV). Abgegolten würden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringe. Es komme aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG. 25. Aufl., 2021, VV 4143 Rn 6 ff.; BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn 5); es müsse also auch kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt sein (BeckOK RVG/Knaudt, a.a.O., RVG VV 4143 Rn 5; Toussaint/Felix, KostG, 51. Aufl., 2021, RVG VV 4143 Rn 17).
Die als Verfahrensgebühr ausgestaltete Wertgebühr entsteht für jeden mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren beauftragten Rechtsanwalt mit dem Betreiben des Geschäfts. Dies könnten neben der Beschaffung der Information durch das Gespräch mit dem Mandanten und die Beratung des Mandanten auch Tätigkeiten bei der Frage der Schadenswiedergutmachung als Bewährungsauflage sein (BeckOK RVG/Knaudt, a.a.O., RVG VV 4143 Rn 3, 4). Es genüge, wenn der Rechtsanwalt im Vorfeld eines beabsichtigten Adhäsionsantrags Informationen einhole oder wenn er in der Hauptverhandlung einen Vergleich abschließe, auch ohne dass zuvor ein förmlicher Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO gestellt worden sei (Riedel/Sußbauer/Kremer, RVG, 10. Aufl., 2015, RVG VV 4143 Rn 9). Zu den Tätigkeiten könne die Prüfung der Anspruchshöhe, die Beratung des Mandanten oder auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gehören (Toussaint/Felix, a.a.O.; RVG VV 4143 Rn 16). Die Gebühr verbleibe dem Rechtsanwalt auch, wenn das Gericht von einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch absieht, weil sich der vermögensrechtliche Anspruch für eine Entscheidung im Strafverfahren nicht eigne (Riedel/Sußbauer/Kremer, a.a.O., RVG VV 4143 Rn 10).
2. Die Umstände im Fall des OLG Hamm
Nach diesen Maßstäben sei – so das OLG – die Gebühr Nr. 4143 VV jedenfalls im Rahmen des geführten Rechtsgesprächs mit der Aufnahme der Informationen hinsichtlich der Schadenskompensation bzw. des Schmerzensgeldes entstanden. Denn die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV a.F. entstehe – wie hier – im Falle der Beauftragung mit der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren bereits mit der ersten (darauf gerichteten) Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455 = RVGprof. 2010, 4). Da die Gebühr bereits durch das Betreiben des Geschäfts entstehe, sei die verbindliche Erledigung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere durch einen gerichtlichen Vergleich oder einen Vertrag, auch dann, wenn – wie hier kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt werde, nicht erforderlich (a.A. LG Hanau, Beschl. v. 2.9.2014 – 3 Qs 68/14, wonach "ein formloses Thematisieren etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche ohne verbindliche Erledigung selbiger ohne das Vorliegen eines Adhäsionsantrages nicht zum Entstehen der Gebühr führen kann".).
Auch die vom Verurteilten gezogene Parallele zu dem Gebührentatbestand nach Nr. 4141 VV führe nicht zu einer anderen Entscheidung. Die beiden Gebühren seien – abgesehen davon, dass sie zusätzliche Gebühren sind – nicht wesensgleich. Eine Verkürzung des Strafverfahrens stehe bei der Entstehung der Gebühr Nr. 4143 VV nicht im Vordergrund. Die Gebühr Nr. 4141 VV sei keine Verfahrensgebühr, sondern entstehe nur in Höhe einer Verfahrensgebühr. Nach dem Normzweck der Gebühr Nr. 4141 VV solle für den Rechtsanwalt ein Anreiz geschaffen werden, sich – auch wenn er durch die Mitwirkung die Terminsgebühr verliert – dennoch um eine Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zu bemühen (Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., 2021, Teil 1: RVG Nr. 4141–...