I. Fragen
1. Fall 1
Das Prozessgericht beraumt in einem Zahlungsrechtsstreit über 20.000,00 EUR Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15.1., 9.00 Uhr an. Dem Klägervertreter, der die Klageschrift eingereicht hatte, wird von der Geschäftsstelle des Gerichts versehentlich zu diesem Tag auf 12.00 Uhr geladen, während der Beklagtenvertreter zur richtigen Terminsstunde geladen wurde. Zu dem angesetzten Termin erscheint nach Aufruf der Sache lediglich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten. Als nach Ablauf einer Wartefrist von 15 Minuten der Klägervertreter immer noch nicht erschienen war, erörtert der Richter die Sach- und Rechtslage mit dem Beklagten und weist diesen darauf hin, dass nach derzeitigem Verfahrensstand die Klage begründet und die Einwendungen des Beklagten unerheblich seien. Hieraufhin erklärt der Beklagtenvertreter, er stelle keinen Antrag. Der Rechtsanwalt entfernt sich aus dem Sitzungssaal. Der Richter schließt die mündliche Verhandlung in dieser Sache.
Als der Prozessbevollmächtigte des Klägers um 11:50 Uhr erscheint, bemerkt er, dass "sein" Rechtsstreit auf dem Terminzettel bereits durchgestrichen ist. Der Rechtsanwalt betritt den Sitzungssaal, in dem sich der Richter noch befindet, der die Protokolle durchsieht. Der Richter erklärt dem Klägervertreter, der Termin in diesem Rechtsstreit sei längst beendet, die Ladung zur falschen Terminsstunde beruhe leider auf einem Irrtum der Geschäftsstelle. Einige Tage später zahlt der Beklagte die rechtshängige Klageforderung an den Kläger, sodass dieser schriftsätzlich die Erledigung der Hauptsache anzeigt. Nach Erlass eines Kostenbeschlusses im schriftlichen Verfahren, nach dem dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden, ist das Verfahren beendet.
Welche Gebühren und Auslagen sind den beteiligten Rechtsanwälten angefallen?
II. Fall 2
Rechtsanwalt X ist dem Kläger in dem vor dem AG Berlin-Mitte anhängigen Rechtsstreit im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Nach Beendigung dieses Rechtsstreits hat Rechtsanwalt X gem. § 55 Abs. 1 RVG die Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zustehenden Vergütung beantragt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Festsetzung einer von Rechtsanwalt X ebenfalls beantragten 1,0-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV i.H.v. 222,00 EUR wegen fehlender Mitwirkung des Rechtsanwalts am Abschluss des Einigungsvertrages abgesetzt, die übrigen Gebühren und Auslagen hingegen festgesetzt. Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts X, der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht abgeholfen hat, hat der Amtsrichter nach Anhörung des Bezirksrevisors als Vertreter der Landeskasse die Einigungsgebühr festgesetzt. Dieser Beschluss wurde dem Bezirksrevisor am 3.1. zugestellt. Am 13.1. reicht der Bezirksrevisor eine von ihm selbst gefertigte und unterschriebene Beschwerdeschrift zu den Gerichtsakten ein, mit der er die Absetzung der Einigungsgebühr erstrebt. Der Amtsrichter hilft der Beschwerde nach Anhörung des Rechtsanwalts X nicht ab und legt die Akten dem Beschwerdegericht, dem LG Berlin, zur Entscheidung vor, wo sie am 10.2. eingehen.
Welches Vorbringen des Rechtsanwalts hat am ehesten Erfolg und führt zur Zurückweisung der Beschwerde des Bezirksrevisors?
II. Lösungen
1. Lösung zu Fall 1
I. Anfall der Terminsgebühr
Die Terminsgebühr entsteht, wenn mindestens einer der in Vorbem. 3 Abs. 3 VV aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist oder wenn einer der in Abs. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV aufgeführten Fälle vorliegt. In Betracht kommt hier allein die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV. In einem solchen Fall entsteht die Terminsgebühr, wenn der Rechtsanwalt nach Aufruf der Sache im Sitzungssaal vertretungsbereit anwesend ist. Hierfür muss der Rechtsanwalt an dem Termin teilnehmen und bereit und willens sein, das Geschehen im Verhandlungstermin und im Interesse seines Mandanten zu verfolgen und erforderlichenfalls einzugreifen.
II. Beklagtenvertreter
Diese Voraussetzungen waren hier beim Beklagtenvertreter erfüllt. Der Rechtsanwalt hat nach Aufruf der Sache den Gerichtssaal betreten und hat die Sach- und Rechtslage mit dem Richter erörtert. Für diese Tätigkeit ist ihm – wenn nicht bereits durch vorangegangene Tätigkeiten – sowohl die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) als auch die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV angefallen. Die Ermäßigungsvorschrift der Nr. 3105 VV greift hier nicht ein, da der Beklagtenvertreter mehr getan hat als lediglich einen Antrag zur Prozess-, Verfahrens- oder Sachleitung gestellt zu haben. Er hat nämlich mit dem Richter die Sach- und Rechtslage einseitig erörtert.
Somit kann der Beklagtenvertreter nach Beendigung des Rechtsstreits seine Vergütung wie folgt abrechnen:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
1.068,60 EUR |
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(Wert: 20.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
986,40 EUR |
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(Wert: 20.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. ... |