ZPO §§ 78, 91; AEUV Art. 267; EuGH-Satzung Art. 19, Art. 23; EuGH-VerfO Art. 103, Art. 104; RVG §§ 15, 19, 38; RVG VV Nrn. 3206, 3208, 3210; BRAGO §§ 11, 113a
Leitsatz
- Das auf eine Vorabentscheidungsvorlage des BGH geführte Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH stellt gegenüber dem Revisionsverfahren eine eigene selbstständige Angelegenheit dar, in der der Anwalt eine gesonderte Vergütung erhält.
- In einem solchen Vorabentscheidungsverfahren steht einem bei dem BGH zugelassenen Rechtsanwalt, der seine Partei auch im Vorabentscheidungsverfahren vertritt, für diese Tätigkeit eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3206 VV zu.
- Darüber hinaus kann er selbst dann, wenn im Vorabentscheidungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, eine 1,5-fache Terminsgebühr nach Nr. 3210 VV beanspruchen.
BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – VIII ZB 3/11
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren, die bei der Beklagten durch die Teilnahme ihres Revisionsanwalts an dem vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) geführten und durch Urteil abgeschlossenen Vorabentscheidungsverfahren angefallen sind. Dem zu Grunde liegt eine Vorabentscheidungsvorlage des Senats in dem von der Klägerin geführten Revisionsverfahren, in welchem die Klägerin sich gegen die von den Vorinstanzen erkannte Klageabweisung gewandt hat. Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof hat sich die Beklagte durch ihren für das Revisionsverfahren bestellten, beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, der für sie eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hat. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist von den Parteien nicht beantragt worden. Im Anschluss an das im schriftlichen Verfahren ergangene Urteil des Gerichtshofs hat die Klägerin ihre Revision zurückgenommen. Ihr sind daraufhin durch Beschluss des Senats die Kosten der Revision einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Gerichtshof auferlegt worden.
Die Beklagte begehrt für das Revisionsverfahren vor dem Senat wie auch für das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof gegen die Klägerin die Festsetzung von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von jeweils einer 2,3-Verfahrensgebühr (Nrn. 3206, 3208 VV) und einer 1,5-Terminsgebühr (Nr. 3210 VV).
Das LG hat für das Vorabentscheidungsverfahren die Verfahrensgebühr nach einem 2,3-fachen Satz zugebilligt, die Terminsgebühr dagegen abgesetzt. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden beider Parteien hat das OLG zurückgewiesen. Mit den zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgt die Beklagte die Festsetzung der angemeldeten Terminsgebühr weiter, während die Klägerin die Herabsetzung der Verfahrensgebühr auf einen Satz von 1,6 gem. Nr. 3206 VV erstrebt.
Beide Rechtsbeschwerden haben Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Dem im Revisionsverfahren vor dem BGH tätig gewordenen Rechtsanwalt der Beklagten stehe für das Betreiben des ihm im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof übertragenen Geschäfts eine 2,3fache Verfahrensgebühr schon deshalb gem. Nr. 3208, Vorbem. 3 Abs. 2 VV, § 78 Abs. 1 S. 3 ZPO zu, weil das Vorabentscheidungsverfahren Teil des Revisionsverfahrens sei. Aus § 38 Abs. 1 S. 1 RVG folge nichts Gegenteiliges, da diese Bestimmung – anders als die Vorgängerregelung des § 113a Abs. 1 S. 2 BRAGO – die Anwendung des auf die besondere Anwaltszulassung zugeschnittenen Gebührentatbestandes gem. Nr. 3208 VV zulasse.
Dagegen sei eine Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 VV im Vorabentscheidungsverfahren nicht entstanden. Das hätte vorausgesetzt, dass das Urteil des Gerichtshofs aufgrund einer mündlichen Verhandlung hätte ergehen müssen, von der das Gericht nur im Einverständnis der Parteien oder aus besonderen Gründen hätte absehen dürfen. Hier habe es Art. 104 § 4 VerfO EuGH dem Gerichtshof aber im Grundsatz freigestellt, über das Vorabentscheidungsersuchen mündlich zu verhandeln.
2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann die Beklagte für die Tätigkeit ihrer Revisionsanwälte im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof nur die Erstattung einer mit dem 1,6-fachen Satz anzusetzenden Verfahrensgebühr gem. Nr. 3206 VV beanspruchen. Zusätzlich ist jedoch eine mit dem 1,5-fachen Satz zu bemessende Terminsgebühr nach Nr. 3210 VV angefallen, deren Erstattung die Beklagte gem. § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO ebenfalls verlangen kann.
a) Zu den gesetzlichen Gebühren eines Rechtsanwalts, der in einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof tätig wird, ordnet § 38 Abs. 1 S. 1 RVG eine entsprechende Geltung der Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 VV an. Insoweit entspricht es allgemeiner Auffassung, dass mit dieser Verweisung die Gebührentatbestände in Unterabschnitt 2 betreffend die Revision, also Nr. 3206 ff. VV, gemeint sind (Riedel/Sußbauer/Schneider, RVG, 9. Aufl., § 38 Rn 4; AnwK-RVG/Wah...