Leitsatz
Legt der Rechtsanwalt gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch ein, beantragt er wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legt er dar, dass auch ein anderer als sein Mandant der Fahrzeugführer gewesen sein könnte und wird daraufhin das Verfahren eingestellt, liegt eine Mitwirkung des Rechtsanwalts i.S.d. Nr. 5115 VV vor.
LG Potsdam, Beschl. v. 26.11.2012 – 24 Qs 118/11
1 Sachverhalt
Das gerichtliche Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen, das den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hatte, wurde durch Beschluss des AG eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt.
Daraufhin beantragte der Verteidiger, die notwendigen Auslagen des Betroffenen wie folgt festzusetzen:
Grundgebühr Nr. 5100 VV |
110,00 EUR |
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV |
180,00 EUR |
Fotokopienkosten Nr. 7000 VV (65 Seiten) |
27,25 EUR |
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV |
160,00 EUR |
Gebühr Nr. 5115 VV |
160,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
2 x Aktenpauschale a 12,00 EUR |
24,00 EUR |
Zwischensumme |
681,25 EUR |
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV |
129,44 EUR |
Gesamtbetrag |
810,69 EUR |
Nachdem dem Vertreter der Landeskasse rechtliches Gehör gewährt worden war, setzte das AG die dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf insgesamt 560,79 EUR fest. Dabei hielt die Rechtspflegerin im einzelnen folgende Gebühren, Entgelte und Pauschalen für angemessen:
Grundgebühr Nr. 5100 VV |
85,00 EUR |
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV |
180,00 EUR |
Fotokopienkosten Nr. 7000 VV (65 Seiten) |
27,25 EUR |
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV |
135,00 EUR |
Gebühr Nr. 5115 VV |
0,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
2 x Aktenpauschale a 12,00 EUR |
24,00 EUR |
|
471,25 EUR |
19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV |
89,54 EUR |
Gesamtbetrag |
560,79 EUR |
Die Gebühr Nr. 5115 VV ist nach Ansicht des AG nicht entstanden. Zur Begründung wird ausgeführt, dass eine anwaltliche Mitwirkung aus der Akte nicht ersichtlich sei. Abgesetzt wurden insgesamt 249,12 EUR (beantragt wurden 810,69 EUR, festgesetzt wurden 560,79 EUR).
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss legte der Verteidiger sofortige Beschwerde ein.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers über die Kostenfestsetzung ist gem. § 464b S. 3 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde statthaft. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach h.M. (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464b Rn 6 m.w.Nachw.), der die Kammer folgt, nach den Grundsätzen der StPO, woraus folgt, dass die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 S. 1 StPO gilt (BGHSt 48, 106, 107/108 m.w.Nachw. [= AGS 2003, 177]) und im Beschwerdeverfahren in der für Strafverfahren vorgesehenen Besetzung entscheiden wird (Meyer/Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464b Rn 7; a.M. OLG Düsseldorf NStZ 2003, 324 [OLG Düsseldorf 21.10.2002 – 3 Ws 336/02]; gem. § 568 S. 1 ZPO stets der Einzelrichter). Die sofortige Beschwerde wurde rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt.
Auch der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) ist erreicht, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 EUR.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
a) Die durch das AG festgesetzte Grundgebühr nach Nr. 5100 VV in Höhe von 85,00 EUR begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dieser Betrag entspricht der Mittelgebühr, die ein Wahlanwalt beanspruchen kann. Ausgangspunkt ist beim Wahlverteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des jeweils in Betracht kommenden Rahmens, keineswegs grundsätzlich ein geringerer Betrag (vgl. LG Düsseldorf JurBüro 2007, 84; AG Altenkirchen JurBüro 2000, 638; AG Fürstenwalde JurBüro 2007, 418; Hartmann, KostG, 42. Aufl., VV 5100, Vorbem. 5.1, Rn 5). Die von dem Verteidiger bestimmte Grundgebühr in Höhe von 110,00 EUR ist unverbindlich. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn 54 m.w.Nachw.).
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass teilweise auch in der Judikatur (vgl. AG Limburg AGS 2009, 161) die Ansicht vertreten wird, dass dem Rechtsanwalt insoweit ein Ermessenspielraum von bis zu 30 % zuzugestehen sei (vgl. Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn 54 m.w.Nachw.).
Die Kammer legt eine Toleranzgrenze von 20 % zugrunde. Sie konkretisiert damit ihre Entscheidung vom 16.12.2008 – 24 Qs 113/08. Die Zwanzig-Prozent-Linie ist dabei aber nur als "Merklinie" anzusehen (so auch LG Kaiserslautern MDR 1991, 559; OLG München MDR 2004, 176) und bei der Bewertung der individuelle Fall zu berücksichtigen, weil anderenfalls keine Ermessensausübung vorliegt (AG Kehl, 4 C 19/11 v. 26.4.2011; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 14 Rn 24). Eine zu tolerierende Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt liegt auch bei Nichtüberschreiten der "Toleranzgrenze" von 20 % nur dann vor, wenn diese ...