Leitsatz
- Wird das Mandat gekündigt, bevor der Anwalt einen Schriftsatz mit Sachanträgen eingereicht hat, entsteht nur eine 0,8-Verfahrensgebühr.
- Eine Kündigung des Mandats kann auch per E-Mail erfolgen, wenn der Anwalt diese Form der Kommunikation eröffnet hat.
OLG Jena, Beschl. v. 19.2.2016 – 1 W 591/15
1 Sachverhalt
Dem Beklagten war am 9.5.2015 eine Klage zugestellt worden mit der Aufforderung, binnen drei Wochen nach Zustellung der Klage auf diese zu erwidern. Am späten Abend des 27.5.2015 telefonierte der Antragsgegner mit seinem Anwalt, dem er zuvor Unterlagen für das Klageverfahren in den Briefkasten gelegt hatte. Mit einer am 28.5.2015 um 0:08 Uhr beim Anwalt eingegangenen E-Mail teilte der Beklagte seinem Anwalt mit, dass "in der gestern Abend telefonisch angesprochenen Sache eine anwaltliche Vertretung nicht notwendig" sei. Zudem forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die übergebenen Unterlagen zur Abholung bereit zu legen. Mit am 28.5.2015 um 08:56 Uhr bei Gericht eingegangenem Schriftsatz zeigte der Anwalt die Vertretung des Beklagten in dem Klageverfahren an und beantragte Klageabweisung. Mit Schriftsatz vom 29.5.2015 legte er dann das Mandat mit sofortiger Wirkung nieder.
Nunmehr beantragte der Anwalt gem. § 11 RVG die Festsetzung seiner Vergütung in einer Gesamthöhe von 2.348,94 EUR. Dabei legte der Antragsteller eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV in Höhe von 1,3 zugrunde.
Der Beklagte erwiderte, dass keine Beauftragung vorgelegen habe und daher keine Gebührentatbestände erfüllt seien.
Die Rechtspflegerin hat die beantragte Vergütung festgesetzt.
Dagegen richtet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat.
Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3100, 3101 VV ist entstanden. Sie entsteht gem. Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie fällt folglich schon durch die Entgegennahme des Auftrags sowie erster Informationen an (BGH, Beschl. v. 23.11.2006 – I ZB 39/06, juris Rn 18 [= AGS 2007, 477]). Jede Geschäftstätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren, selbst wenn sie nicht dem Gericht gegenüber erfolgt, bringt die Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3100, 3101 VV zum Entstehen (BGH, Beschl. v. 23.11.2006 – I ZB 39/06, juris Rn 18). So verhält es sich hier. Der Antragsgegner hat mit dem Antragsteller nicht nur telefonisch Kontakt aufgenommen und über die Klage gesprochen, sondern dem Antragsteller zudem auch Unterlagen zukommen lassen, die der Antragsteller gesichtet hat. Darüber hinaus hat der Antragsgegner in einem an den Antragsteller gerichteten Zettel u.a. notiert: "Neuer Fall".
Die Verfahrensgebühr ist aber nicht in voller Höhe von 1,3 anzusetzen, sondern nur in Höhe von 0,8. Nach Nr. 3101 Nr. 1 VV reduziert sich die Verfahrensgebühr auf 0,8, wenn der Auftrag endigt, bevor der Rechtsanwalt die Klage, den ein Verfahren einleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, Sachvortrag, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, eingereicht hat oder bevor er einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat. Zwar hat der Antragsteller hier einen Schriftsatz eingereicht, der einen Klageabweisungsantrag enthält. Dennoch ist nur eine reduzierte Gebühr festzusetzen, weil der Antragsgegner den Auftrag vor Einreichung des Schriftsatzes widerrufen hatte. Nach § 671 Abs. 1 BGB kann der Auftrag von dem Auftraggeber jederzeit widerrufen werden. Dies ist hier geschehen. Unschädlich ist, dass der Widerruf per E-Mail in der Nacht vom 27.5.2015 auf den 28.5.2015 bei dem Antragsteller eingegangen ist. Eröffnet der Rechtsanwalt eine Kommunikation über E-Mail, so muss er Sorge dafür tragen, dass eine Kenntnisnahme eingegangener E-Mails jedenfalls während der üblichen Bürozeiten möglich ist und auch erfolgt. Nach dem Briefkopf des Antragstellers ist die Bürozeit ab 8:00 Uhr. Bis zur Versendung des Schriftsatzes am 28.5.2015 um 8:56 Uhr bestand nahezu eine Stunde Zeit, die E-Mail des Antragsgegners zur Kenntnis zu nehmen und eine weitere anwaltliche Tätigkeit einzustellen. Im Übrigen kommt die Regelung des § 674 BGB und die dort enthaltene Fiktion des Fortbestands des Auftrags hier schon deshalb nicht zur Anwendung, weil der Auftrag durch einen Widerruf und nicht auf andere Weise erloschen ist.
Demnach hat der Antragsteller einen Anspruch auf folgende Vergütung:
0,8-Verfahrensgebühr |
1.202,40 EUR |
Auslagenpauschale |
20,00 EUR |
Mehrwertsteuer |
232,26 EUR |
Zustellungskosten |
3,50 EUR |
Gesamt |
1.458,16 EUR |
AGS 6/2016, S. 268 - 269