Leitsatz

Der Versicherer muss beim VN klärend nachfragen, wenn dessen Angaben im Schadenanzeigeformular (oder einem anderen der Schadensregulierung dienenden Fragebogen) widersprüchlich, sonstwie unklar oder erkennbar unrichtig sind. Anderenfalls kann er sich nach Treu und Glauben nicht auf Leistungsfreiheit wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung berufen.

 

Normenkette

§ 34 VVG, § 7 I Abs. 2 Satz 3 AKB, § 7 V Nr. 4 AKB

 

Sachverhalt

Die Kl. nahm die Bekl. aus einer Teilkaskoversicherung auf Zahlung einer Diebstahlentschädigung für das versicherte Leasingfahrzeug in Anspruch. Die Bekl. verweigerte Versicherungsschutz. Sie bestritt den Diebstahl und berief sich überdies auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, weil die Kl. - vertreten durch ihren Geschäftsführer S. - Falschangaben zur Laufleistung des Fahrzeugs gemacht habe.

Das LG hat der Kl. im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Das OLG entschied, dass die Bekl. nicht wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden ist. Zwar enthalte - so das OLG - das Fragebogenformular vom 6.7.1998 zur Frage 51 (Wie viel Kilometer wurden mit dem Fahrzeug seit Erwerb gefahren) einen Eintrag von "32 - 33.000 km", der vom Geschäftsführer S. der Kl. stamme und objektiv unrichtig sei.

Aufgrund der vom Senat eingeholten Auskunft der Fa. X. Automobile vom 25.10.1999 stehe fest, dass das versicherte Fahrzeug dort zuletzt am 19.12. 1997 vorgestellt worden ist und bereits zu diesem Zeitpunkt einen Tachometerstand von 34.867 km aufgewiesen habe. Auch in der Folgezeit sei das Fahrzeug unstreitig weiter genutzt worden, allerdings bei weitem nicht so intensiv wie in der Zeit vor dem 19.12.1997 (wird weiter ausgeführt). Der Senat gehe deshalb von einer Gesamtlaufleistung zum Diebstahlzeitpunkt von ca. 37.300 km aus. … Damit liege eine außerhalb der üblichen Schätzungstoleranzen gegebene Abweichung zur angegebenen Laufleistung von "32 - 33.000 km" vor.

Ob die Kl. sich vom Vorwurf des gesetzlich vermuteten Vorsatzes ihres Geschäftsführers entlasten könne, sei zweifelhaft. Seiner Behauptung, er habe den Kilometerstand vage geschätzt und sei bei der Befragung durch den Regulierungsbeauftragten fortlaufend gedrängt worden, stehe die unstreitige Tatsache entgegen, dass er bereits bei der polizeilichen Strafanzeige am 5.6.1998 einen Kilometerstand von ca. 32.000 angegeben habe. Letztlich bedürfe dies einer abschließenden Entscheidung aber nicht.

Der Bekl. sei nämlich die Berufung auf Leistungsfreiheit bereits deshalb verwehrt, weil sie dem Geschäftsführer der Kl. die für sie offenkundige Unrichtigkeit der Laufleistungsangaben nicht vorgehalten und nicht auf diese Weise auf eine sachgerechte Klärung der Formularfrage hingewirkt habe. Wie bei der Vernehmung des Schadenregulierers R. deutlich geworden sei, war diesem bereits vor der Befragung des Geschäftsführers S. am 6.7.1998 bekannt, dass das versicherte Fahrzeug schon im Dezember 1997 einen Kilometerstand von 34.867 aufgewiesen hatte. Dies sei ihm am 2.7.1998 bei Recherchen im Autohaus X. anhand eines Werkstattauftrags mitgeteilt worden. Gleichwohl habe der Zeuge R. - wie er auf Befragen vor dem Senat eingeräumt habe - keinen Anlass gesehen, dem Geschäftsführer der Kl. am 6.7.1998 einen Vorhalt dahingehend zu machen, dass die von ihm angegebene Laufleistung von "32 - 33.000 km" zweifelsfrei zu gering war.

Dieses Unterlassen einer klärenden Nachfrage (durch Schadenregulierer oder Schadenprüfer) führe dazu, dass die Berufung der Bekl. auf Leistungsfreiheit wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung treuwidrig sei. Ein Versicherungsverhältnis stehe in besonderem Maß unter dem Schutz des Grundsatzes von Treu und Glauben, der für den Versicherer gegebenenfalls auch Hinweis- und Fürsorgepflichten beinhalten könne. Dies gelte auch für die Schadensaufnahme und die ergänzende Befragung des VN. Auch hier dürfe der Versicherer nicht einseitig seine Interessen in den Vordergrund rücken, sondern habe auch die berechtigten Belange seines VN zu wahren. Deshalb könne er sich nicht ohne Weiteres auf Leistungsfreiheit nach § 6 Abs. 3 VVG berufen, wenn sich bereits aus dem ausgefüllten Schadensanzeigeformular ergebe, dass die darin vermerkten Angaben widersprüchlich oder sonst wie unklar seien (BGH VersR 1980, 159; 1997, 442 = r+s 1997, 84: Unklarheiten im Schadensanzeigeformular müsse der Versicherer mit einer Rückfrage nachgehen).

Gleiches müsse nach Auffassung des Senats auch dann gelten, wenn - wie hier - der Versicherer zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung bereits aus anderer Quelle sichere Kenntnis darüber hatte, dass die Angaben des VN unrichtig seien …

Ob eine Nachfrageobliegenheit auch bei arglistigen Falschangaben eines VN bestehe - die Rechtsprechung des BGH zur Risikoprüfungsobliegenheit eines Versicherers, die auch bei Arglist des Antragstellers gelten solle, werde im Schrifttum mit gewichtigen Argumenten angegriffen -, bedürfe im Streitfall keiner Entscheidung, weil argl...

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