Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Kündigung, die nach § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit anzeigenpflichtig ist, ist dann unwirksam, wenn die Anzeige nach Zugang der Kündigung erfolgt (§ 18 KSchG). Dies ergibt eine Auslegung des nationalen Rechts unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005..

 

Normenkette

KSchG §§ 17-18

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen des Beklagten mit Schreiben vom 30. März 2005 nicht aufgelöst worden ist.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.300,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die am …1951 geborene Klägerin ist seit dem 01.06.1988 bei der Insolvenzschuldnerin als Druckvorlagenherstellerin beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt ca. 2.100,00 EUR. Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist am 01.03.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Gleichzeitig wurde der hiesige Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Unter dem 18.03.2005 schlossen der Beklagte und der Betriebsrat einen Teilinteressenausgleich mit Namensliste (Kopie Bl. 23 ff. d.A.), wonach auch die Klägerin zu kündigen war. Unter dem 25.04.2005 fertigte der Beklagte eine Massenentlassungsanzeige an die Bundesagentur für Arbeit (Bl. 26 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 30.03.2005 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30.06.2005.

Mit der am 15.04.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 20.04.2005 zugestellten Klage setzt die Klägerin sich gegen diese Kündigung zur Wehr. Sie behauptet, die Kündigung sei ihr erst am 01.04.2005 zugegangen. Sie hält die Kündigung im Hinblick auf die §§ 1, 17 KSchG, 102 BetrVG für unwirksam.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 30.03.2005 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, der Klägerin sei die Kündigung noch am 31.03.2005 zugegangen. Er ist der Ansicht, dass trotz der Rechtsprechung des EuGH § 17 KSchG nicht richtlinienkonform ausgelegt werden könne, da der Gesetzestext insofern eindeutig sei. Insofern müsse es bei der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes verbleiben.

 

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 4, 7 KSchG zulässige Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigung vom 30.03.2005 aufgelöst worden. Die Unwirksamkeit der Kündigung ergibt sich aus § 18 KSchG.

1.

Die hiesige Kündigung erfolgt im Rahmen einer Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG und ist daher gegenüber der Agentur für Arbeit anzeigenpflichtig.

Hiervon gehen auch beide Parteien aus. Nach der Massenentlassungsanzeige vom 25.04.2005 beschäftigt der Beklagte regelmäßig 75 Arbeitnehmer. 12 Arbeitnehmer sollen danach entlassen werden, davon allein 9 zum 30.06.2005, u.a. auch die Klägerin. Die Kammer geht davon aus, dass zur Einhaltung der Kündigungsfristen zumindest diese 9 Kündigungen zeitnahe um den 31.03.2005 herum erfolgten, so dass mehr als 10 % der regelmäßig Beschäftigten innerhalb von 30 Kalendertagen gekündigt wurden. Abweichendes hat der Beklagte auch nicht vorgetragen.

2.

Eine Kündigung, die nach § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit anzeigenpflichtig ist, ist dann unwirksam, wenn die Anzeige nach Zugang der Kündigung erfolgt (§ 18 KSchG). Dies ergibt eine Auslegung des nationalen Rechts unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 – C – 188/03 (Irmtraut Junk/Wolfgang Kühnel – NZA 2005, 213). Danach sind die Artikel 24 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahingehend auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, dass als Entlassung gilt. Der Arbeitgeber darf Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens i.S.d. Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG und nach Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung i.S.d. Art. 3 u. 4 der Richtlinie vornehmen.

Spätestens mit dieser Entscheidung ist im hohen Maße umstritten, was unter „Entlassung” i.S.d. §§ 17, 18 KSchG zu verstehen ist. Während die einen im Wege einer europarechtskonformen Auslegung hierunter die Kündigungserklärung fassen (ArbG Berlin v. 01.03.2005 – 36 Ca 19726/02 – NZA 2005, 585; ArbG Bochum v. 17.03.2005 – 3 Ca 307/04 – gespeichert in juris; Nicolai NZA 2005, 206; Riesenhuber/Domröse NZA 2005, 568) lehnen andere dies mit dem Argument ab, der nationale Gesetzgeber habe eine eindeutige Regelung getroffen, die einer Auslegung nicht fähig sei (BAG v. 18.09.2003 – 2 AZR 79/02 – NZA 2004, 375; ArbG Krefeld v. 14.04.2005 – 1 Ca 3731/04 – NZA 2005, 582; ArbG Lörrach v. 24.03.2005 – 2 Ca 496/04 – NZA 2005, 584).

Im Ausgangspunkt ist noch unstreitig, dass der im deutschen Recht verwendete Begriff „Entlassung” sowohl die Kündig...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge