rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratsmitglied. außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist. krankheitsbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds aus in seiner Person liegenden Gründen ist nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegt. Die Kündigung ist nicht möglich, wenn sie nur mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen werden könnte.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.10.2010 zum 30.06.2011 beendet wird.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 8.400,00 EUR festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht nach § 64 Abs. 3 ArbGG zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.
Der 40-jährige Kläger ist ledig und kinderlos. Er ist seit 01.10.1994 bei der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft bzw. deren Rechtsvorgängerin angestellt. Zu seinen Aufgaben gehören Chauffeur- und Hausmeisterdienste, Botengänge und Archivierungsaufträge. Der Kläger verdient zuletzt monatlich 2.800,– EUR brutto und ist Mitglied des Betriebsrats, der am 28.05.2010 im Betrieb der Beklagten gewählt wurde.
Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB 100. Wegen einer Nierenerkrankung erhielt er im April 2000 zwei Spendernieren. Nach wie vor leidet der Kläger an Niereninsuffizienz und den Folgen der Transplantation mit immunsuppressiver Therapie. Dies äußert sich unter anderem darin, dass bei Infektionen und anderen Krankheiten leichter Komplikationen auftreten bzw. sich die Genesung verzögert.
Die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers seit 2007 und die damit verbundenen Entgeltfortzahlungskosten der Beklagten stellen sich wie folgt dar (im Einzelnen S. 13 ff des Schriftsatzes vom 16.02.2011, AS 83 ff):
Zeitraum |
Anzahl der Arbeitstage, an denen der Kläger arbeitsunfähig krank war |
davon Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung |
Entgeltfortzahlungskosten incl. Arbeitgeberanteil Sozialversicherung |
2007 |
117,5 |
105,5 |
19.485,07 EUR |
2008 |
179,5 |
81,5 |
15.313,02 EUR |
2009 |
110 davon 02.08.-30.09. wegen Depression |
58 |
9.196,53 EUR |
01.-29.10.2010 |
114 davon 14.01.-11.02.2010 Rehabilitationsmaßnahme |
53 |
8.431,69 EUR |
Seit Dezember 2010 arbeitet der Kläger ohne (bzw. ohne nennenswerte) Ausfallzeiten.
Mit Schreiben vom 21.10.2010 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist (Anlage 4, AS 100 ff). Der Betriebsrat gab am 25.10.2010 seine Zustimmung (Anlage 5, AS 107). Das Integrationsamt bestätigte der Beklagten am 26.10.2010 auf deren Antrag hin, dass mit Ablauf des 25.10.2010 die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist gemäß § 91 Abs. 3 SGB IX als erteilt gelte. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 26.10.2010 die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit Auslauffrist zum 30.06.2011 (Anlage K3, AS 13 f).
Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung; gegen die Zustimmung des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt.
Der Kläger meint, die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist sei angesichts seiner Stellung als Betriebsratsmitglied unzulässig. Die personenbedingte Kündigung von Betriebsratsmitgliedern sei generell ausgeschlossen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG. Maßstab der Interessenabwägung sei die fiktive Kündigungsfrist eines kündbaren Arbeitnehmers, deren Einhaltung hier zweifellos zumutbar sei. Selbst wenn man stattdessen auf die Dauer des Sonderkündigungsschutzes (inklusive Nachwirkungszeitraum) abstelle, sei der Beklagten im konkreten Fall die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt zumutbar.
Der Kläger beantragt:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Beschäftigungsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.10.2010 zum 30.06.2011 beendet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, es sei auch in Zukunft weiterhin mit überdurchschnittlich langen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und entsprechenden Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen.
Die Beklagte meint, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes sei auch die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zulässig. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Sonderkündigungsschutzes sei für sie unzumutbar. Die außerordentliche Kündigung wegen Krankheit sei grundsätzlich möglich. Der Schutzzweck des § 15 KSchG – Abbau der Furcht des Betriebsratsmitglieds vor Repressalien wegen der Betriebsratsarbeit, Erhalt des Betriebsrats in seiner personellen Zusammensetzung während der gesamten Wahlperiode – sei hier zum einen erfüllt, zum anderen sei er in Ausnahmefällen zu reduzieren. Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts vom 17.01.2008 (2 AZR 821/06) zur verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung mit no...