Entscheidungsstichwort (Thema)

Bereitschaftsdienst, Arbeitszeit, Arzt, Krankenhaus, richtlinienkonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) beinhaltet auch Bereitschaftsdienste in Form persönlicher Anwesenheit an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort.

2. Der Begriff der Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG bestimmt sich im Wege rechtlinien-konformer Auslegung.

3. Die vom EuGH in der Simap-Entscheidung vom 03. Oktober 2000 vorgenommene Auslegung des Arbeitszeitbegriffs der Richtlinie 93/104 ist auf den deutschen Arbeitszeitbegriff übertragbar. Dabei ist es hinzunehmen, dass § 5 Abs. 3 ArbZG und § 7 Abs. 2 ArbZG in Bezug auf Bereitschaftsdienst leer laufen.

4. Die Ausgangssituation in der Simap-Entscheidung ist mit der in Deutschland vergleichbar. Die deutsche Umsetzung der Richtlinie durch das Arbeitszeitgesetz nimmt Artikel 17 Abs. 2 der Richtlinie als Ausnahmevorschrift für einen abweichenden Arbeitszeitbegriff nicht in Anspruch.

 

Normenkette

ArbZG §§ 2, 5, 7; Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits Art. 37 Abs. 1; EU-Richtlinie 93/104 Art. 17 Abs. 2

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gegenüber dem Kläger in seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit angeordneten Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne von § 2 ArbZG sind.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf DM 8.000,00 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Einordnung der seitens der Beklagten gegenüber dem Kläger angeordneten Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit (so der Kläger) oder als Ruhezeit (so die Beklagte). Dabei geht es ausschließlich um die arbeitsschutzrechtliche Seite der Bereitschaftszeiten, nicht dagegen um die vergütungsrechtliche.

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 01. Mai 1992 als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des ihres Krankenhauses zu ¾ der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Darüber hinaus ist der Kläger durch Nebenabrede verpflichtet, Bereitschaftsdienste bei der Beklagten zu leisten. Diese werden der Stufe D der Nr. 8 Abs. 2 der Anlage 2 c zum BAT (SR 2 c BAT) zugewiesen.

Der Kläger leistet im Monat regelmäßig sechs Bereitschaftsdienste, die teils durch Freizeit und teils durch zusätzliche Vergütung abgegolten werden. Der Bereitschaftsdienst beträgt wochentags 16 Stunden am Stück, sonnabends 25 Stunden (08:30 h Sonnabendmorgen bis 09:30 h Sonntagmorgen) und sonntags 22 Stunden 45 Min. (08:30 h Sonntagmorgen bis 07:15 h Montagmorgen).

Die Bereitschaftsdienste erfolgen dergestalt, dass sich der Kläger zwingend in der Klinik aufhält und dort auf Anordnung der Beklagten hin ggfs. anfallende Arbeiten erledigt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die von ihm als Assistenzarzt sowie als Notarzt im Rahmen des notärztlichen Dienstes geleisteten Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sei. Dies ergebe sich aus der direkten Anwendung der Richtlinie 93/104, denn diese sei hinsichtlich der Arbeitszeit durch das Arbeitszeitgesetz nicht umgesetzt. Die Auslegung des Arbeitszeitbegriffs im Urteil des EuGH vom 03. Okt. 2000 (AZ: C-303/98) sei auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Ausgangssituation inhaltlich identisch sei. Insbesondere sei der in Spanien abzuleistende Bereitschaftsdienst mit dem deutschen hinsichtlich der Beanspruchung vergleichbar. Das hinsichtlich des Arbeitszeitbegriffs vom Verständnis des EuGH abweichende deutsche Arbeitszeitgesetz sei deshalb in § 5 Abs. 3 ArbZG nicht anwendbar. Da der nationale Gesetzgeber Bereitschaftsdienst abweichend vom europäischen Recht definiert habe, sei die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt worden. Somit könne sich der Kläger direkt auf die Richtlinie beziehen. Art. 17 der Richtlinie könne von der Beklagten nicht als Ausnahmevorschrift für den deutschen Gesetzgeber herangezogen werden, da Art. 17 lediglich Ausnahmen bei der Ruhezeitpraxis nicht aber beim Arbeitszeitbegriff vorsehe.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die von der Beklagten gegenüber dem Kläger in seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit angeordneten Bereitschaftsdienste Arbeitszeit gemäß § 2 des ArbZG sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte führt aus, dass Bereitschaftsdienste nach ständiger Auslegung der nationalen Gerichte und der herrschenden Meinung in der Literatur als Ruhezeit und nicht als Arbeitszeit angesehen würden. Ansonsten liefen §§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 2 ArbZG leer. Der EuGH habe in seiner Entscheidung vom 03. Okt. 2000 zwar Bereitschaftsdienste als dem Arbeitszeitbegriff der Richtlinie unterfallend angesehen, nur gelte die Entscheidung nicht für den vorliegenden Fall. Die Entscheidung des EuGH habe zum einen keine Bindungswirkung für den vorliegenden Fall sondern nur für den Ausgangsfall, in dessen Rahmen Fragen seitens des spanischen Gerichts dem EuGH vorgelegt worden seien. Zum anderen sei de...

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