Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerlicher Progressionsvorbehalt und Altersteilzeitvereinbarung
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 22. März 2001 – 4 Sa 255/00 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, steuerliche Belastungen zu ersetzen, die sich aus dem Progressionsvorbehalt nach § 32 b EStG ergeben.
Die Parteien vereinbarten am 18. November 1997 einen Altersteilzeitvertrag (ATZ-Vertrag). Es handelte sich um einen vorformulierten Vertrag, den die Beklagte in einer Mehrzahl von Fällen anwandte. Nach § 2 Abs. 1 des ATZ-Vertrages wurde die Arbeitszeit im Durchschnitt auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden reduziert. Der Kläger arbeitete vereinbarungsgemäß vom 1. Januar 1998 bis zum 30. Juni 1999 in Vollzeit (Arbeitsblock). Vom 1. Juli 1999 bis zum 31. Dezember 2000 war er freigestellt (Ruheblock). Im Hinblick auf die zu zahlende Vergütung vereinbarten die Parteien im ATZ-Vertrag:
„§ 3
Arbeitsentgelt/Altersteilzeitleistungen
(1) Der Arbeitnehmer erhält für die gesamte Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses Entgelt nach Maßgabe der nach § 2 (1) reduzierten Arbeitszeit. Das monatliche Entgelt beträgt DM 3.362,– brutto.
(2) Das Arbeitsentgelt wird um einen Aufstockungsbetrag erhöht, so dass mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die beim Arbeitnehmer/in gewöhnlich anfallen, berechnet nach der jeweils gültigen Mindestnettobetrags-Verordnung in Verbindung mit § 111 Abs. 2 AFG, verminderten Vollzeitarbeitsentgeltes erreicht werden.”
Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag über Altersteilzeit, abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V., Hamburg, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V., Bremen, dem Verband der Metallindustriellen des Nordwestlichen Niedersachsens e.V. und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Hamburg, Bezirk Küste, Anwendung (im folgenden: TV ATZ). Zur Berechnung des Aufstockungsbetrags enthält er folgende Regelung:
„§ 7
Aufstockungsbetrag
Der Beschäftigte erhält einen Aufstockungsbetrag nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Altersteilzeitgesetz auf das Altersteilzeitentgelt. Dieser ist jedoch so zu bemessen, dass das monatliche Nettoentgelt mindestens 82 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei den Beschäftigten gewöhnlich anfallen, verminderten monatlichen Bruttovollzeitarbeitsentgeltes beträgt.
…”
Der Kläger hat vorgetragen, für 1998 und 1999 wegen des Progressionsvorbehalts Einkommenssteuern iHv. 3.832,00 DM und für 2000 in noch nicht bezifferbarer Höhe nachentrichten zu müssen. Damit habe er nicht die vereinbarte Nettozahlung iHv. 82 % seines bisherigen Arbeitsentgelts erhalten. Die Beklagte habe sich verpflichtet, ihn von allen Steuerabzügen freizustellen. Das Nettogehalt sei nach seinen individuellen Steuermerkmalen zu berechnen. Eine pauschalierte Berechnung der Lohnsteuer sei nicht vereinbart. Zudem habe die Beklagte ihn pflichtwidrig nicht über die Folgen des Progressionsvorbehalts aufgeklärt. Er habe daher zumindest einen Anspruch auf Schadenersatz.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verpflichten, an ihn einen Betrag in Höhe von 3.832,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. März 2000 zu zahlen,
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Einkommenssteuerbetrag zu ersetzen, der sich aus der Besteuerung des in dem Altersteilzeitvertrag § 3 Abs. 2 vereinbarten Aufstockungsbetrags ergibt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Klage sei der Höhe nach unsubstantiiert. Zudem sei der Aufstockungsbetrag nicht nach dem individuellen Nettoarbeitsentgelt zu berechnen, sondern unter Zugrundelegung der gewöhnlich anfallenden Abzüge, die in die Mindestnettobetragsverordnung eingeflossen seien. Auf die steuerlichen Folgen des Progressionsvorbehalts habe sie in einer Versammlung hingewiesen. Mangels eines konkret ersichtlichen Aufklärungsbedarfs sei sie zu diesem Hinweis allerdings nicht verpflichtet gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
I. Der Feststellungsantrag zu 2) ist gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Dem Kläger ist es nicht möglich gewesen, eine vorrangige Leistungsklage zu erheben, da er auf Grund der noch nicht abschließend von der Finanzverwaltung geprüften Einkommenssteuerveranlagung für das Jahr 2000 den tatsächlichen Nachzahlungsbetrag noch nicht hat beziffern können.
II. Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausgleich der ihm durch den Progressionsvorbehalt entstandenen Steuernachteile.
1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 2 des ATZ-Vertrages. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung der Parteien in Anwendung der §§ 133, 157 BGB dahingehend ausgelegt, dass keine Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung von progressionsbedingten Mehrbelastungen bestehe. Diese Auslegung des § 3 Abs. 2 ATZ-Vertrag durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Auslegung des Vertrages unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung. Es handelt sich um einen vorformulierten Vertrag, den die Beklagte mit identischem Inhalt für eine Vielzahl ihrer Arbeitnehmer angewendet hat (vgl. BAG 8. September 1998 – 9 AZR 255/97 – AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 10 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 32; 29. September 1958 – 2 AZR 324/57 – BAGE 6, 280).
Entgegen der Revision ergibt die Auslegung des § 3 Abs. 2 ATZ-Vertrag keine Verpflichtung der Beklagten, die sich aus dem Progressionsvorbehalt ergebenden zusätzlichen individuellen steuerlichen Belastungen des Klägers durch Erhöhung des Aufstockungsbetrages auszugleichen. Sie hat nur die auf das Arbeitsentgelt gewöhnlich anfallenden Lohnsteuerabzüge zu Gunsten des Klägers abzuführen. Hierzu gehören nicht die progressionsbedingten Mehrbelastungen.
a) Der Wille der Parteien, die Beklagte solle allein die gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Lohnsteuerabzüge bei der Berechnung des Aufstockungsbetrags berücksichtigen, ist im Wortlaut von § 3 Abs. 2 des ATZ-Vertrags erkennbar zum Ausdruck gekommen.
aa) Im Rahmen eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses zieht der Arbeitgeber weiterhin Lohnsteuern für das durch die frühere Arbeitsleistung verdiente Altersteilzeitarbeitsentgelt ab. Dabei bleibt der Aufstockungsbetrag nach § 3 Abs. 2 ATZ-Vertrag zwar nach § 3 Nr. 28 EStG steuerfrei. Nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 g iVm. Abs. 2 Nr. 1 EStG unterliegen allerdings Steuerpflichtige, die Aufstockungsbeträge bei Altersteilzeit erhalten, einem besonderen Steuersatz. Dieser ergibt sich daraus, dass bei der Berechnung der Einkommenssteuer das nach § 32 a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um den Aufstockungsbetrag vermehrt wird. Indem dem steuerlichen Einkommen eines in Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmers der steuerfreie Aufstockungsbetrag zur Berechnung des Steuersatzes hinzugerechnet wird, erhöht sich der Steuersatz für das steuerpflichtige Einkommen (vgl. BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 155/01 – DB 2002, 2491, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
bb) Gewöhnlich anfallende und vom Arbeitgeber nach § 38 Abs. 1 EStG abzuführende steuerliche Abzüge sind die Lohn- und Kirchensteuer, nicht aber die auf Grund des Progressionsvorbehalts entstehenden weiteren einkommenssteuerrechtlichen Belastungen. Belastungen, welche die Höhe der monatlichen Abzüge im Rahmen des vom Arbeitsentgelt vorzunehmenden Lohnsteuerabzugsverfahren unbeeinflusst lassen, sind nicht vom Arbeitgeber zu tragen. Dies gilt insbesondere für solche, die sich erst bei der jährlichen, vom Arbeitnehmer vorzunehmenden Einkommenssteuerveranlagung auswirken (BAG 25. Juni 2002 – 9 AZR 155/01 – aaO). Dazu gehören die auf Grund des Progressionvorbehalts zusätzlich anfallenden Steuern.
b) Im Übrigen haben die Parteien zugunsten einer pauschalen steuerlichen Betrachtung von der Berücksichtigung der individuellen steuerlichen Einkommensverhältnisse des Klägers abgesehen.
Die von den Parteien in § 3 Abs. 2 ATZ-Vertrag in Bezug genommene Mindestnettobetragsverordnung geht von den jeweiligen Bruttobeträgen des Arbeitsentgelts für die Berechnung des Aufstockungsbetrages aus und setzt anhand der Lohnsteuerklassen pauschal die gewöhnlich anfallenden Lohnsteuerabzüge fest. Hieraus hat die Beklagte die Mindestnettobeträge ermittelt. Individuelle Steuermerkmale hat sie zu Recht außer Acht gelassen. Der Gesetzgeber hat durch die Rechtsverordnung die Mindestnettobeträge unabhängig von den individuellen Verhältnissen festgelegt. Allein diese sind der Berechnung des Aufstockungsbetrags zu Grunde zu legen. Diese Pauschalierung entspricht auch § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AtG iVm. § 15 ATG, die ebenfalls auf die Mindestnettobetragsverordnung verweisen. Damit wird dem Interesse des Arbeitgebers Rechnung getragen, die Belastungen aus dem Altersteilzeitvertrag wirtschaftlich kalkulieren zu können. Wäre der Arbeitgeber verpflichtet, die individuelle Steuerschuld, die auf Grund des Progressionsvorbehaltes im Rahmen der Einkommenssteuerveranlagung festgesetzt wird, zu berücksichtigen, hätte dies auf Grund der insoweit erhöhten Aufstockungsleistung eine erneute Steuerprogression nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g EStG zur Folge. Eine derartige Progressionsspirale ist mit dem gesetzlichen Ziel, dem Arbeitgeber durch Pauschalierung die Berechnung des Nettoentgelts zu vereinfachen, nicht zu vereinbaren. Das entspricht auch der Auffassung des Schrifttums. Es stimmt darin überein, der Arbeitnehmer habe in der Freistellungsphase der Altersteilzeit keinen Anspruch auf Freistellung von der Belastung aus dem Steuerprogressionsvorbehalt (Leisbrock Altersteilzeitarbeit S 152 f.; Pieper/Rothländer Praxiswissen Altersteilzeit im öffentlichen Dienst S 159; ablehnend zum Ausgleich von Nachteilen aus einem Progressionsvorbehalt: Küttner/Kreitner Personalbuch 2002 9. Aufl. Altersteilzeit Rn. 9; Langenbrinck/Litzka Altersteilzeit im öffentlichen Dienst für Angestellte und Arbeiter 2. Aufl. § 5 TV-ATZ Rn. 51).
c) Dieses Auslegungsergebnis entspricht der Rechtsprechung des Senats zu einem vergleichbaren Fall eines Aufhebungsvertrages (8. September 1998 – 9 AZR 255/97 – aaO). Nettolohnvereinbarungen für Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beinhalten nicht ohne weiteres eine umfassende Freistellung von steuerlichen Mehrbelastungen. Für die Annahme eines weitergehenden Verpflichtungswillens bedarf es nach der Verkehrsauffassung in jedem Einzelfall greifbarer Anhaltspunkte (Senat 25. Juli 2002 – 9 AZR 155/01 – aaO). Diese sind hier nicht ersichtlich.
2. Der Kläger hat auch keinen Schadenersatzanspruch auf Ausgleich der steuerlichen Progressionsnachteile. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger insbesondere nicht die nach § 19 TV ATZ bestehende Aufklärungspflicht verletzt. Nach § 19 TV ATZ war die Beklagte verpflichtet, den Kläger vor Abschluß des Altersteilzeitarbeitsvertrages auf die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen hinzuweisen. Hieraus allein lässt sich keine Pflicht der Beklagten entnehmen, den Kläger über die steuerlichen Folgen des Progressionsvorbehalts aufzuklären.
a) Umfang und Grenzen der allgemeinen Hinweispflicht werden in § 19 TV ATZ nicht konkretisiert. Sie bestimmen sich daher nach dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Dabei sind unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Interessen der Vertragsparteien gegeneinander abzuwägen. Maßgeblich sind die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits. In der Regel muss sich der Arbeitnehmer, bevor er eine Vereinbarung in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis abschließt, selbst über die Folgen einer solchen Vereinbarung Klarheit verschaffen. Gesteigerte Informationspflichten des Arbeitgebers können sich nur dann ergeben, wenn der Abschluß einer Vertragsänderung auf seine Initiative zurückgeht, was hier nicht der Fall war. Dann kann der Arbeitgeber den Eindruck erwecken, er werde auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Risiken aussetzen (BAG 25. Juli 2002 – 9 AZR 155/01 – aaO; 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – NZA 2001, 206). Die Hinweispflicht des Arbeitgebers umfasst nicht jeden möglichen steuerlichen Nachteil, der sich mittelbar aus einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ergeben kann, aber je nach den individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitnehmers nicht zwingend eintreten muss. Dieser betrifft nicht unmittelbar die beiderseitigen Rechte und Pflichten der Parteien. Zudem geht es nicht um außerordentliche Risiken, sondern um vorübergehende verhältnismäßig geringfügige Beeinträchtigungen (vgl. Senat 25. Juli 2002 – 9 AZR 155/01 – aaO). Eine Aufklärungspflicht der Beklagten folgt daher nicht aus § 19 TV ATZ iVm. § 242 BGB.
b) Es kann dahinstehen, ob die Hinweispflichten des Arbeitgebers durch § 32 b Abs. 3 EStG erweitert werden oder diese Regelung ausschließlich der Erleichterung und Vereinfachung des Steuererhebungsverfahrens dient.
Nach § 32 b Abs. 3 EStG haben die Träger der Sozialleistungen iSd. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei Einstellung der Leistung oder spätestens am Ende des jeweiligen Kalenderjahres dem Empfänger die Dauer des Leistungszeitraums sowie die Art und Höhe der während des Kalenderjahres gezahlten Leistungen zu bescheinigen. In dieser Bescheinigung ist der Empfänger auf die steuerliche Behandlung dieser Leistungen und seine Steuererklärungspflicht hinzuweisen. Nach dem „Gemeinsamen Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Finanzen” vom 9. September 1998 (vgl. GMBl. 1998 S 638 ff., 644) hat der Arbeitgeber die geleisteten Aufstockungsbeträge nach diesen Maßgaben zu bescheinigen. Diese Pflicht entsteht damit erst nach Abschluß des Altersteilzeitvertrages. Sie betrifft nicht die Hinweispflichten des Arbeitgebers im Rahmen der Vertragsverhandlungen.
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Beklagte den Kläger über die Folgen des Progressionsvorbehalts aufgeklärt hat.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Zwanziger, Krasshöfer, Schwarz, Hintloglou
Fundstellen