Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung eines Druckers. Endlosdruckmaschine. Eingruppierung Privatwirtschaft

 

Orientierungssatz

Die Tätigkeit eines Druckers im “Endlosformulardruck” erfüllt nicht das Richtbeispiel 21 der Lohngruppe VII LRTV (“Verantwortliches Einrichten, Umrüsten und Überwachen als Drucker an Offsetrotationen”), sondern lediglich das Richtbeispiel 9 der Lohngruppe VI LRTV (“Einrichten und Überwachen des Auflagendrucks an Endlosrotationen”). Dies folgt aus der Protokollnotiz Nr. 4 zur Liste der Arbeitsaufgaben, wonach unter die Arbeitsaufgabe der Richtbeispiele VII/20 und VII/21 nicht der Endlosformulardruck fällt.

 

Normenkette

Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (LRTV-Druckindustrie)

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 12.06.2001; Aktenzeichen 6 Sa 1656/00)

ArbG Detmold (Urteil vom 30.08.2000; Aktenzeichen 1 Ca 454/00)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. Juni 2001 – 6 Sa 1656/00 – aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 30. August 2000 – 1 Ca 454/00 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung und die daraus folgende Vergütung des Klägers.

Der Kläger ist bei der Beklagten auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 5. Januar 1987 als “Drucker” beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge der Druckindustrie Anwendung. Zuletzt erhielt der Kläger eine Vergütung gemäß Lohngruppe VI des Lohnrahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Juli 1984 (LRTV-Druckindustrie).

Der Kläger hat in Polen eine Ausbildung absolviert, die ihm nach dem sogenannten “Ausweis eines qualifizierten Arbeiters” nach polnischem Recht zur Führung des Titels “Qualifizierter Typographmaschinist” berechtigt. Im Betrieb der Beklagten war er im Laufe der Zeit an insgesamt drei Druckaggregaten eingesetzt worden. Zuletzt arbeitete er an der Druckmaschine mit der Bezeichnung “WP 39”, die gegenüber den Vorgängermodellen technische Modifikationen – insbesondere eine Bildschirmüberwachung – aufweist. Die WP 39 ist eine Fünf-Farben-Endlosdruckmaschine, an der drei verschiedene Formate gefertigt werden können. Die vom Kläger gefertigten Aufträge umfassen überwiegend Auflagen iHv. 1000 bis 10.000 Formularen. Diese Aufgaben werden dem Kläger vom Betriebsleiter der Beklagten, der auch die Termine überwacht, übertragen. Eine Endabnahme der zu fertigenden Aufträge erfolgt im Büro des Maschinensaals durch den Korrektor. Im übrigen bearbeitet der Kläger die Druckarbeiten selbständig und ist auch für das sogenannte Farbmischen zuständig, einschließlich der Angleichung der Farben unter Berücksichtigung der individuellen Kundenwünsche.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß er ab dem 1. August 1999 gemäß Lohngruppe VII zu vergüten ist. Hierzu hat er die Rechtsansicht vertreten, daß sowohl die Voraussetzungen der Richtbeispiele 16 und 21 der Lohngruppe VII als auch deren allgemeine Voraussetzungen vorlägen. Seine zu leistende Tätigkeit an der WP 39 sei weitaus anspruchsvoller als das unter Nr. 9 zur Lohngruppe VI des Lohnrahmenabkommens genannte Richtbeispiel “Einrichten und Überwachen des Auflagendrucks an Endlosrotationen einschließlich der Zusatzaggregate”. Zwar entsprächen die im Katalog der Richtbeispiele der VergGr. VII aufgeführten Nrn. 16 und 21 nicht genau seiner Tätigkeit, weil sie nicht auf den im Betrieb der Beklagten praktizierten Endlosdruck abstellten, sondern auf Bogendruckmaschinen bzw. Offset-Rotationen. Hätte es aber Maschinen wie die WP 39 im Endlosdruck schon zu den Zeiten gegeben, als die Richtbeispiele im Katalog entwickelt worden seien – also vor ca. 25 Jahren – gäbe es heute keinerlei Zweifel daran, daß er nach Lohngruppe VII zu vergüten sei. Angesichts der allgemeinen Definition sei sein Qualifikationsniveau nämlich höher als in der darunter liegenden Lohngruppe VI. Die Lohngruppe VII sei einerseits leistungsgerecht, andererseits trage sie den fortgeschrittenen technischen Entwicklungen und der hieraus resultierenden gesteigerten Verantwortung Rechnung. Arbeiten an elektrischen Ausrüstungen der Maschine/Aggregate dürften nur von Elektrofachkräften oder von unterwiesenen Personen unter Leitung und Aufsicht einer Elektrofachkraft vorgenommen werden. Im Betrieb der Beklagten gebe es neben ihm nur noch zwei weitere Mitarbeiter, die die WP 39 fahren könnten. Um das Qualifikationsniveau von ihm zu erreichen, sei eine Einarbeitungszeit von insgesamt einem Jahr erforderlich.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihn mit Wirkung zum 1. August 1999 gemäß Lohngruppe VII des Lohnrahmenabkommens für die Druckindustrie zu vergüten.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Rechtsansicht vertreten, daß die Tätigkeit an der Maschine WP 39 durch das Richtbeispiel Nr. 9 der Lohngruppe VI erfaßt werde. Die WP 39 sei ein bedienerfreundliches Kleinoffsetgerät, das keine besonders großen Anforderungen an die Aufmerksamkeit des Bedieners stelle. Das Wort “Endlosrotation” im Richtbeispiel Nr. 9 zur Lohngruppe VI sei nur ein Synonym für die Bezeichnung Endlosdruckmaschine. Es sei im Ansatzpunkt schon fraglich, ob die vom Kläger dargelegte Ausbildung in Polen mit der geforderten “abgeschlossenen Berufsausbildung” vergleichbar sei. Auf jeden Fall erfordere die Tätigkeit des Klägers kein zusätzliches Fachwissen, das über das erweiterte Fachwissen im Rahmen der Lohngruppe VI hinausgehe, so wie es von Lohngruppe VII gefordert werde. Wichtigste Voraussetzung für den Betrieb der WP 39 sei ein technisches Verständnis. Daß in diesem Rahmen vom Kläger die Druckaufträge selbständig bearbeitet würden, sei eine Selbstverständlichkeit. Auch das vom Kläger genannte Farbmischen sei eine reine Hilfstätigkeit und erfülle nicht die Voraussetzungen der Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe VII. Insbesondere treffe es nicht zu, daß eine Einarbeitungszeit von ca. einem Jahr erforderlich sei, um ein Qualifikationsniveau mittlerer Art und Güte zu erreichen. So seien Mitarbeiter eingestellt worden, die nach einer kurzen innerbetrieblichen Einweisung und einer Einarbeitung von weiteren 15 bis 20 Arbeitstagen an der WP 39 Druckergebnisse erzielten, die denen des Klägers weder quantitativ noch qualitativ nachgestanden hätten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Eingruppierungsfeststellungsklage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt unter Zurückweisung der Berufung des Klägers zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Lohngruppe VII LRTV-Druckindustrie.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit des Klägers erfülle das Richtbeispiel Nr. 21 der Lohngruppe VII. Er habe eine abgeschlossene Berufsausbildung nachgewiesen. Der LRTV-Druckindustrie mache das Vorliegen des Merkmals auch nicht von einer Gleichstellungsentscheidung nach § 43 BBiG abhängig. Die Tätigkeit sei als “verantwortliches Einrichten, Umrüsten und Überwachen als Drucker an Offsetrotationen” zu qualifizieren. Die WP 39 sei eine Offsetrotationsmaschine im tariflichen Sinne, weil sie im Verfahren des Offsetdrucks mittels rotierender Zylinder arbeite. Demgegenüber komme eine Zuordnung der WP 39 zu Endlosrotationen im Sinne des Richtbeispiels Nr. 9 der Lohngruppe VI nicht in Betracht. In den Richtbeispielen werde der Begriff Endlosrotation als Oberbegriff zu Offsetrotationen, Hochdruckrotationen und sonstigen Endlosrotationen bzw. sonstigem Endlosdruck gebraucht. Verantwortliches und überwachendes Drucken an Offset- oder auch Hochdruckrotationen unterfielen den Richtbeispielen 20 und 21 der Lohngruppe VII. Hiervon ausgenommen sei gemäß der Protokollnotiz 4 zur Liste der Arbeitsaufgaben lediglich der Endlos-Formular-Druck. Der Kläger arbeite an einer Offsetrotation, ohne daß der Ausnahmefall des Endlos-Formular-Drucks vorliege. Der Druck kleinerer Auflagen – wie die vom Kläger gefertigten – mache täglich ein wiederholtes Einrichten und Umrüsten der Druckmaschine erforderlich. Diese täglich mehrfach wechselnden Tätigkeiten seien nicht zum Endlos-Formular-Druck zu zählen.

    Schließlich lägen auch die Voraussetzungen des “verantwortlichen” Einrichtens, Umrüstens und Überwachens vor. Das Tätigkeitsbeispiel “Einrichten” sei erfüllt, weil der Kläger die für die Ausführung der Druckaufträge notwendigen Einstellungen an der WP 39 vornähme. Entsprechendes gelte für das Umrüsten der Druckmaschine. Überwachen bedeute nach dem allgemeinen Sprachgebrauch “etwas beaufsichtigen bzw. kontrollieren, ob etwas ordnungsgemäß geschehe”. Der Kläger überprüfe die Einstellung der Druckmaschine und den gesamten Druckablauf und beseitige Störfälle. Er habe darüber hinaus Wartungsarbeiten durchzuführen. Schließlich genüge die Tätigkeit des Klägers auch dem Erfordernis einer “verantwortlichen” Ausführung. Darunter sei die Verpflichtung des Druckers zu verstehen, dafür einstehen zu müssen, daß in dem ihm übertragenen Aufgabenbereich die zu erledigenden Druckaufträge sachgerecht, pünktlich und vorschriftsmäßig ausgeführt würden. Diese Voraussetzungen seien gegeben, weil der Kläger an der Druckmaschine keinem vorgesetzten Drucker unterstellt sei, der das Einrichten, Umrüsten und Überwachen seinerseits kontrolliere. Lediglich die Druckergebnisse habe der Kläger dem Endkorrektor vorzulegen.

  • Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Tätigkeit des Klägers erfüllt nicht die Anforderungen der Lohngruppe VII. Vielmehr ist sie der Ziff. 9 der Lohngruppe VI zuzuordnen.

    • Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet auf Grund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Lohnrahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 6. Juli 1984 (LRTV) Anwendung. Für die Eingruppierung des Klägers ist damit folgende tarifliche Bestimmung des LRTV heranzuziehen:

      “§ 4

      Eingruppierung

      • Jeder Arbeitnehmer ist aufgrund der von ihm vertraglich auszuübenden bzw. ausgeübten Tätigkeit in eine der Lohngruppen des § 3 einzugruppieren. Für die Eingruppierung sind die abstrakten Merkmale entscheidend. Erweiternde Arbeitsaufgaben sind entsprechend zu berücksichtigen.
      • Übt ein Arbeitnehmer mehrere Tätigkeiten aus, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, erfolgt die Eingruppierung nach der überwiegenden Tätigkeit.

    • Diese tariflichen Bestimmungen sind dahingehend auszulegen, daß dem Arbeitnehmer bei Erfüllung der tariflichen Anforderungen ein entsprechender Lohnanspruch zusteht und der Entscheidung des Arbeitgebers nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Für die Eingruppierung ist die überwiegende Tätigkeit maßgebend, wobei die abstrakten Tätigkeitsmerkmale entscheidend sind (BAG 20. September 1995 – 4 AZR 450/94 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie Nr. 32 = EzA TVG § 4 Druckindustrie Nr. 27, zu II der Gründe mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

      • Gemäß § 3 Ziff. 1 des LRTV haben die Tarifvertragsparteien zur Eingruppierung der Arbeitnehmer Lohngruppen vereinbart. In den abstrakten Merkmalen der Lohngruppen I bis VII sind Bewertungskriterien hinsichtlich der Qualifikation, der geistigen Beanspruchung, der muskelmäßigen Beanspruchung und der Verantwortung normiert. Die im Streitfall in Betracht zu ziehenden Lohngruppen sind in § 3 Ziff. 2 LRTV beschrieben und lauten ua.:

        “Lohngruppe VI

        Tätigkeiten,

         – 

        die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung erweitertes Fachwissen erfordern, das auch durch entsprechende Berufserfahrung erworben sein kann,

         – 

        die große Anforderungen an Genauigkeit und Konzentration sowie Denktätigkeit im Sinne z.B. von Überlegen, Suchen, Prüfen und Rechnen voraussetzen,

         – 

        die fallweise zumindest erhöhter muskelmäßiger Beanspruchung unterliegen,

         – 

        die mit großer Verantwortung für Betriebsmittel, eigene Arbeit und/oder Arbeit und Sicherheit anderer verbunden sind.

        Lohngruppe VII

        Tätigkeiten,

         – 

        die neben der abgeschlossenen Berufsausbildung zusätzliches Fachwissen erfordern, das über die Lohngruppe VI hinausgeht und durch eine Zusatzausbildung oder eine entsprechende Berufserfahrung erworben sein kann,

         – 

        die große bis sehr große Anforderungen an Aufmerksamkeit wie Genauigkeit/Konzentration und Denktätigkeit im Sinne z.B. von Kombinieren, Koordinieren und Disponieren (Anforderungen an Umsicht, Abstraktionsvermögen oder Dispositionsfähigkeit) stellen,

         – 

        die mit einer großen bis sehr großen Verantwortung für Betriebsmittel, eigene Arbeit und/oder Arbeit und Sicherheit anderer verbunden sind.

        Die in den Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Bewertungskriterien sind nicht in jedem Fall kumulativ zu verstehen. Im Zweifel wird die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als Auslegungshilfe herangezogen.”

      • Nach dem Schlußsatz der Lohngruppe VII sind die Erfordernisse einer Lohngruppe dann als erfüllt anzusehen, wenn ein Arbeitnehmer überwiegend eine Tätigkeit auszuüben hat, die einem dieser Lohngruppe zugeordneten Richtbeispiel entspricht. Bestimmen die Tarifvertragsparteien, daß “im Zweifel” die Bewertung der den einzelnen Lohngruppen zugeordneten Richtbeispiele als “Auslegungshilfe” anzusehen ist, bringen sie damit zum Ausdruck, daß sie die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer Lohngruppe – auch wenn nicht alle Bewertungskriterien vorliegen – dann als erfüllt ansehen, wenn diese Tätigkeit in dieser Lohngruppe als Richtbeispiel aufgeführt ist. Diese Auslegung entspricht allgemein der Bedeutung von Tätigkeitsmerkmalen in tariflichen Eingruppierungsregelungen. Die Tarifvertragsparteien wollen mit den Richtbeispielen in den Lohngruppen I bis VII, die in sich häufig auch noch verschiedene Alternativen aufweisen, im wesentlichen die für die Druckindustrie typischen Tätigkeiten erfassen und durch die Zuordnung zu einer Lohngruppe tariflich bewerten. Zu der in einem Richtbeispiel beschriebenen Tätigkeit rechnen auch die mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Arbeiten (BAG aaO).
      • Auf die abstrakten Tätigkeitsmerkmale muß allerdings dann zurückgegriffen werden, wenn das Richtbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können, eine Tätigkeit in den Richtbeispielen nicht aufgeführt ist oder eine Tätigkeit nicht in vollem Umfang der in einem Richtbeispiel genannten Tätigkeit entspricht. Auch hier entspricht es dem Willen der Tarifvertragsparteien, der mit der Verwendung der Bezeichnung “Auslegungshilfe” deutlich zum Ausdruck kommt, daß die Richtbeispiele bei der Auslegung heranzuziehen sind (BAG aaO mwN). Ist demgegenüber die Tätigkeit als Richtbeispiel in einer niedrigeren Lohngruppe aufgeführt, so kann sie nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang nicht unter die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer höheren Lohngruppe subsumiert werden (BAG 28. September 1988 – 4 AZR 326/88 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie Nr. 22 = EzA TVG § 4 Druckindustrie Nr. 17; 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 7 = EzA TVG § 4 Großhandel Nr. 2, zu II 2a der Gründe).
    • Nach diesen Maßstäben ist die Lohngruppe VII schon deshalb nicht einschlägig, weil die Tätigkeiten des Klägers nicht unter die Richtbeispiele der Lohngruppe VII fallen, sondern von dem Richtbeispiel 9 der Lohngruppe VI erfaßt werden. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kläger über eine “abgeschlossene Berufsausbildung” iSd. LRTV verfügt, kommt es nicht an.

      • Die in Betracht zu ziehenden Richtbeispiele der Lohngruppe VII haben folgenden Wortlaut:

        “16. Verantwortliches Einrichten und Fortdruck an Bogendruckmaschinen mit vier und mehr Farbwerken als Drucker

        21. Verantwortliches Einrichten, Umrüsten und Überwachen als Drucker an Offsetrotationen”

        Das Richtbeispiel 16 der Lohngruppe VII ist jedoch nicht einschlägig. Es mag sein, daß die Maschine WP 39 – wie der Kläger meint – als Bogendruckmaschine im tariflichen Sinne betrieben werden kann. Diese Betriebsart wird aber nach seinem eigenen Vortrag im Betrieb der Beklagten von ihm nicht genutzt. Damit scheidet sie als Grundlage der Eingruppierung aus, weil dem Kläger die Tätigkeit nicht auf Grund des Direktionsrechts der Beklagten zur Ausübung zugewiesen wurde. Nach § 4 Ziff. 1 des LRTV ist nämlich die vertraglich “auszuübende” bzw. “ausgeübte” Tätigkeit für die Eingruppierung in einer der Lohngruppen maßgebend.

      • Die Voraussetzungen des Richtbeispiels 21 sind ebenfalls nicht erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat zwar den Begriff “Offsetrotation” zutreffend bestimmt. Es hat aber nicht erkannt, daß die Tätigkeit des Klägers als “Endlosformulardruck” zu qualifizieren ist, der von dem Tätigkeitsbeispiel nicht erfaßt wird.

        • Welche Bedeutung dem Begriff “Offsetrotation” beizumessen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.

          • Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können (vgl. BAG 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8). Begriffe, die in der Rechtsterminologie einen bestimmten Inhalt haben, werden von den Tarifvertragsparteien in ihrer allgemeinen rechtlichen Bedeutung angewandt, wenn sich aus dem Tarifvertrag nichts anderes ergibt (vgl. BAG 24. September 1980 – 4 AZR 744/78 – BAGE 34, 173, 181 = AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 7). Greifen die Tarifvertragsparteien nicht auf einen vorgegebenen Rechtsbegriff zurück, ist davon auszugehen, daß sie den Begriff so angewendet wissen wollen, wie er im Arbeits- und Wirtschaftsleben verstanden wird und damit den Anschauungen der beteiligten Berufskreise entspricht (vgl. BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 129 f. = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 134). Ist eine Anwendung von Fachbegriffen im Tarifvertrag nicht erkennbar, ist vom Wortlaut im Sinne des Allgemeinen Sprachgebrauchs auszugehen (vgl. BAG 15. Oktober 1997 – 3 AZR 501/96 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 11 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 3).
          • Bei dem Begriff “Offsetrotation” handelt es sich erkennbar um einen druckspezifischen Fachbegriff. Unter Offsetdruck versteht man ein bestimmtes Druckverfahren, nämlich ein indirektes Flachdruckverfahren, bei dem die Druckfarbe von der Druckplatte über einen Gummizylinder auf das Papier übertragen wird (Wahrig Deutsches Wörterbuch 6. Aufl. S 923). Rotationsdruck ist ein Druckvorgang für Hoch-, Flach- und Tiefdruck, bei dem die rotierende Druckwalze über eine (endlose) Papierbahn läuft (Wahrig aaO S 1043). Offsetrotationen sind mithin Druckmaschinen, die im Offsetverfahren mittels rotierenden Zylindern drucken (vgl. Bruckmann’s Handbuch der Drucktechnik 5. Aufl. S 248 ff.).

            Ausgehend von dem zutreffend ausgelegten Tarifmerkmal hat das Landesarbeitsgericht für den Senat gem. § 561 ZPO aF bindend festgestellt, daß die vom Kläger bediente Maschine WP 39 die Merkmale einer Offsetrotation erfüllt. Dies wird von der Revision auch nicht beanstandet.

        • Gleichwohl rügt die Revision zu Recht die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Tätigkeit des Klägers erfülle das Richtbeispiel 21 der Lohngruppe VII LRTV. Die Tätigkeit des Klägers ist als “Endlosformulardruck” zu qualifizieren, der von dem Tätigkeitsbeispiel 21 nicht erfaßt wird. Dies folgt aus der Protokollnotiz Nr. 4 zur Liste der Arbeitsaufgaben. Die Regelung lautet:

          “Unter die Arbeitsaufgabe der Richtbeispiele VII/20 und VII/21 fällt nicht der Endlosformulardruck.”

          Den Begriff des “Endlosformulardrucks” hat das Landesarbeitsgericht nicht zutreffend ausgelegt.

          • Die Protokollerklärung ist Bestandteil des Tarifvertrages und hat auf Grund dessen die gleiche Bindungswirkung wie andere Tarifnormen. Für ihre Auslegung gelten daher die von der Rechtsprechung für die Auslegung von Tarifverträgen entwickelten Grundsätze (BAG 18. Mai 1994 – 4 AZR 412/93 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 175, zu II 3b aa der Gründe). Danach ist wiederum die fachsprachliche Bedeutung des Begriffs maßgebend.
          • Unter Formulardruck versteht man ganz allgemein den Druck von Geschäftspapieren. Der Bereich dieser Drucksachen ist sehr groß und vielschichtig und reicht vom einfachen Tabellierpapier oder Kassenzettel bis zum Versicherungsschein oder Lotterielos, von der Eintrittskarte oder Fahrkarte bis zum anspruchsvollen personalisierten mehrfarbigen Werbebrief. Formulare werden ein- oder mehrfarbig auf der Vorderseite und häufig auch auf der Rückseite bedruckt, als Bogen, zickzackgefalzte und randgelochte Bahnen oder in Rollenform. Die Produktvielfalt bedingt die Benutzung verschiedenartiger Druckmaschinen und Produktionssysteme. Formulardruckmaschinen sind meistens Endlosdruckmaschinen (vgl. Helmut Kipphan Handbuch der Printmedien 2000 S 449). Der Endlosdruck ist keinem bestimmten Hauptdruckverfahren oder Druckverfahren direkt zuzuordnen. Vielmehr ist der Endlosdruck eine Produktionstechnik für spezielle Produkte, mit der Rollenpapiere nach dem Druckvorgang wieder aufgerollt und für die Nutzung geschnitten oder gefalzt werden. Zum Arbeitsbereich des Endlosdrucks gehören Formulare (Helmut Teschner Offsetdrucktechnik 9. Aufl. Ziff. 3.5).

            Diese Anforderungen erfüllt die Tätigkeit des Klägers. Die von ihm bediente Maschine WP 39 beherrscht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Endlosbetrieb mit eins, zwei, drei, vier oder fünf Druckwerken. Ferner steht zwischen den Parteien außer Streit, daß der Kläger Auflagen von 1000 bis 10.000 Formularen druckt. Der Annahme des Merkmals “Endlosformulardruck” im tariflichen Sinne steht ferner nicht eine zu geringe Auflagenstärke entgegen. Zu den Endlos-Produkten zählen nämlich nach der für die Auslegung maßgeblichen Fachsprache sogenannte endlos lange Papierbahnen auf Rolle aufgewickelt oder Zickzack-Stapel gefalzt in Stapeln zu 500, 1000, 2000 und mehr Falzprodukten (vgl. Teschner aaO). Aus den abstrakten Tätigkeitsmerkmalen der Lohngruppe läßt sich kein Gegenargument herleiten. Auf die abstrakten Tätigkeitsmerkmale ist nämlich nur dann zurückzugreifen, wenn das Richtbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können. Letzteres ist gerade nicht der Fall.

          • Da die Tätigkeit mithin in den Richtbeispielen der Lohngruppe VII nicht aufgeführt ist, ist an sich eine Eingruppierung in Lohngruppe VII auf Grund deren abstrakten Tätigkeitsmerkmale in Betracht zu ziehen. Dem steht im Streitfall allerdings entgegen, daß die Tätigkeit des Klägers von der Ziff. 9 der Lohngruppe VI erfaßt wird. Wird aber eine Tätigkeit als Richtbeispiel in einer niedrigeren als der begehrten Lohngruppe aufgeführt, ist eine Eingruppierung in die höhere Vergütungsgruppe auf Grund der allgemeinen Merkmale nicht mehr möglich (BAG 28. September 1988 u. 25. September 1991, jeweils aaO).
        • Die Tätigkeit des Klägers wird von dem Richtbeispiel 9 der Lohngruppe VI erfaßt. Diese lautet:

          “Einrichten und Überwachen des Auflagendrucks an Endlosrotationen einschließlich der Zusatzaggregate”

          • Die Maschine WP 39 ist als “Endlosrotation” im tariflichen Sinne zu qualifizieren. Der Fachbegriff kennzeichnet Druckmaschinen, bei denen Druckform und Druckkörper Zylinder sind und die mit der – gerade beschriebenen – Produktionstechnik des Endlosdrucks arbeiten. Diese Technik wird vorwiegend im Bereich des Formulardrucks, in dem der Kläger beschäftigt ist, eingesetzt.

            Des weiteren liegt das Merkmal “Auflagendruck” vor. “Auflage” ist die Gesamtzahl der auf einmal hergestellten Exemplare und Auflagendruck ist eben der Druck einer Auflage (zum Begriff Auflagendruck: Wahrig Deutsches Wörterbuch aaO S 221). Das Richtbeispiel kann nicht mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung abgelehnt werden, daß die Auflagenstärke zu gering sei. Quantitative Anforderungen haben die Tarifvertragsparteien nicht formuliert. Damit wird gerade deutlich gemacht, daß es darauf nicht ankommen soll. Andernfalls wären die Tarifvertragsparteien wie zB in der VergGr. VII Ziff. 5 und Ziff. 16 verfahren. Dort sind quantitative Anforderungen ausdrücklich in den Tarifwortlaut aufgenommen worden (“mehr als 4 Bearbeitungsstationen”, “mit 4 und mehr Farbwerken”).

          • Im übrigen ist bereits der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts verfehlt, wonach in den Richtbeispielen der Begriff Endlosrotationen als Oberbegriff zur Offsetrotation, Hochdruckrotation und sonstigen Endlosrotationen bzw. sonstigem Endlosdruck gebraucht werde. Die Begriffe sonstige Endlosrotation bzw. sonstiger Endlosdruck kennt der Tarifvertrag überhaupt nicht und der Begriff Endlosrotation ist auch nicht der Oberbegriff zu dem Begriff Offsetrotation. Offsetdruck und Hochdruck sind Druckverfahren. Demgegenüber ist der Endlosdruck kein Druckverfahren, sondern stellt eine Produktionstechnik dar (Teschner aaO). Die Qualifizierung als Oberbegriff scheidet damit aus. Im Tarifvertrag kommt dieser Umstand in der Lohngruppe VI dadurch zum Ausdruck, daß in Ziff. 6 der Richtbeispiele die Tätigkeit an Offsetrotationen und in der Ziff. 9 die Tätigkeit an Endlosrotationen erfaßt wird. Dies zeigt, daß die Tarifvertragsparteien zwischen der Arbeit an Offsetrotationen und an Endlosrotationen unterscheiden und gerade nicht die Offsetrotation als speziellen Fall der Endlosrotation auffassen. Entsprechendes belegt die bereits zitierte Protokollnotiz 4 zur Liste der Arbeitsaufgaben, indem sie den “Endlosformulardruck” von der Ziff. 21 der Lohngruppe VII ausnimmt.
          • Auch die übrigen Tarifmerkmale des Richtbeispiels 9 der Lohngruppe VI werden von der Tätigkeit des Klägers erfüllt. Der “Auflagendruck” wird vom Kläger “eingerichtet” und “überwacht”. Das Merkmal des “Einrichtens” liegt vor, weil der Kläger die für die Ausführung der Druckaufträge notwendigen Einstellungen an der Druckmaschine vornimmt. Unter “Überwachen” ist die Tätigkeit des Feststellens der Aufgabenerfüllung oder der Abweichung der Aufgabe zu verstehen. Maßgebend ist, inwieweit eventuelle Abweichungen von der vorgegebenen Qualität bei der Herstellung des Produkts erkannt und durch geeignete Maßnahmen vermieden werden müssen (zum Begriff des Überwachens: BAG 30. November 1994 – 4 AZR 901/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie Nr. 27). Derartige Arbeiten werden vom Kläger verrichtet, weil er den gesamten Druckablauf beaufsichtigt und überprüft. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht die Tarifmerkmale zutreffend bestimmt und die von ihm angenommenen Tatsachen werden von den Parteien des Rechtsstreits nicht in Zweifel gezogen.
          • Soweit der Kläger unter Hinweis auf sein über die Anforderungen der Lohngruppe VI hinausgehendes Qualifikationsniveau meint, die Tätigkeit an der Maschine WP 39 wäre sicherlich nach der VergGr. VII zu entlohnen, wenn es die Maschine schon zu der Zeit gegeben hätte, als die Richtbeispiele entwickelt worden seien, vermag dies die begehrte Eingruppierung nicht zu begründen. Da das Richtbeispiel 9 der VergGr. VI nicht auf einen bestimmten technischen Entwicklungsstand der Druckmaschine abstellt, muß davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien diesen Umstand als unerheblich für die Eingruppierung angesehen haben. Dies gilt um so mehr, als sie trotz Kenntnis der maschinenbaulichen Entwicklung den Tarifvertrag nicht geändert haben. Es kann auch nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte sein, Eingruppierungsregelungen entsprechend den geänderten Verhältnissen weiterzuentwickeln. Die Gestaltung von Tarifverträgen hat Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesen. Korrigierende und gestaltende Eingriffe in Tarifverträge sind daher den Gerichten für Arbeitssachen verwehrt (BAG 26. Mai 1993 – 4 AZR 300/92 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Druckindustrie Nr. 29 = EzA TVG § 4 Druckindustrie Nr. 24, zu II 2a cc der Gründe).
  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Hauck, Dr. Wittek, Laux, Scholz, P. Knospe

 

Fundstellen

Haufe-Index 893421

NZA 2003, 519

EzA

NJOZ 2003, 1462

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