Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahressonderzuwendung und gekündigtes Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Setzt ein Tarifvertrag für den Anspruch auf Jahressonderzahlung ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis am Auszahlungstag voraus, so entfällt der Anspruch grundsätzlich nur dann, wenn die ausgesprochene Kündigung (unmittelbar) zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt.
Normenkette
Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Bekleidungsindustrie vom 17. Juni 1986 § 2; TVG § 1 Auslegung
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 03.12.1987; Aktenzeichen 10 Sa 1203/87) |
ArbG Siegen (Urteil vom 29.04.1987; Aktenzeichen 3 Ca 14/87) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. Dezember 1987 – 10 Sa 1203/87 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Hamm zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jahressonderzuwendung.
Der Kläger war im Bekleidungsindustriebetrieb der Beklagten seit dem 1. August 1958 als Angestellter, zuletzt als Leiter der Zuschneiderei beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag über Jahressonderzahlungen für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Bekleidungsindustrie vom 17. Juni 1986, gültig ab 1. Januar 1986 (TV-JSZ) Anwendung. Der Tarifvertrag bestimmt u.a.:
Ҥ 2
Voraussetzungen und Höhe der Jahressonderzahlung
- Der Anspruch auf die Jahressonderzahlung setzt voraus, daß der Arbeitnehmer bzw. Auszubildende am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis steht und dem Betrieb am 31. Oktober des jeweiligen Kalenderjahres mindestens drei Monate ununterbrochen angehört.
- …
- Die Jahressonderzahlung ist im November auszuzahlen.
- Protokollnotiz:
- Das Beschäftigungsverhältnis gilt am Auszahlungstag als ungekündigt im Sinne des § 2 Ziffer 1, wenn der Arbeitgeber mit einer längeren als der für den Arbeitnehmer geltenden Frist zur ordentlichen Kündigung zu einem Zeitpunkt kündigt, zu dem er nach dem Auszahlungstag noch mit ausreichender Frist kündigen könnte.
- …
”
Die Beklagte kündigte dem Kläger am 27. März 1986 zum 30. September 1986 und nochmals am 28. Mai 1986 zum 31. Dezember 1986. Der Kläger obsiegte in den darauf erhobenen Kündigungsschutzklagen. Allerdings löste das Landesarbeitsgericht auf den Hilfsantrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis mit rechtskräftigem Urteil vom 5. November 1986 zum 31. Dezember 1986 auf (Landesarbeitsgericht Hamm – 2 Sa 1667/86 –). Zwischenzeitlich hatte die Beklagte dem Kläger erneut mit Schreiben vom 26. September 1986 zum 31. März 1987 gekündigt. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Siegen – 3 Ca 1191/86 –) setzte das Arbeitsgericht am 3. Oktober 1986 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vorangegangenen Kündigungen aus. Über diese Kündigung ist nicht (mehr) entschieden worden.
Die Beklagte verweigerte dem Kläger nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die geltend gemachte Jahressonderzahlung.
Der Kläger hat gemeint, er erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 TV-JSZ. Die Kündigungen vom 27. März 1986 und 28. Mai 1986 seien unwirksam gewesen, wie rechtskräftig feststehe. Nur wirksame Kündigungen ließen die Jahressonderzahlung entfallen. Die Kündigung vom 26. September 1986 sei ins Leere gegangen und deswegen für ihn nicht nachteilig.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.019,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 TV-JSZ nicht, da er am Auszahlungstag im November 1986 in einem mehrfach gekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Auf die Wirksamkeit der Kündigungen komme es nicht an. Lediglich mißbräuchlich oder willkürlich ausgesprochene Kündigungen seien unbeachtlich.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Senat durch Beschluß vom 28. April 1988 – 6 AZN 62/88 – zugelassenen Revision verlangt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, das Arbeitsverhältnis sei im Zeitpunkt der Auszahlung der Sonderzahlung nicht ungekündigt gewesen. Außer den mit Urteil vom 5. November 1986 als unwirksam festgestellten Kündigungserklärungen vom 27. März 1986 und 28. Mai 1986 existiere noch die weitere Kündigung vom 26. September 1986 zum 31. März 1987. Das wegen dieser Kündigung angestrengte Verfahren sei bis zur Rechtskraft des Urteils im Rechtsstreit – 2 Sa 1667/86 – ausgesetzt gewesen. Mit Urteil am 5. November 1986 sei der Rechtsstreit wegen der Kündigung vom 26. September 1986 unmittelbar mit Rechtskraft der Entscheidung zu diesem Zeitpunkt wieder aufgelebt. Da nur auf diesen Umstand abgestellt sei und der Tarifvertrag nicht etwa voraussetze, daß diese Kündigung wirksam sei oder auch nur Erfolgsaussichten haben müsse, sei eine notwendige Anspruchsvoraussetzung nicht gegeben. Es sei nicht Sache der Gerichte, den sehr weitgehenden Begriff des ungekündigten bzw. gekündigten Arbeitsverhältnisses einzuschränken oder auszudehnen etwa dahin, daß eine unwirksame Kündigung keine Kündigung im Sinne des § 2 TV-JSZ darstelle oder die ausgesprochene Kündigung nur dann den Tatbestand “ungekündigt” aufhebe, wenn sie auch schließlich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Wäre das der Wille der Tarifvertragsparteien gewesen, hätte dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, reiche mithin jede Kündigung aus, die nicht per se nichtig sei, den Anspruch nicht entstehen zu lassen.
II. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht zunächst davon aus, daß die Kündigungen der Beklagten vom 27. März 1986 und 28. Mai 1986 den Anspruch des Klägers nicht beseitigen konnten. Unzutreffend ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung der Beklagten vom 26. September 1986 zum 31. März 1987 hindere ohne weiteres den Anspruch des Klägers auf die tarifliche Jahressonderzahlung.
1. Der Kläger hat Anspruch auf die Jahressonderzahlung für das Kalenderjahr 1986, wenn er am Auszahlungstag, d.h. im November 1986 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat.
a) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff “ungekündigt” nach § 2 Nr. 1 TV-JSZ in der Protokollnotiz näher erläutert. Danach gilt ein Arbeitsverhältnis als ungekündigt, wenn der Arbeitgeber mit einer längeren als der für den Arbeitnehmer geltenden Frist zur ordentlichen Kündigung zu einem Zeitpunkt kündigt, zu dem er nach dem Auszahlungstag noch mit ausreichender Frist kündigen könnte. Damit schließen die Tarifvertragsparteien einen Sachverhalt aus, der den Anspruch auf Jahressonderzuwendung unter rechtsmißbräuchlicher Ausnutzung eines dem Arbeitgeber zustehenden Kündigungsrechts beseitigen würde. Daraus könnte gefolgert werden, der Tatbestand der Kündigung vor dem Auszahlungstag hindere den Anspruch auf Jahressonderzuwendung nur nicht in den Fällen des Rechtsmißbrauchs und der Willkür. Dann käme es grundsätzlich nur auf die Abgabe der Willenserklärung “Kündigung” an. Den Gerichten bliebe lediglich eine Mißbrauchskontrolle. Davon gehen zu Recht weder das Landesarbeitsgericht noch im Ergebnis die Beklagte aus. Die Beklagte räumt nicht nur ein, die Kündigung sei unschädlich, wenn der Arbeitgeber zur Umgehung des einschlägigen Tarifvertrages über die Jahressonderzahlung das Arbeitsverhältnis aus Willkür kündige, mithin die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Nr. 1 TV-JSZ ohne jeglichen Grund herbeiführe. Darunter seien auch die Fälle zu subsumieren, in denen der Arbeitgeber zur Umgehung der Verpflichtung aus dem einschlägigen Tarifvertrag zunächst die Kündigung ausspreche, diese aber nach Verstreichen des Auszahlungstages ohne jegliche Begründung wieder zurücknehme. Sie will sogar solche Kündigungen nicht als anspruchshindernd verstanden wissen, die der Arbeitgeber in Kenntnis offensichtlicher Nichtigkeit wegen eines Formfehlers oder wegen fehlender Anhörung des Betriebsrates ausspreche. Das Landesarbeitsgericht will darüber hinaus alle Fälle der Nichtigkeit “per se” erfassen. Dem pflichtet der Senat bei. Aus dem Wortlaut der Protokollnotiz, in der ein einzelner Rechtsmißbrauchstatbestand beschrieben wird, kann allein nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten damit abschließend allein die Fälle des Rechtsmißbrauchs und der Willkür vom Begriff “ungekündigtes Arbeitsverhältnis” ausnehmen wollen. Inhalt und Umfang dieses Tarifbegriffes sind daher durch Auslegung näher zu ermitteln.
b) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Es ist der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 29. Juni 1989 – 6 AZR 459/88 – NZA 1989, 897 f.; Urteil vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – EzA BErzGG § 16 Nr. 2; Urteil vom 24. November 1988 – 6 AZR 243/87 – AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, alle zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
2. Der Wortlaut spricht eindeutig für die Auffassung der Beklagten. Denn “ungekündigtes Arbeitsverhältnis” bedeutet dem Sprachgebrauch nach, in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Willen der Vertragsparteien nicht beendet werden soll. Hat jedoch eine Partei eine Beendigungskündigung erklärt, hat sie diesen Willen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr.
a) Das Haften am Wortlaut wird der anspruchsausschließenden Regelung des § 2 Nr. 1 TV-JSZ jedoch nicht gerecht. Diese reine Wortlautinterpretation wird – wie oben dargelegt – nicht einmal von der Beklagten und vom Landesarbeitsgericht für zutreffend gehalten. Somit ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang und den Sinn und Zweck der Jahressonderzahlung abzustellen.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben Zahlungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Entgeltcharakter. Das gilt auch für tarifliche Jahressonderzahlungen. Mit einer solchen Jahressonderzahlung können verschiedene Zwecke verfolgt werden. Sie kann eine Anerkennung und damit eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Arbeit sein. Sie kann auch ein Entgelt für in der Vergangenheit bewiesene Betriebstreue oder ein Anreiz für künftige Betriebstreue sein. Diese Zwecke können einzeln oder auch gemeinsam einer Sonderzahlung zugrunde liegen. Es steht den Tarifvertragsparteien frei, wie sie eine Jahressonderzahlung ausgestalten, insbesondere welchen Zweck sie ihr beilegen wollen. Die Ausgestaltung der Tarifnormen über die tarifliche Sonderzahlung in dem hier zu beurteilenden Tarifvertrag läßt erkennen, daß die Sonderzahlung sowohl Vergütung für die in der Vergangenheit geleistete Arbeit als auch Entgelt für erwiesene Betriebstreue und Anreiz für zukünftige Betriebstreue darstellt. Letzteres folgt aus der Stichtagsregelung, wonach der anspruchsberechtigte Arbeitnehmer am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen muß. Dabei gewinnt die Stichtagsregelung entscheidende Bedeutung. Denn vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses hängt auch bei langjähriger Betriebszugehörigkeit der Anspruch auf die gesamte Jahressonderzahlung ab. Angesichts dieses Stellenwerts der Tatbestandsvoraussetzung “ungekündigtes Arbeitsverhältnis” kann nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten den Verlust der Forderung nicht an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung, sondern lediglich an einen Ausspruch der Kündigung und eine günstige Prognose über die Wirksamkeit der Kündigung oder an Rechtsmißbrauchs- und Willkürfälle knüpfen wollen. Das widerspräche dem Ziel des Kündigungsschutzgesetzes, die Kündigung und ihre nachteiligen Folgen auch finanzieller Art vollständig zu beseitigen. Denn ein vom gekündigten Arbeitnehmer erstrittener Prozeßerfolg, nämlich die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, hätte bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung kein Wiederaufleben des Anspruchs auf Jahressonderzahlung zur Folge. Deshalb berechtigt die Prognose des Arbeitgebers, seine Kündigung sei rechtswirksam, nicht zur Verweigerung der Jahressonderzahlung. Lediglich eine Kündigung, die unmittelbar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und zum Ausschluß einer künftigen Betriebstreue des Arbeitnehmers führt, hindert die Entstehung des Jahressonderzahlungsanspruchs. Steht dagegen rechtskräftig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fest, so findet sich der Arbeitgeber mit der Leistung der Jahressonderzahlung im Schuldnerverzug, und er muß die daraus resultierenden Rechtsfolgen tragen.
3. Diese Auslegung des Tarifvertrages bedeutet für die Beurteilung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs:
a) Da das Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 5. November 1986 (– 2 Sa 1667/86 –) festgestellt hat, die Kündigungen der Beklagten vom 27. März 1986 und 28. Mai 1986 haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, ist das anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmal “ungekündigtes Arbeitsverhältnis” zu bejahen. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf den Hilfsantrag der Beklagten ändert daran nichts. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nicht unmittelbar durch die ausgesprochenen Kündigungen beendet. Zwar ist auch nach einer Auflösung der Arbeitnehmer gehindert, zukünftig Betriebstreue zu zeigen. Doch die fehlende zukünftige Betriebstreue allein ist nicht maßgeblich. Sie wirkt erst anspruchsmindernd, wenn sie durch eine Kündigung herbeigeführt wird. So hat die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Beendigungstatbestand außerhalb des Kündigungsrechts wie auch z.B. durch Aufhebungsvertrag keine Auswirkungen auf den Bestand des Anspruchs auf Jahressonderzahlung.
b) Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für die Kündigung der Beklagten vom 26. September 1986. Die Abgabe der Willenserklärung und eine aus Sicht des Kündigenden günstige Prognose rechtfertigen die Verweigerung der Jahressonderzahlung nicht. Vielmehr ist die Kündigung nur beachtlich, wenn sie das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat und damit die zukünftige Betriebstreue entfällt. Wenn eine solche Feststellung wegen zwischenzeitlich erfolgter gerichtlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist, bleibt zu fragen, ob die Kündigung berechtigt war und deshalb in der Lage gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Diese Frage gilt es auch angesichts der Tatsache zu beantworten, daß der Kläger nach der gerichtlichen Auflösung seines Arbeitsverhältnisses den anhängigen Kündigungsschutzprozeß – 3 Ca 1191/86 – beim Arbeitsgericht Siegen nicht fortgeführt hat. Denn der Kläger hätte seine Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG mit dem Antrag, daß das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist, mangels Rechtsschutzinteresses nicht weiterbetreiben können. Er hätte den Rechtsstreit allenfalls nach Klageänderung als allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO fortführen können mit dem Hinweis, daß von der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sein Gratifikationsanspruch abhinge. Das Arbeitsgericht hätte den Kläger in diesem Fall darauf hinweisen müssen, daß für eine derart isolierte Feststellung das nach § 256 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse fehle und der Kläger die Wirksamkeit der Kündigung im (bereits anhängigen) vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung der Gratifikation als Vorfrage prüfen lassen müsse.
c) Da der Kläger die Berechtigung der dritten Kündigung auch in diesem Rechtsstreit stets geleugnet hat, war es Aufgabe der Tatsacheninstanz des vorliegenden Rechtsstreits, die Berechtigung der Kündigung der Beklagten vom 26. September 1986 bei der Beurteilung des anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmals “ungekündigtes Arbeitsverhältnis” zu prüfen. Das hat das Landesarbeitsgericht übersehen und demzufolge versäumt, die Parteien aufzufordern, zur Berechtigung der Kündigung vorzutragen. Das wird es in einer erneuten Verhandlung nachzuholen haben und den dann vorgetragenen Sachverhalt zu bewerten haben. Stellt es fest, daß die Kündigung das Arbeitsverhältnis mangels sozialer Rechtfertigung oder aus anderen Unwirksamkeitsgründen nicht auflösen konnte, hat der Kläger für das Jahr 1986 einen Gratifikationsanspruch erworben. Stellt es fest, daß die Kündigung rechtens war, kann der Kläger keine Gratifikation verlangen.
Unterschriften
Dr. Röhsler, Schneider, Dörner, Dr. Steinhäuser, Schwarck
Fundstellen
Haufe-Index 873917 |
BAGE, 385 |
BB 1990, 925 |
RdA 1990, 128 |