Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung nach Altersteilzeit. Tarifauslegung
Leitsatz (redaktionell)
Nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses muss tatsächlich eine Rentenkürzung eintreten, damit ein Anspruch aus § 6 Abs. 2 S.1 des TV ATZ/AOK auf tarifliche Abfindung besteht.
Normenkette
TV Altersteilzeit AOK 2006 § 6 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 2016 – 1 Sa 19/16 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt die Zahlung einer Abfindung gemäß § 6 Abs. 2 des Tarifvertrags zur Altersteilzeit für die Beschäftigten der AOK vom 11. Dezember 1997 idF des Änderungstarifvertrags vom 25. Oktober 2006 (TV ATZ AOK).
Der am 3. Oktober 1952 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. August 1967 beschäftigt. Am 27./28. November 2006 vereinbarten die Parteien die Fortführung ihres Arbeitsverhältnisses als Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes (AltTZG) und des TV ATZ AOK im Blockmodell. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Altersteilzeitarbeitsvertrags sollte das Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Oktober 2015 enden. Weiter heißt es in § 9 Abs. 1 Satz 2 des Altersteilzeitarbeitsvertrags:
„Der Arbeitnehmer ist sich bewusst, dass er dadurch bei seiner Altersrente bzw. Zusatzversorgungsrente, die unmittelbar im Anschluss an das Ende des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen wird, Abschläge hinnehmen muss.”
In dem im Altersteilzeitarbeitsvertrag in Bezug genommenen TV ATZ AOK heißt es, soweit maßgeblich, wie folgt:
„§ 6 Aufstockungszahlung
…
(2) Beschäftigte, die nach Inanspruchnahme der Altersteilzeit eine Rentenkürzung zu erwarten haben, erhalten eine einmalige Abfindung brutto für netto. Die Abfindung beträgt für Beschäftigte, die bei Beginn der Altersteilzeit
– das 56. Lebensjahr noch nicht vollendet haben |
4 Brutto-Monatsgehälter |
– das 58. Lebensjahr noch nicht vollendet haben |
3 Brutto-Monatsgehälter |
– das 59. Lebensjahr noch nicht vollendet haben |
1,5 Brutto-Monatsgehälter. |
… |
|
Die Abfindung wird zum Ende der Altersteilzeit gezahlt.”
Nach Beendigung seines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bezog der Kläger nach dem Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 17. September 2015 ab dem 1. November 2015 eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte.
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2015 bat der Kläger die Beklagte erfolglos, die ihm nach dem TV ATZ AOK zustehende Abfindung zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Abfindungsanspruch setze nicht voraus, dass tatsächlich eine Rentenkürzung eintrete. Ausreichend sei vielmehr, dass bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags nach der damaligen gesetzlichen Regelung eine Rentenkürzung zu erwarten gewesen wäre.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.092,00 Euro brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 1. November 2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abfindung gemäß § 6 Abs. 2 TV ATZ AOK.
I. Dem Anspruch steht entgegen, dass der Kläger nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b Abs. 2 SGB VI in Anspruch nehmen konnte. Denn der Anspruch auf die tarifliche Abfindung setzt voraus, dass nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses tatsächlich eine Rentenkürzung eintritt. Dies ergibt die Tarifauslegung.
1. Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus dem Wortlaut der Tarifnorm nicht, dass für den Anspruch auf Abfindung allein das bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags geltende gesetzliche Rentenrecht maßgeblich sein soll. Der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ AOK spricht eher für eine real eintretende Rentenkürzung nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Mit dem Begriff „erwarten” wird ausgedrückt, dass man fest mit dem Eintreten eines Ereignisses rechnet (vgl. Duden Das Bedeutungswörterbuch 4. Aufl. S. 1075). Da das Ereignis in der Zukunft liegt, kann sich die Erwartung auch nur auf die in der Zukunft liegende Rechtslage beziehen. Die Wortwahl „zu erwarten haben” greift dabei lediglich den Umstand auf, dass die Rentenzahlung sich nicht unmittelbar an die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis anschließt, sondern erst nach der Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses fällig wird. Deshalb bestimmt § 6 Abs. 2 Satz 4 TV ATZ AOK, dass die Abfindung zum Ende der Altersteilzeit gezahlt werden soll. Der Auslegung des Klägers, es sei der Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrags maßgeblich, steht der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ AOK entgegen. Danach kommt es nicht darauf an, ob Beschäftigte bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags Rentenkürzungen zu erwarten haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob dies „nach Inanspruchnahme der Altersteilzeit” der Fall sein wird.
2. Nur diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der Tarifregelung. Wie schon aus dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ AOK „eine Rentenkürzung zu erwarten haben”) folgt, soll die Abfindung eine spätere Rentenkürzung pauschal abmildern. Dem entspricht auch die Staffelung nach dem Lebensalter, die bei höherem Lebensalter zu Beginn der Altersteilzeit niedrigere Abfindungen vorsieht. Die Tarifvertragsparteien sind ersichtlich von der Annahme ausgegangen, dass jüngere Arbeitnehmer wegen früheren Rentenbeginns höhere Rentenkürzungen hinnehmen müssen als ältere Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang versteht sich auch die Wortwahl „zu erwarten haben”. Denn insoweit knüpft die Regelung für die Berechnung der Abfindung mit ihrer Staffelung nicht an die tatsächliche, sondern an die aufgrund des Lebensalters üblicherweise zu erwartende Rentenkürzung an. Zudem stellt die Tarifregelung für die Höhe der Abfindung nicht auf die Dauer des beendeten Arbeitsverhältnisses ab, was für eine Entlassungsabfindung zum Ausgleich des Verlusts des Arbeitsplatzes typisch wäre.
Der Kläger beruft sich ohne Erfolg darauf, der TV ATZ AOK hätte, falls eine tatsächlich eintretende Rentenkürzung für den Anspruch auf Abfindung erforderlich sei, wie § 5 Abs. 7 des Tarifvertrags zur Regelung der Altersteilzeitarbeit idF des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 (TV ATZ) den konkreten Rentennachteil für die Berechnung der Abfindung zugrunde legen müssen. Er verkennt hierbei, dass die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative einen Ausgleich für Nachteile – wie hier – pauschalieren können.
3. Letztlich führte die Auslegung des Klägers auch zu sinnwidrigen Ergebnissen. Folgte aus dem bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags geltenden gesetzlichen Rentenrecht keine Rentenkürzung bei Renteneintritt nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, stände dem Arbeitnehmer auch dann keine Abfindung zu, wenn sich das Rentenrecht zu seinem Nachteil änderte und er tatsächlich eine Rentenkürzung hinnehmen müsste.
II. Unionsrechtliche Erwägungen stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
Der Kläger beruft sich ohne Erfolg darauf, der Gerichtshof der Europäischen Union habe entschieden, dem Diskriminierungsverbot wegen des Alters stehe es entgegen, wenn eine Regelung vorsehe, dass Arbeitnehmer keine Entlassungsabfindung beziehen könnten, allein weil sie Anspruch auf Altersrente hätten (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 27). Diese Rechtsprechung ist hier nicht einschlägig. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei der Abfindung gemäß § 6 Abs. 2 TV ATZ AOK nicht um eine Entlassungsabfindung handelt. Wie bereits ausgeführt, ist die Abfindung nicht wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes zu zahlen. Sie ist vielmehr ein pauschaler Ausgleich für eintretende Rentenkürzungen.
B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Brühler, Suckow, Krasshöfer, Lipphaus, Winzenried
Fundstellen
Haufe-Index 11469657 |
DStR 2018, 10 |
RiA 2018, 169 |
ArbR 2018, 124 |