Entscheidungsstichwort (Thema)
Freischichten in Druckindustrie
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff der ständigen Arbeit in gleichmäßig verteilter Wechselschicht nach § 3 Manteltarifvertrag für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie in Rheinland-Pfalz und im Saarland vom 1. Februar 1985 sind die tariflichen Durchführungsbestimmungen zu § 4 Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland heranzuziehen. Danach genügt es, daß der Anteil der Spätschicht ein Drittel der Gesamtschichtzeit beträgt und im 4-Monats- Zeitraum in 15 Wochen Wechselschicht gearbeitet wird.
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.06.1986; Aktenzeichen 2 Sa 270/86) |
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 12.02.1986; Aktenzeichen 6 Ca 668/85) |
Tatbestand
Der Kläger, der der Industriegewerkschaft (IG) Druck und Papier als Mitglied angehört, steht seit 1960 in den Diensten der Beklagten, die Mitglied des Landesverbandes Druck Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. ist, und wird von ihr in der Arbeitsvorbereitung Satzherstellung als Angestellter beschäftigt. Der Landesverband Druck Rheinland-Pfalz und Saarland e.V. und die IG Druck und Papier - Landesbezirk Rheinland-Pfalz/Saar - haben den Manteltarifvertrag für kaufmännische und technische Angestellte in der Druckindustrie in Rheinland-Pfalz und im Saarland vom 1. Februar 1985 (MTV Druck Angestellte) abgeschlossen. Der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (MTV Druck Arbeitnehmer) ist vom Bundesverband Druck und der IG Druck und Papier am 6. Juli 1984 abgeschlossen worden. Das Monatsgehalt des Klägers beträgt DM 3.154,-- brutto.
Der Kläger begehrt von der Beklagten für jeweils vier Kalendermonate erbrachte Arbeitsleistung eine Freischicht, weil er nach seiner Auffassung ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht im Sinne von § 3 Ziff. 1 Abs. 5 MTV Druck Angestellte arbeitet. In der Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1985 arbeitete der Kläger im ersten Vier-Monats-Zeitraum in folgenden Schichten:
1. Woche: Normalschicht
2. Woche: Spätschicht
3. Woche: Normalschicht
4. Woche: Spätschicht
5. Woche: Normalschicht
6. Woche: Normalschicht
7. Woche: Normalschicht
8. Woche: Spätschicht
9. Woche: Normalschicht
10. Woche: Spätschicht
11. Woche: Normalschicht
12. Woche: Spätschicht
13. Woche: Normalschicht
14. Woche: Normalschicht
15. Woche: Normalschicht
16. Woche: Spätschicht
17. Woche: Normalschicht.
Im zweiten Vier-Monats-Zeitraum arbeitete der Kläger in folgenden Schichten:
1. Woche: Normalschicht
2. Woche: Normalschicht
3. Woche: Spätschicht
4. Woche: Normalschicht
5. Woche: Spätschicht
6. Woche: Normalschicht
7. Woche: Normalschicht
8. Woche: Normalschicht
9. Woche: Spätschicht
10. Woche: Normalschicht
11. Woche: Spätschicht
12. Woche: Normalschicht
13. Woche: Normalschicht
14. Woche: Normalschicht
15. Woche: Spätschicht
16. Woche: Normalschicht
17. Woche: Spätschicht
18. Woche: Normalschicht.
Der Kläger hat vorgetragen, er arbeite ständig in Wechselschicht, da er planmäßig sowohl in Normalschichten als auch in Spätschichten arbeite. Auf einen bestimmten Schichtrhythmus komme es nicht an. Insbesondere sei nicht erforderlich, daß die Schichten wöchentlich wechselten. Nach Ziff. 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 Ziff. 1 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, der insoweit wörtlich mit § 3 Ziff. 1 Abs. 5 MTV Druck Angestellte übereinstimme, sei für den Begriff der gleichmäßig verteilten Wechselschicht nur erforderlich, daß der Anteil der Spät- oder Nachtschichten im Bemessungszeitraum mindestens ein Drittel der Gesamtschichtzeit betragen müsse. Dies treffe für ihn zu. Wenn nach Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 Ziff. 1 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der Anspruch auf Freischichten auch dann entstehe, wenn aus betrieblichen Gründen innerhalb des Bemessungszeitraums in mindestens 15 Wochen pro Vier-Monats-Zeitraum in Wechselschicht oder Nachtarbeit gearbeitet worden ist, werde damit der Begriff der ständigen Wechselschichtarbeit erweitert und auch auf die Fälle erstreckt, in denen der Arbeitnehmer in einem Vier-Monats-Zeitraum in zwei Wochen völlig außerhalb der Schichtarbeit eingesetzt werde. Demgemäß ständen ihm für die Monate Januar bis August 1985 zwei Freischichten zu.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß ihm für die Zeit vom
1. Januar bis 31. August 1985 zwei Frei-
schichten zustehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, nach Ziff. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seien als Wechselschicht versetzte Arbeitszeiten anzusehen, bei denen die Zeitversetzung hinsichtlich des Arbeitsbeginns mindestens sechs Stunden betrage. Demgemäß könne nur die Arbeitswoche, in der sich der Arbeitsbeginn gegenüber der Vorwoche um mindestens sechs Stunden verschiebe, als Arbeitswoche in Wechselschicht angesehen werden. Danach habe der Kläger in den beiden Vier-Monats-Zeiträumen, für die er Freischichten beanspruche, nur dreizehn und zwölf Wochen in Wechselschicht gearbeitet. Nach Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen sei aber für den Anspruch auf Freischichten erforderlich, daß innerhalb des Vier-Monats-Zeitraums mindestens 15 Wochen in Wechselschicht gearbeitet werde.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zu der von dem Kläger beantragten Feststellung. Dem Kläger stehen nach § 3 Ziff. 1 Abs. 5 MTV Druck Angestellte für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1985 zwei Freischichten zu. Denn er arbeitet ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Vorschriften des Manteltarifvertrags für die kaufmännischen und technischen Angestellten der Druckindustrie in Rheinland-Pfalz und im Saarland vom 1. Februar 1985 (MTV Druck Angestellte) kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Der MTV Druck Angestellte ist nach seinem § 15 Ziff. 3 rückwirkend ab 1. Januar 1984 in Kraft getreten. Danach kommt es für die Klageforderung darauf an, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 3 Ziff. 1 Abs. 5 MTV Druck Angestellte erfüllt, der wie folgt lautet:
"Angestellte, die ständig in gleichmäßig ver-
teilter Wechselschicht arbeiten oder ständig
Nachtarbeit leisten, erhalten für jeweils 4
Kalendermonate erbrachter Arbeitsleistung ei-
ne Freischicht."
Der Kläger nimmt für sich in Anspruch, daß er ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht arbeitet und demgemäß für die Monate Januar bis August 1985 zwei Freischichten beanspruchen kann. Die Tarifvertragsparteien des MTV Druck Angestellte haben nicht näher geregelt, was sie unter "ständig in gleichmäßig verteilter Wechselschicht arbeiten" verstehen. Eine fast gleichlautende und dort näher erläuterte Bestimmung enthält jedoch § 4 Ziff. 1 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Juli 1984 (MTV Druck Arbeitnehmer), der wie folgt lautet:
"Arbeitnehmer, die ständig in gleichmäßig ver-
teilter Wechselschicht arbeiten oder ständig
Nachtarbeit leisten, erhalten für jeweils
vier Kalendermonate erbrachter Arbeitslei-
stung eine Freischicht. Für die Freischich-
ten wird der Arbeitsverdienst fortgezahlt."
Der MTV Druck Arbeitnehmer, der bundesweit gilt, ist am 6. Juli 1984 abgeschlossen worden. Wenn dann regionale Tarifvertragsparteien für ihren Bereich für eine andere Arbeitnehmergruppe (hier: Angestellte) die gleiche tarifliche Regelung treffen, wollen sie damit ersichtlich an die bundesweit geltende Regelung für die gewerblichen Arbeitnehmer anknüpfen. Im allgemeinen können zwar zur Tarifauslegung andere Tarifverträge nicht ohne weiteres herangezogen werden (BAG Urteil vom 31. Oktober 1984 - 4 AZR 604/82 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Wenn aber von denselben Tarifvertragsparteien bzw. ihren Unterorganisationen für denselben Industriebereich für bestimmte Arbeitnehmergruppen bundesweit und für andere Arbeitnehmergruppen regional die gleiche tarifliche Regelung getroffen wird und hierbei spezielle Fachbegriffe verwendet werden, ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien diese Fachbegriffe im selben Rechtssinne verstehen, weil die Fachbegriffe branchenbezogen sind und es sich bei beiden tariflichen Regelungen um dieselbe Branche handelt. Hierin stimmen auch die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits überein.
Demgemäß kann zur Erläuterung der Begriffe "ständig" und "in gleichmäßig verteilter Wechselschicht" auf die Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck Arbeitnehmer zurückgegriffen werden, die von den Tarifvertragsparteien schriftlich vereinbart sind, nach § 18 MTV Druck Arbeitnehmer Bestandteil des MTV Druck Arbeitnehmer sind und damit Tarifnormcharakter haben.
Was unter Wechselschicht zu verstehen ist, haben die Tarifvertragsparteien in Ziff. 4 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck Arbeitnehmer näher erläutert. Ziff. 4 lautet:
"Als Wechselschicht im Sinne von § 4 Ziffer 1
gelten auch versetzte Arbeitszeiten, bei de-
nen die Zeitversetzung hinsichtlich des Ar-
beitsbeginns mindestens 6 Stunden beträgt.
Dabei ist es weder erforderlich, daß eine Ab-
lösung auf dem gleichen Arbeitsplatz statt-
findet, noch daß die Wechselschichten nach
festen Plänen durchgeführt werden."
Unstreitig beträgt die Zeitversetzung zwischen dem Beginn der Normalschicht und dem Beginn der Spätschicht, in denen der Kläger eingesetzt war, mindestens sechs Stunden. Insoweit war der Kläger in Wechselschichtarbeiten tätig. Auch darüber streiten die Parteien nicht.
Der Begriff "ständig" wird von den Tarifvertragsparteien des MTV Druck Arbeitnehmer nicht näher erläutert. Auch der für die Tarifauslegung zu berücksichtigende Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung (vgl. BAG 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) gibt keinen näheren Aufschluß darüber, was die Tarifvertragsparteien unter dem Begriff "ständig" in § 3 Ziff. 1 Abs. 5 MTV Druck Angestellte verstehen. Auch Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck Arbeitnehmer, auf die sich die Beklagte beruft, enthält keine nähere Begriffsbestimmung der "ständigen" Wechselschicht, sondern nur eine Erweiterung des Begriffs, was in den Worten zum Ausdruck kommt "... entsteht auch dann, ...". Daraus können aber keine weiteren Schlüsse auf den Begriff "ständig" gezogen werden. Daher kann insoweit nur auf die allgemeine Bedeutung des Begriffs zurückgegriffen werden. Danach ist unter dem Begriff ständig "dauernd, immer" zu verstehen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, 1983, S. 893). Demgemäß liegt eine ständige Wechselschichtarbeit dann vor, wenn ein Arbeitnehmer auf Dauer in wechselnden Schichten tätig ist. Das trifft vorliegend zu, da der Kläger in einem bestimmten Rhythmus in Normalschichten und in Spätschichten eingesetzt wird. Einen bestimmten Rhythmus des Schichtwechsels haben die Tarifvertragsparteien nicht vorgeschrieben. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, wenn die Beklagte nur die Arbeitswochen als Wechselschicht ansehen will, in denen die Arbeitszeit sich gegenüber der Vorwoche verändert.
Der Kläger arbeitet auch in "gleichmäßig verteilter" Wechselschicht im tariflichen Sinne. Diesen Begriff haben die Tarifvertragsparteien näher erläutert. Ziff. 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck Arbeitnehmer lautet insoweit:
"Der Begriff der "gleichmäßig verteilten" Wech-
selschicht erfordert, daß der Anteil der Spät-
oder Nachtschichten im Bemessungszeitraum min-
destens ein Drittel der Gesamtschichtzeit be-
tragen muß."
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger unstreitig. Von den 17 oder 18 Arbeitswochen eines Vier-Monats-Zeitraums arbeitet er mindestens sechs Wochen im Spätdienst. Gerade diese Bestimmung zeigt, daß die Auffassung der Vorinstanzen unzutreffend ist. Ziff. 3 der Durchführungsbestimmungen regelt die Anforderungen an die Verteilung der Wechselschichten. Weitere Anforderungen stellt der Tarifvertrag insoweit nicht. Es ist deshalb unzulässig und tarifwidrig, wenn die Beklagte und die Vorinstanzen darüberhinausgehende strengere Anforderungen stellen.
Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß nach Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV Druck Arbeitnehmer in mindestens 15 Wochen pro Vier-Monats-Zeitraum ein Schichtwechsel stattgefunden haben müsse. Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen lautet:
"Der Anspruch auf Freischichten entsteht auch
dann, wenn aus betrieblichen Gründen innerhalb
des Bemessungszeitraums in mindestens 15 Wo-
chen pro Viermonatszeitraum in Wechselschicht
oder Nachtarbeit gearbeitet worden ist."
Ziff. 2 knüpft an den Begriff "ständig" in § 4 Ziff. 1 MTV Druck Arbeitnehmer an. Damit ist Ziff. 2 dahin auszulegen, daß ständige Wechselschichtarbeit auch dann anzunehmen ist, wenn in einem Vier-Monats-Zeitraum in mindestens 15 Wochen Wechselschicht gearbeitet worden ist, ohne daß etwa die Wechselschicht auf Dauer ausgeübt werden soll, was sonst dem Begriff "ständig" entgegenstünde. Ferner greift Ziff. 2 der Durchführungsbestimmungen auch dann ein, wenn innerhalb des Vier-Monats-Zeitraums in zwei Wochen aus irgendwelchen Gründen nicht in geplanten unterschiedlichen Schichten, sondern nach einem anderen Modus gearbeitet wird. Darauf weist der Kläger zutreffend hin.
Die Beklagte verwechselt im vorliegenden Rechtsstreit den Begriff Wechselschichten mit dem Begriff Schichtwechsel. Darauf hat der Kläger schon in der ersten Instanz zutreffend hingewiesen. In der Tat findet bei der Arbeitszeit des Klägers kein ständiger Schichtwechsel statt. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, daß ständig in Wechselschicht gearbeitet wird. Das trifft vorliegend zu. Für die Verteilung der Wechselschicht ist nur erforderlich, daß mindestens ein Drittel der Gesamtschichtzeit auf Spät- oder Nachtschichten entfallen.
Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel
Wehner Dr. Reinfeld
Fundstellen
NZA 1987, 526-528 (LT) |
AP § 1 TVG, Nr 12 |
AR-Blattei, ES 1410 Nr 6 (LT1) |
AR-Blattei, Schichtarbeit Entsch 6 (LT1) |
EzA § 4 TVG Druckindustrie, Nr 8 (LT) |