Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung bei Streik im Betrieb
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3 Arbeitskampf; BetrVG § 37 Abs. 2, 6
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 31.01.1990; Aktenzeichen 3 Sa 1539/89) |
ArbG Detmold (Urteil vom 15.08.1989; Aktenzeichen 2 Ca 448/89) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Kamm vom 31. Januar 1990 – 3 Sa 1539/89 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 15. August 1989 – 2 Ca 448/89 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 475,23 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Mai 1989 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die beklagte GmbH betreibt mit 64 Arbeitern und 18 Angestellten eine Offset-Druckerei. Der Kläger ist bei ihr als Drucker beschäftigt. Er ist Mitglied des Betriebsrats.
Im Zuge der Tarifauseinandersetzungen zwischen der damaligen Industriegewerkschaft Druck und Papier (IG Druck) und dem Arbeitgeberverband der Druckindustrie wurden am Donnerstag, dem 2. März 1989, die Arbeitnehmer der Beklagten zu einem Warnstreik aufgerufen, an dem sich alle Arbeiter einschließlich des Klägers, nicht aber die Angestellten, beteiligten. In der Zeit von Montag, den 6. März, bis Donnerstag, den 9. März 1989, wurde der Betrieb der Beklagten durchgehend bestreikt, wobei wiederum alle Arbeiter, nicht aber die Angestellten, dem Streikaufruf folgten. Inwieweit während des Streiks die Arbeit im Betrieb mit Hilfe der Angestellten aufrechterhalten wurde, ist unter den Parteien streitig.
Während der gleichen Zeit, in der der Betrieb der Beklagten bestreikt wurde, nahm der Kläger von Montag, den 6. März, bis einschließlich Freitag, den 10. März, an einer Schulungsveranstaltung für Betriebsratsmitglieder der IG Druck teil, zu der er bereits im Sommer 1988 angemeldet worden war. Für die Zeit der Teilnahme des Klägers an dieser Schulungsveranstaltung zahlte die Beklagte lediglich den Lohn für Freitag, den 10. März, weigerte sich aber, den Lohn auch für die „Streiktage” vom 6. bis 9. März 1989 zu zahlen.
Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für die gesamte Zeit der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung der Lohnanspruch zu, obwohl er sich – wäre er nicht zur Schulung gewesen – „selbstverständlich nicht als Streikbrecher betätigt hätte”. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 475,23 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Mai 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Der Kläger kann für die Zeit der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung die Fortzahlung seines Arbeitsentgelts verlangen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine abweisende Entscheidung damit begründet, dem Kläger stehe ein Lohnanspruch für die fragliche Zeit nur dann zu, wenn er ohne den Besuch der Schulungsveranstaltung einen Anspruch auf Zahlung seines Arbeitsentgelts gehabt hätte. Das sei jedoch nicht der Fall, da der Kläger in dieser Zeit sich wie alle anderen Arbeiter am Streik beteiligt hätte, wovon angesichts der eigenen Erklärung des Klägers, er hätte sich nicht als Streikbrecher betätigt, auszugehen sei. Damit hat das Landesarbeitsgericht den Einfluß eines Streiks auf den Lohnanspruch des Klägers für die Zeit seiner Schulungsteilnahme verkannt.
II. Der Anspruch des Klägers ist nach § 37 Abs. 6 in Verb. mit § 37 Abs. 2 BetrVG begründet.
1.a) Unter den Parteien ist nicht im Streit, daß der Kläger eine Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG besucht hat, für die unter entsprechender Anwendung von § 37 Abs. 2 BetrVG der Kläger „von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts befreit” war. Daraus ergibt sich für den Besuch einer Schulungsveranstaltung, daß dem Betriebsratsmitglied grundsätzlich der Lohn fortzuzahlen ist, den es ohne den Besuch der Schulungsveranstaltung in dieser Zeit verdient hätte. Es gilt das sogenannte Lohnausfallprinzip. Durch § 37 Abs. 2 BetrVG wird für Betriebsratsmitglieder, die Betriebsratstätigkeit ausüben, kein eigenständiger Lohnanspruch begründet, es bleiben lediglich die dem Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zustehenden Entgeltansprüche erhalten (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt Urteil vom 29. Juli 1980, BAGE 34, 80 = AP Nr. 37 zu § 37 BetrVG 1972; Kraft, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 43 ff.; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 111; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 37 Rz 104; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 96; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 37 Rz 126). Von daher hängt der Klageanspruch davon ab, ob der Kläger für die Zeit vom 6. bis 9. März 1989 gegen die Beklagte einen Lohnanspruch gehabt hätte, wenn er die Schulungsveranstaltung nicht besucht hätte.
b) Wenn die Revision demgegenüber meint, an die Stelle seiner Arbeitspflicht sei die Verpflichtung zur Teilnahme an der Schulungsveranstaltung getreten und schon wegen der Erfüllung dieser Verpflichtung stehe dem Kläger ein Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitslohnes zu, so steht dies im Widerspruch zu dem in § 37 Abs. 2 BetrVG normierten Lohnausfallprinzip. Die Revision übersieht, daß nach § 37 Abs. 1 BetrVG das Betriebsratsamt ein Ehrenamt ist und die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit – auch in der Form der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung – unentgeltlich ist. Durch § 37 Abs. 2 BetrVG wird lediglich sichergestellt, daß das Betriebsratsmitglied durch die Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit keinen Lohnausfall erleidet. Von daher ist auch für Betriebsratstätigkeit, die außerhalb der Arbeitszeit wahrgenommen wird, abgesehen von den Fällen des § 37 Abs. 3 BetrVG, dem Betriebsratsmitglied weder ein Freizeitausgleich zu gewähren noch ist diese Tätigkeit als Mehrarbeit zu vergüten (BAGE 25, 305 = AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972; herrschende Meinung, Kraft, a.a.O., § 37 Rz 44, mit weiteren Nachweisen).
2. Unter den Parteien ist auch nicht im Streit, daß dem Kläger für die Zeit seiner Schulungsteilnahme der geltend gemachte Lohnanspruch zustünde, wenn in dieser Zeit im Betrieb nicht gestreikt worden wäre. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt damit allein davon ab, ob dieser Lohnanspruch deswegen entfällt, weil der Betrieb der Beklagten in dieser Zeit bestreikt wurde und davon auszugehen ist, daß der Kläger sich am Streik beteiligt hätte, wenn er nicht an der Schulungsveranstaltung teilgenommen hätte. Das kann entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht angenommen werden.
3. Zutreffend gehen die Parteien und das Landesarbeitsgericht davon aus, daß ein Arbeitnehmer, der sich an einem Streik beteiligt, für die Zeit seiner Streikbeteiligung keinen Anspruch auf Lohn hat. Das bedarf keiner weiteren Begründung.
a) Ob ein Arbeitnehmer sich an einem Streik beteiligt, ist dann leicht festzustellen, wenn der Arbeitnehmer statt zu arbeiten streikt, d.h. sich an einem Streik beteiligt. Nicht so eindeutig ist diese Feststellung dann, wenn der Arbeitnehmer für die Zeit eines Streiks aus anderen Gründen nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, aus dem Nichterbringen der Arbeitsleistung daher nicht zwingend der Schluß gezogen werden kann, der Arbeitnehmer beteilige sich am Streik. Es sind dies die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer z.B. während eines Streiks arbeitsunfähig krank ist, sich im Urlaub befindet, aufgrund von Beschäftigungsverboten, etwa nach dem Mutterschutzgesetz, nicht zu arbeiten braucht oder in denen die Arbeit infolge Kurzarbeit oder aus anderen Gründen ohnehin ausfällt. Allen diesen Fällen ist die vorliegende Fallgestaltung insoweit vergleichbar, als der Arbeitnehmer wegen der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG von seiner Arbeitspflicht befreit ist.
b) Die Frage, inwieweit ein Arbeitnehmer Lohnfortzahlung auch ohne Arbeitsleistung während eines Arbeitskampfes verlangen kann, hat der Senat zuletzt für die Fälle entschieden, in denen der Arbeitgeber die Arbeitnehmer ausgesperrt hat.
Er hat in seiner Entscheidung vom 7. Juni 1988 (BAGE 58, 332 = AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ausgesprochen, daß auch arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer ausgesperrt werden können. Nach dem Urteil vom 25. Oktober 1988 (BAGE 60, 71 = AP Nr. 110 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) können auch Betriebsratsmitglieder ausgesperrt werden. Mit Urteil vom 22. Oktober 1986 (BAGE 53, 205 = AP Nr. 4 zu § 14 MuSchG 1968) hat der Fünfte Senat ausgesprochen, daß bei einer Aussperrung der Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin während der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG keinen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld zu zahlen hat. Nach der Entscheidung des Senats vom 31. Mai 1988 (BAGE 58, 315 = AP Nr. 57 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG) ist für die in eine Aussperrung fallenden gesetzlichen Feiertage kein Feiertagslohn zu zahlen. Allen diesen Entscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, daß mit der Aussperrung der Arbeitgeber nicht nur die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer, sondern auch seine Lohnzahlungspflicht suspendiert, und zwar auch, soweit diese in der Verpflichtung besteht, Lohnersatzleistungen für Zeiten ohne Arbeit zu erbringen.
Hinsichtlich eines Urlaubs hat der Senat hingegen ausgesprochen, daß ein bewilligter Urlaub durch eine Aussperrung nicht berührt wird, für die Zeit des Urlaubs daher Urlaubsentgelt zu zahlen ist, auch wenn der Urlaub ganz oder teilweise in eine Zeit fällt, in der die Arbeitnehmer des Betriebes ausgesperrt sind (Urteil vom 31. Mai 1988, BAGE 58, 310 = AP Nr. 58 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG).
c) Für die Frage, ob und inwieweit für Krankheitszeiten, Urlaubszeiten oder andere Zeiten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber der Lohn gezahlt werden muß, wenn während dieser Zeiten im Betrieb gestreikt wird, ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht so eindeutig. Mit Urteil vom 24. Februar 1961 (– 1 AZR 17/59 – AP Nr. 31 zu § 1 ArbKrankhG) hat das Bundesarbeitsgericht ausgesprochen, daß ein bereits vor Streikbeginn erkrankter Arbeiter seinen Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß zum Krankengeld behält, wenn er – wäre er nicht krank gewesen – im Betrieb trotz des Streiks hätte arbeiten können.
Aus den gleichen Erwägungen ist mit Urteil vom 17. Dezember 1964 (– 2 AZR 72/64 – AP Nr. 39 zu § 1 ArbKrankhG) ein Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß zum Krankengeld verneint worden, wenn während der Krankheit der Betrieb bestreikt wird und dieser Streik zur Stillegung des Betriebes bis auf einen Notdienst führt. Auch nur für den Fall, daß der Streik zur Stillegung des Betriebes führt, hat der Fünfte Senat entschieden, daß durch die Tage der streikbedingten Stillegung des Betriebes der Zeitraum von sechs Wochen für den Anspruch auf Lohnfortzahlung nicht verlängert wird (Urteil vom 8. März 1973 – 5 AZR 491/72 – AP Nr. 29 zu § 1 LohnFG). Entscheidungen für den Fall, daß trotz eines Streiks im Betrieb weitergearbeitet worden ist, so daß auch der erkrankte Arbeitnehmer ohne seine Erkrankung hätte arbeiten können, sind nicht ergangen. Für den Fall des Urlaubs hat der Senat ausgesprochen, daß ein bewilligter Urlaub nicht dadurch unterbrochen wird, daß während des Urlaubs der Betrieb bestreikt wird (Urteil vom 9. Februar 1982 – 1 AZR 567/79 – AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG).
d) Im Schrifttum wird unter Bezugnahme auf die genannten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts durchweg die Annahme vertreten, daß der erkrankte Arbeitnehmer während eines Streiks Anspruch auf Lohnfortzahlung habe, wenn er sich nicht am Streik beteilige. Davon wird zunächst ausgegangen, wenn der Arbeitnehmer sich an einem schon begonnenen Streik nicht beteiligt hat und dann arbeitsunfähig krank wird (Löwisch/Krauß, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht 1989, Rz 515; Kalb, Arbeitskampfrecht, 1986, Rz 246). Habe der Arbeitnehmer sich zunächst am Streik beteiligt und werde er dann krank, so bestehe grundsätzlich kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Der Arbeitnehmer könne jedoch seine Streikteilnahme durch Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber beenden mit der Folge, daß der Arbeitgeber wieder zur Lohnfortzahlung verpflichtet sei (Löwisch/Krauß, a.a.O., Rz 515; Seiter. Streikrecht und Aussperrungsrecht. S. 301; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. 1982, Rz 663; Däubler/Colneric, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl. 1987, Rz 572; anderer Ansicht Buchner, Arbeitgeberzuschuß bei Streik und Aussperrung, DB 1966, 110, 111). Dabei gehen die genannten Autoren davon aus, daß auch die erkrankten Arbeitnehmer, obwohl sie ohnehin zur Arbeitsleistung nicht verpflichtet sind, „streiken”, d.h. sich am Arbeitskampf beteiligen können, sei es, daß sie Streikposten stehen, sich sonst unterstützend betätigen oder mit ihrer Streikteilnahme dem Arbeitgeber nur zu verstehen geben, daß sie, auch wenn sie wieder gesund sind, nicht arbeiten werden (vgl. die Beispiele bei Löwisch/Krauß, a.a.O., Rz 435 und Däubler/Colneric, a.a.O., Rz 561). Demgegenüber ist das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24. Februar 1961 (– 1 AZR 17/59 – AP Nr. 31 zu § 1 ArbKrankhG) noch davon ausgegangen, daß ein erkrankter Arbeitnehmer überhaupt nicht streiken könne. In seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1964 (– 2 AZR 72/64 – AP Nr. 39 zu § 1 ArbKrankhG) hat das Bundesarbeitsgericht diese Frage offengelassen.
4. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1988 (BAGE 58, 320 = AP Nr. 56 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG) im einzelnen ausgeführt, daß bei einem Streik die Arbeitspflicht der Arbeitnehmer noch nicht dadurch suspendiert werde, daß die Gewerkschaft die Arbeitnehmer zum Streik aufruft. Es ist vielmehr Sache des einzelnen Arbeitnehmers, konkludent oder ausdrücklich gegenüber dem Arbeitgeber zu erklären, daß er sich am Streik beteilige und deshalb seine Arbeitspflicht suspendiere. Diese Erklärung erfolge in der Regel konkludent durch Niederlegung der Arbeit im Anschluß an einen Aufruf der Gewerkschaft zum Streik. Der betroffene Arbeitgeber könne im Regelfall davon ausgehen, daß die Arbeitnehmer, die nach einem gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zur Arbeit erscheinen, von ihrem Streikrecht Gebrauch machen und damit ihre Arbeitspflicht suspendieren. Der Arbeitgeber könne aber nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß alle Arbeitnehmer, die bei Streikbeginn nicht zur Arbeit erscheinen, Streikteilnehmer sind. Das sei jedenfalls eindeutig nicht der Fall bei Arbeitnehmern, die schon vor Streikbeginn von der Arbeit befreit waren. Entsprechend hat der Senat schon in seiner Entscheidung vom 9. Februar 1982 (– 1 AZR 567/79 – AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG) entschieden, daß es einem Arbeitnehmer freistehe, sich nicht an einem Streik zu beteiligen, sondern trotz eines Streiks im Betrieb einen bewilligten Urlaub anzutreten oder während des Streiks fortzusetzen. Daß der Arbeitnehmer sich als Mitglied der den Streik tragenden Gewerkschaft an diesem Streik beteiligt hätte, wenn er sich nicht im Urlaub befunden hätte, sei unerheblich.
Ebenso wie die Suspendierung der Arbeitspflicht erst durch eine Erklärung des Arbeitnehmers erfolgt, daß er sich am Streik beteilige, endet die Streikbeteiligung auch erst durch eine Erklärung, mit der der Arbeitnehmer kundgibt, daß er aus dem Streikgeschehen ausscheide. Das kann auch vor der Beendigung des Arbeitskampfes der Fall sein (Urteil des Senats vom 31. Mai 1988, a.a.O.).
5. Entfällt damit der Lohnanspruch eines Arbeitnehmers anläßlich eines Streiks im Betrieb nur dann, wenn der einzelne Arbeitnehmer seine Teilnahme an diesem Streik – ausdrücklich oder konkludent – erklärt, so folgt daraus jedenfalls für Zeiten einer Befreiung von der Arbeitspflicht aus anderen Gründen unter Aufrechterhaltung des Lohnanspruches, die bereits vor Beginn des Streiks feststehen, daß dieser Lohnfortzahlungsanspruch nur dann entfällt, wenn der Arbeitnehmer erklärt, daß er sich auch während dieser Zeiten am Streik beteilige. Auch diese Erklärung kann konkludent erfolgen, etwa dadurch, daß der Arbeitnehmer sich tatsächlich am Streik beteiligt, als Streikposten oder in anderer Weise. Allein darin, daß der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint, kann in diesen Fällen aber nicht die konkludente Erklärung gesehen werden, er beteilige sich am Streik.
Damit sind bei Beginn des Streiks bereits feststehende Zeiten einer Arbeitsbefreiung unter Entgeltfortzahlung ebenso zu behandeln, wie ein bereits bewilligter oder angetretener Urlaub. Der für diese Zeiten begründete Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird daher durch einen Streik im Betrieb solange nicht berührt, als nicht der Arbeitnehmer auch für diese Zeit seine Teilnahme am Arbeitskampf erklärt.
Eine andere Frage ist, ob der Arbeitnehmer eine bereits festgelegte Zeit einer Arbeitsbefreiung mit Entgeltfortzahlung in jedem Falle „widerrufen” kann, um sich am Streik zu beteiligen, und mit der Folge, daß diese bezahlte Arbeitsfreistellung zu einer anderen Zeit nachzugewähren ist. Über diese Frage ist vorliegend nicht zu entscheiden. Für den Fall eines bewilligten Urlaubs hat der Senat hinsichtlich eines „Widerrufs” mit Rücksicht auf einen Arbeitskampf Bedenken geäußert (Urteil vom 31. Mai 1988, BAGE 58, 310 = AP Nr. 58 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG).
Im vorliegenden Fall stand für die Parteien schon im Sommer 1988 fest, daß der Kläger in der Zeit vom 6. bis 9. März 1989 die Schulungsveranstaltung besuchen und daher für diese Zeit einen Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts haben werde. Der Kläger hat diese Schulungsveranstaltung tatsächlich besucht. Er hat für diese Zeit weder ausdrücklich erklärt, daß er sich an dem Streik beteilige, noch neben der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung tatsächlich am Streik teilgenommen. Der Lohnanspruch des Klägers für die Zeit der Schulungsteilnahme ist daher allein dadurch, daß während dieser Zeit andere Arbeitnehmer des Betriebes streikten, nicht entfallen.
6. Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Falle auch nicht daraus, daß der Kläger sich an dem Warnstreik vom Donnerstag, dem 2. März, beteiligt hat. Dieser Warnstreik war beendet. Nach diesem Warnstreik ist zumindest am Freitag, dem 3. März, im Betrieb wieder gearbeitet worden. Auch der Kläger hat seine Arbeit wieder aufgenommen. Damit war die vom Kläger mit seiner Teilnahme am Warnstreik erklärte Beteiligung am Streik beendet. Eine Teilnahme an dem Streik ab Montag, dem 6. März, hat der Kläger – wie dargelegt – nicht erklärt.
7. Der Entscheidung, daß Entgeltfortzahlungsansprüche für Zeiten einer Arbeitsbefreiung unter den dargelegten Voraussetzungen durch einen Streik im Betrieb nicht in Wegfall kommen, stehen Gründe des Arbeitskampfrechts, insbesondere eine Störung der Parität der Arbeitskampfparteien, nicht entgegen.
Sinn eines Streiks ist es, durch Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung und die daraus resultierenden Schäden Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, um zum Abschluß eines Tarifvertrages zu kommen. Eine Streikteilnahme äußert sich daher vornehmlich darin, daß eine bestehende Arbeitspflicht von den streikenden Arbeitnehmern nicht erfüllt wird. Daraus folgt jedoch nicht, daß Arbeitnehmer, die aus anderen Gründen nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sind und nicht „streiken”, keinen Druck ausüben können. Auch diese Arbeitnehmer können durch tatsächlich gezeigte oder doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks verstärken (vgl. Löwisch/Krauß, a.a.O., Rz 435 und Däubler/Colneric, a.a.O., Rz 561). Ob Arbeitnehmer, die von ihrer Arbeitspflicht aus anderen Gründen befreit sind, von dieser Möglichkeit, den Druck des Streiks durch ihre erklärte Teilnahme zu verstärken, Gebrauch machen, ist allein ihrer Entscheidung überlassen. Tun sie dies nicht, verstärken sie den vom Streik ausgehenden Druck nicht. Wäre der Arbeitgeber ihnen gegenüber allein deswegen von der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung befreit, weil andere Arbeitnehmer streiken oder auch weil sich diese Arbeitnehmer, wären sie nicht ohnehin von der Arbeitspflicht befreit, am Streik beteiligt hätten, würde sich dies gerade zugunsten der Arbeitgeberseite auswirken, die von Lohnzahlungspflichten gegenüber Arbeitnehmern befreit würde, die sich am Streik nicht beteiligen und den Druck des Streiks damit auch nicht verstärken. Von den damit fortbestehenden Lohnfortzahlungspflichten kann sich die Arbeitgeberseite zudem dadurch befreien, daß sie die Arbeitnehmer aussperrt und damit ihre Pflicht zur Lohnzahlung und Lohnfortzahlung ohne Arbeitsleistung suspendiert (vgl. die oben unter II 3 b genannten Entscheidungen).
III. Die Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger hätte im Betrieb ohnehin nicht beschäftigt werden können, wenn er die Schulungsveranstaltung nicht besucht und dafür seine Arbeitsleistung auch für die Streiktage angeboten hätte. Schon deswegen könne der Kläger die Zahlung seines Lohnes für die Streiktage nicht verlangen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben während des Streiks Angestellte des Betriebs eilige Druckaufträge erledigt. Die Abwesenheit aller streikenden Arbeiter hat daher die Erledigung von Druckaufträgen tatsächlich nicht verhindert. Dann ist aber nicht einzusehen, warum der Kläger als Drucker nicht ebenso wie die Angestellten trotz des Streiks mit der Erledigung von Druckaufträgen hätte beschäftigt werden können, wenn er seine Arbeit angeboten hätte, also arbeitswillig gewesen wäre.
Schon deswegen bedarf es vorliegend keiner Entscheidung der Frage, ob der Lohnanspruch arbeitswilliger Arbeitnehmer deswegen entfällt, weil infolge eines Streiks anderer Arbeitnehmer des Betriebes der arbeitswillige Arbeitnehmer nicht beschäftigt werden kann.
Damit erweist sich der Anspruch des Klägers als begründet, so daß der Klage unter Aufhebung der Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts stattzugeben war. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 ZPO die Beklagte zu tragen.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Breier, Hilgenberg
Fundstellen