Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS (Wehrpflichtiger)
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 25. August 1995 – 3 (12) Sa 116/95 – aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 12. Dezember 1994 – 12 Ca 4669/94 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 5. Juli 1994 nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) gestützten außerordentlichen Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.
Der 1943 geborene Kläger unterzeichnete am 16. August 1969 während seines Grundwehrdienstes bei den Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA) eine mit der Überschrift „Berufung” versehene Verpflichtungserklärung zur Unterstützung der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Am 7. Oktober 1969 unterschrieb er unter der Überschrift „Verpflichtung” eine Erklärung zur noch engeren Zusammenarbeit mit dem MfS. Für die schriftlichen Informationen wählte er nun den Decknamen „P. H.”.
Vom MfS wurde der Kläger als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit” (GMS) und als „Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit” (IMS) geführt. Der Kläger lieferte einen handschriftlichen Bericht, den er mit seinem wirklichen Namen unterzeichnete, und vier handschriftliche Berichte, die er mit Decknamen unterschrieb. Darüber hinaus gibt es neun Treffberichte der Führungsoffiziere. Die Berichte beziehen sich auf Gespräche im Kameradenkreis.
In einem Bericht des Klägers vom 17. August 1969 schilderte er ein Gespräch mit dem Soldaten „Geschwärzt” nachdem „sechs bis acht Glas Bier getrunken worden waren”:
„Seine Freunde würden ihn um die Gelegenheit beneiden, durch seinen Dienst bei den Grenztruppen die Möglichkeit zu haben, bei günstiger Gelegenheit im Grenzdienst Fahnenflucht zu begehen. Er äußerte sich weiterhin, daß er diese Gelegenheit ohne großes Zögern nutzen würde.”
Nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem aktiven Wehrdienst sah das MfS keine Perspektive mehr für eine weitere inoffizielle Nutzung des Klägers. In einer Schlußbeurteilung vom 2. November 1970 heißt es über den Kläger:
„Er habe seine Aufträge gut erfüllt, konnte jedoch aufgrund der Spezifik seines Dienstes keine wesentlichen Arbeitsergebnisse aufweisen.”
Nach Studium, Promotion und Assistententätigkeit an der Universität L. war der Kläger von 1976 bis 1990 Abteilungsleiter der Arbeitshygieneinspektion des Bezirkes L. Ab 1. Januar 1991 war der Kläger am Gewerbeaufsichtsamt L. tätig, wo er am 1. Juli 1991 zum Abteilungsleiter berufen wurde.
In einer Erklärung vom 21. November 1991 verneinte der Kläger die Frage, ob er jemals „offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie” für das MfS gearbeitet habe.
Ein danach dem Beklagten erteilter Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes führte am 23. Juni 1994 zu einer Anhörung des Klägers. Mit Schreiben vom 5. Juli 1994 kündigte der Beklagte unter Hinweis auf den Einigungsvertrag das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise ordentlich.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam. Der Kläger hat dazu vorgetragen, er sei 1969 während seines Grundwehrdienstes von einem Offizier angesprochen worden, der ihm erklärt habe, die Berichterstattung über andere Soldaten sei notwendig und üblich. Er habe sich nicht freiwillig bereit erklärt, sondern sei von einer dienstlichen Verpflichtung ausgegangen. Er habe nur zehn Monate berichtet und keinerlei Vorteile aus der Berichtstätigkeit gezogen. Gegenüber dem Leutnant F. habe er sich geweigert, im Zivilleben an das MfS weiterzuberichten. Entgegen seiner Berufsplanung habe er nicht Dozent an der Universität werden können, weil er es abgelehnt habe, der SED beizutreten. An seiner Verfassungtreue könne kein Zweifel bestehen. Bei der Beantwortung der Fragen nach einer MfS-Tätigkeit habe er nicht an die Militärzeit gedacht, die ein Vierteljahrhundert zurückgelegen habe.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 5. Juli 1994 nicht aufgelöst worden sei.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die herausragende Stellung, die der Kläger jetzt in der Gewerbeaufsicht einnehme, sei mit seiner früheren Tätigkeit für das MfS nicht vereinbar. Zudem habe die unrichtige Beantwortung im Erklärungsbogen das Vertrauensverhältnis beeinträchtigt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Kündigung ist unwirksam. Es liegen weder die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV oder § 626 BGB noch die für eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG vor.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zwar zutreffend angenommen, daß der Kläger von August 1969 bis Oktober 1970 für das MfS tätig war. Auch die Berichte eines Wehrpflichtigen der NVA an das MfS über dienstliche Belange stellen eine Tätigkeit für das MfS dar. Wegen des langen Zeitraums von fast 24 Jahren, der zwischen der Beendigung der Tätigkeit für das MfS und der Kündigung liegt, ist eine Weiterbeschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst aber zumutbar (zum Zeitfaktor bei Kündigung wegen MfS-Tätigkeit vgl. BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94 u.a. – NZA 1997, 992). Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die MfS-Tätigkeit des Klägers sich zeitlich auf seine Wehrpflicht bei der NVA beschränkte und die Berichte inhaltlich nicht über dienstliche Belange hinausgingen. Soweit ein Bericht auch ein Gespräch über Fahnenflucht zum Gegenstand hatte, rechtfertigt dies keine grundlegend andere Bewertung. Fahnenflucht wird auch in rechtsstaatlichen Demokratien als Straftat angesehen (vgl. z.B. § 16 Wehrstrafgesetz). Die Verhinderung von Fahnenflucht verstößt nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Bedenklich ist lediglich das Mittel der Bespitzelung.
2. Die Kündigung kann auch nicht auf die Falschbeantwortung im Fragebogen gestützt werden. Zwar handelte es sich nicht um Fragen zu Vorgängen, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen waren, deren Beantwortung dem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht zumutbar ist (vgl. BVerfG, a.a.O.). Da sich die Berichte aber nur auf dienstliche Belange der über 20 Jahre zurückliegenden Wehrpflichtzeit des Klägers bezogen, konnte der Kläger bei der Beantwortung des Fragebogens im Jahre 1991 von für eine Zumutbarkeitsprüfung unerheblichen Tatsachen ausgehen.
3. Auf die von der Revision gerügte unterlassene Beweiserhebung des Landesarbeitsgerichts zur Benachteiligung des Klägers in der Hochschullaufbahn wegen fehlender SED-Zugehörigkeit kommt es somit nicht mehr an.
4. Der Beklagte hat gem. § 91 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, H. Brückmann, Morsch
Fundstellen
Haufe-Index 1093124 |
NJ 1998, 334 |