Entscheidungsstichwort (Thema)
Deklaratorische oder konstitutive Kündigungsfrist
Orientierungssatz
1. Jedenfalls seit der Entscheidung des BAG vom 28. Januar 1988 (- 2 AZR 296/87 - AP Nr 24 zu § 622 BGB) spricht eine inhaltliche Übernahme gesetzlicher Regelungen in ein umfassendes tarifliches Regelungswerk gegen einen eigenen Normsetzungswillen der Tarifparteien, wenn diese einen Hinweis auf gewollte Eigenständigkeit der Regelung unterlassen. Die Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nämlich von den Tarifvertragsparteien erwartet werden. Deshalb ist auch zu erwarten, daß ihr Normsetzungswille im Tarifvertrag einen deutlichen Niederschlag findet, wenn sie mit der partiellen Übernahme von Gesetzesrecht eine eigenständige Tarifregelung beabsichtigen.
2. Auslegung des Manteltarifvertrages für die Erdöl- und Erdgas-, Bohr- und Gewinnungsbetriebe vom 1. Oktober 1979.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28. Januar 1999 - 16a
Sa 1856/98 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger war seit 1. Mai 1982 als Vermessungsingenieur bei der P. GmbH beschäftigt, die im September 1996 mit der S. GmbH verschmolzen wurde, woraus die heutige Beklagte entstand. Der Manteltarifvertrag für die Erdöl- und Erdgas-, Bohr- und Gewinnungsbetriebe (im folgenden: MTV) war Bestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien. In § 3 des MTV in der ab 1. Oktober 1979 gültigen Fassung ist hinsichtlich der Kündigung des Arbeitsverhältnisses folgendes bestimmt:
"(1) ... (2) Für die Kündigung gelten die gesetzlichen und die nachfolgenden tariflichen Bestimmungen. (3) Die Kündigungsfristen betragen a) bei Arbeitern
nach einer Betriebszugehörigkeit
bis zu 6 Monaten 2 Wochen
bis zu 2 Jahren 3 Wochen
von mehr als 2 Jahren 4 Wochen
zum 13. oder letzten eines Kalendermonats, bei Kündigung durch den Arbeitgeber:
nach einer Betriebszugehörigkeit ab 35. Lebensjahr
von 5 Jahren 1 Monat zum Monatsende
von 10 Jahren 2 Monate zum Monatsende
von 20 Jahren 3 Monate zum Monatsende,
b) bei Angestellten 6 Wochen zum Quartalsende, bei Kündigung durch den Arbeitgeber:
nach einer Betriebszugehörigkeit ab 25. Lebensjahr
von 5 Jahren 3 Monate zum Quartalsende
von 8 Jahren 4 Monate zum Quartalsende
von 10 Jahren 5 Monate zum Quartalsende
von 12 Jahren 6 Monate zum Quartalsende
..."
Diese Regelung wurde in den ab 1. April 1988 geltenden MTV i.d.F. vom 7. April 1988 unverändert übernommen. Auch in den Jahren nach 1988 vereinbarten die Tarifvertragsparteien keine Änderung der Kündigungsfristen mehr. Lediglich die Regelung über Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß § 8 Abs. 3 MTV wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1990 geändert; ferner regelten die Tarifvertragsparteien am 15. Mai 1997 mit Wirkung ab 1. Juli 1997 bzw. 1. Januar 1998 die Entgeltfortzahlung, den Anspruch auf Weihnachtsgeld sowie die Berechnung des Urlaubsentgelts neu. Außerdem verabschiedeten sie unter dem 27. Juni 1996 eine Protokollnotiz zu den §§ 4 bis 8 und 15 des Manteltarifvertrages. Die Beklagte wandte auf das Arbeitsverhältnis des Klägers den jeweils gültigen Manteltarifvertrag an.
Mit Schreiben vom 28. Dezember 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis gegenüber dem Kläger "... fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen zum 30. Juni 1997, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin". Dieses Kündigungsschreiben ist dem Kläger erst am 9. Januar 1997 zugegangen.
In einer Bescheinigung gemäß § 133 AFG vom 7. August 1997 gab die Beklagte die Kündigungsfrist mit sechs Monaten zum Monatsende an.
Der Kläger hat geltend gemacht, die maßgebliche Kündigungsfrist betrage sechs Monate zum Quartalsende, so daß das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 1997 fortbestanden habe. Die Beklagte schulde daher die Zahlung der Vergütung für Juli bis September 1997 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 18.399,00 DM brutto, worauf er sich das ab 4. Juli 1997 bezogene Arbeitslosengeld in Höhe von 7.068,00 DM anrechnen lasse. Diesen Anspruch hatte der Kläger zuvor gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 9. Juli 1997 geltend gemacht. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, wenn die Tarifvertragsparteien die Kündigungsfristenregelung auch in Kenntnis der Änderung der gesetzlichen Fristen seit Oktober 1993 beibehalten hätten, müsse davon ausgegangen werden, daß sie dadurch einen abweichenden Regelungswillen zum Ausdruck gebracht hätten. Im übrigen sei die Beklagte, wie dem Kündigungsschreiben und der Bescheinigung für das Arbeitsamt zu entnehmen sei, selbst davon ausgegangen, daß die Kündigungsfrist sechs Monate zum Quartalsende betrage.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 18.399,00 DM
brutto abzüglich 7.068,00 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich
ergebenden Nettobetrag seit dem 22. April 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, da die Tarifvertragsparteien keine eigenständige Regelung der Kündigungsfristen getroffen hätten, habe sie unter Wahrung der nunmehr geltenden gesetzlichen Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende kündigen dürfen. Der Kläger sei auch im Kündigungsschreiben eindeutig darauf hingewiesen worden, daß zum nächst zulässigen Kündigungstermin gekündigt werden solle.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem obigen Klageantrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende, also mit dem 30. Juni 1997, aufgelöst worden ist.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung - kurz zusammengefaßt - wie folgt begründet: Die Beklagte habe wirksam unter Einhaltung der nach § 622 Abs. 2 Nr. 5 BGB bestehenden Kündigungsfrist nach zwölfjähriger Betriebszugehörigkeit von fünf Monaten zum Monatsende gekündigt. Demgegenüber könne sich der Kläger nicht auf eine einzelvertragliche Kündigungsfrist, etwa von sechs Monaten zum Quartal, berufen; dies sei weder dem Kündigungsschreiben noch der Bescheinigung gemäß § 133 AFG zu entnehmen. Der im Arbeitsvertrag in Bezug genommene MTV enthalte in § 3 Abs. 3 Buchst. b) keine eigenständige Kündigungsregelung, sondern verweise nur auf die jeweilige gesetzliche Norm: dies sei nunmehr § 622 Abs. 2 Nr. 5 BGB i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der Kündigungsfristen vom 7. Oktober 1993.
II. Dem folgt der Senat sowohl im Ergebnis wie auch weitgehend in der Begründung. Die Rügen der Revision, das Berufungsgericht habe die Kündigungserklärung vom 28. Dezember 1996 falsch ausgelegt und § 3 Abs. 3 MTV fehlerhaft angewandt, greifen nicht durch.
1. Soweit die Revision meint, das Landesarbeitsgericht habe die abgegebene Kündigungserklärung rechtsfehlerhaft ausgelegt und den Umstand nicht berücksichtigt, daß beide Parteien von einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende ausgegangen seien, ist eine Überprüfung dieser Auslegung dieser atypischen Erklärung der Beklagten ohnehin nur eingeschränkt dahin möglich, ob Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen oder die Auslegung in sich widersprüchlich ist (vgl. u.a. BAG Urteile vom 14. September 1972 - 5 AZR 212/72 - AP Nr. 34 zu § 133 BGB sowie vom 17. September 1998 - 2 AZR 725/97 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 2 b der Gründe, m.w.N.). Derartige Auslegungsfehler hat die Revision nicht aufgezeigt.
a) Was zunächst das Kündigungsschreiben vom 28. Dezember 1996 angeht, ist dort von einer Kündigungsfrist, die einzuhalten wäre, nicht die Rede, wenn formuliert wird, es werde fristgerecht zum 30. Juni 1997, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin, gekündigt. Es mag sein, daß die Beklagte im Hinblick auf die angegebenen Daten unausgesprochen von einer sechsmonatigen Kündigungsfrist ausgegangen ist, ohne daß im übrigen im Kündigungsschreiben von einer Kündigung zum Quartalsende die Rede ist. Eine rechtsgestaltende Willenserklärung dergestalt, daß die Beklagte mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende kündigen wolle, ist daher diesem Schreiben nicht zu entnehmen.
Richtig ist, daß dem Zusatz "hilfsweise zum nächst zulässigen Termin" vom Wortlaut her gesehen nicht entnommen werden kann, daß der nächst zulässige Termin, wovon das Berufungsgericht ausgeht, noch vor dem (Haupt-)Kündigungstermin liegen könne. Darum geht es hier jedoch nicht: Wenn die Beklagte irrtümlich von einer sechsmonatigen Kündigungsfrist ausgegangen ist, die bei Zugang der Kündigung am 9. Januar 1997 zum 30. Juni 1997 nicht mehr einzuhalten war, so ändert dies nichts daran, daß mangels rechtsgeschäftlich verbindlich anerkannter Kündigungsfrist von sechs Monaten bei einer tatsächlich vorliegenden gesetzlichen Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, die Kündigung fristgemäß zum 30. Juni 1997 erfolgt ist.
b) Ein rechtsgestaltender Bindungswille ist schließlich auch der Bescheinigung für das Arbeitsamt vom 7. August 1997 nicht zu entnehmen, wenn dort die Beklagte eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende angegeben hat. Abgesehen davon, daß diese Erklärung nicht an den Kläger gerichtet ist, kann aus ihr noch weniger als aus dem Kündigungsschreiben ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswille hergeleitet werden, zumal sie erst ein halbes Jahr - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nach dem Kündigungsschreiben erstellt worden ist, wobei die Beklagte möglicherweise angesichts der in dieser Bescheinigung irrtümlich ausgewiesenen Betriebszugehörigkeit des Klägers von 15 Jahren unzutreffend die Kündigungsfrist mit sechs Monaten zum Monatsende ermittelt hat. Die Revision greift das Urteil insoweit auch nicht an.
c) Dem Arbeitsvertrag der Parteien selbst ist lediglich ein Verweis auf den hier einschlägigen MTV zu entnehmen, ohne daß damit eine bestimmte Fassung dieses Tarifvertrages als verbindlich festgeschrieben wird. Vielmehr ist in einem solchen Fall davon auszugehen, daß die Parteien die Geltung des Manteltarifvertrages in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart haben (BAG Urteil vom 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, zu B II 1 b der Gründe, m.w.N.). Auch darauf hat das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen, ohne daß die Revision diese Würdigung angreift.
2. Die Revision rügt vielmehr die Auslegung des § 3 Abs. 3 Buchst. b) MTV durch das Berufungsgericht als rechtsfehlerhaft. Sie meint, da es sich vorliegend um eine einzelvertragliche Inbezugnahme handele, seien die Auslegungsgrundsätze nach §§ 157, 133 BGB zu beachten; jedenfalls aber sei die Annahme einer deklaratorischen Regelung auch unter Beachtung einer Auslegung nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung unzutreffend. Dem folgt der Senat nicht.
a) Der Senat hat im Urteil vom 28. April 1988 (- 2 AZR 750/87 - AP Nr. 25 zu § 622 BGB, zu II 2 a der Gründe) ausführlich begründet, daß bei der Auslegung einer arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifnorm nicht von den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB ausgegangen werden kann, sondern daß auch bei Tarifgeltung kraft Vereinbarung eine Auslegung der Tarifnorm nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung vorzunehmen ist, weil andernfalls die Möglichkeit und Gefahr einer gespaltenen Auslegung bestünde und die Wahrung der Rechtseinheit gefährdet wäre (ebenso BAG Urteile vom 12. August 1959 - 2 AZR 75/79 - BAGE 8, 91, 96 = AP Nr. 1 zu § 305 BGB, zu III der Gründe; vom 21. April 1966 - 2 AZR 264/65 - AP Nr. 1 zu § 53 BAT, zu I der Gründe und BAGE 18, 217 = AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 1 b der Gründe). Hieran wird festgehalten, zumal auch die Revision keine neuen Gesichtspunkte aufzeigt, die eine andere Auslegung angezeigt erscheinen lassen. Soweit Neuner (Anm. zu EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 3) glaubt, aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Februar 1998 (- 7 AZR 641/96 - AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt) sei abzuleiten, daß Tarifverträge wie privatrechtliche Verträge zu "handhaben" seien, ist zunächst anzumerken, daß der Siebte Senat sich in dem erwähnten Urteil nicht mit den Grundsätzen einer Tarifauslegung befaßt, sondern - zusammengefaßt - nur darauf aufmerksam macht, der Geltungsgrund für Tarifnormen beruhe auf dem Verbandsbeitritt. Entgegen der Darstellung von Neuner formuliert der Siebte Senat nicht, der Geltungsgrund der Tarifnormen beruhe nicht auch auf staatlicher Delegation. Vielmehr wird in dem erwähnten Urteil (AP aaO, zu 3 a der Gründe) gerade betont, die Tarifnormen beruhten auf kollektiv ausgeübter Privatautonomie, nachdem die Tarifparteien ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG wahrgenommen und Regelungen zu bestimmten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geschaffen hätten. Die Befugnis der Tarifpartner, Regelungen mit Normqualität (§ 4 Abs. 1 TVG) zu schaffen, leitet sich aus dem gesetzten Recht (Art. 9 Abs. 3 GG, § 4 TVG) ab, so daß der Senat keine Veranlassung sieht, von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Tarifverträgen (vgl. u.a. BAGE 60, 219, 233 f. = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.) abzuweichen.
b) Bei der Auslegung einer Tarifnorm ist vielmehr nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung vom Tarifwortlaut auszugehen und über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierbei ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Verbleiben nach der Auswertung von Tarifwortlaut und tariflichem Gesamtzusammenhang als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, dann kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifparteien auf weitere Auslegungskriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, ohne daß bei dieser Methode eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten ist (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung sowie Senatsurteile vom 28. April 1988 - 2 AZR 750/87 - AP aaO und zuletzt vom 12. November 1998 - 2 AZR 80/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 1 der Gründe). Dabei ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 201/95 - AP Nr. 50 zu § 622 BGB, zu II 2 der Gründe, m.w.N.), inwieweit die Tarifparteien eine selbständige, d.h. in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelungen treffen wollten, dieser Wille muß im Tarifvertrag einen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden haben; das ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spricht hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen werden.
c) Der Überprüfung nach diesen Maßstäben hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung stand, wobei die Auslegung eines Tarifvertrages als Rechtsnorm in der Revisionsinstanz ohnehin in vollem Umfang nachzuprüfen ist (st. Rechtsprechung, BAGE 8, 91, 96 = AP Nr. 1 zu § 305 BGB, zu III der Gründe und Senatsurteil vom 20. Dezember 1990 - 2 AZR 412/90 - BAGE 66, 356, 359 = AP Nr. 3 zu § 53 BAT, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.).
aa) Geht man insofern vom Wortlaut der tariflichen Norm aus, so besagt § 3 Abs. 2 MTV zunächst, daß für die Kündigung die gesetzlichen und die nachfolgenden tariflichen Bestimmungen gelten.
Da der Kläger als Vermessungsingenieur bei der Beklagten tätig war, sind - wovon auch die Parteien ausgehen - die Angestellten-Kündigungsfristen einschlägig. Insoweit nach § 3 Abs. 2 MTV die gesetzlichen Bestimmungen gelten sollen, kommt für die am 9. Januar 1997 ausgesprochene Kündigung § 622 Abs. 2 Nr. 5 BGB in Betracht, wonach die einschlägige Kündigungsfrist nach zwölf Jahren Betriebszugehörigkeit fünf Monate zum Monatsende beträgt. Da nach § 3 Abs. 2 MTV neben den gesetzlichen auch die nachfolgenden tariflichen Bestimmungen gelten, käme für den Kläger nach § 3 Abs. 3 Buchst. b) MTV nach einer Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende in Betracht. Eine kumulative, gleichzeitige Anwendung der gesetzlichen und der tariflichen Regelung scheidet indessen mangels inhaltlicher Deckungsgleichheit aus. Will man nicht von vornherein insoweit, als sich die beiden Fristenregelungen inhaltlich widersprechen, von einer Perplexität ausgehen, könnte die Regelung des § 3 Abs. 2 MTV dahin verstanden werden, daß die gesetzliche Regelung nur mangels einer spezielleren tariflichen Bestimmung zum Zuge kommen soll. Denkbar wäre insofern, daß die Betonung der "nachfolgenden tariflichen Bestimmungen" im Gegensatz zu den "gesetzlichen" Bestimmungen darauf schließen lassen könnte, die Tarifvertragsparteien sähen die "nachfolgenden tariflichen Bestimmungen" nicht als die "gesetzlichen" an. Mit anderen Worten: Wenn die "nachfolgenden tariflichen Bestimmungen" nach dem Willen der Tarifvertragsparteien von den "gesetzlichen" Bestimmungen zu unterscheiden sind, erschiene es merkwürdig, wenn die "nachfolgenden tariflichen Bestimmungen" doch nur eine deklaratorische Regelung enthielten und damit den gesetzlichen Bestimmungen entsprächen.
bb) Angesichts der Unklarheit der tariflichen Regelung in diesem Punkt ist zusätzlich auf den wirklichen Willen der Tarifpartner und auf die Tarifgeschichte abzustellen. Danach ergibt sich, daß die Tarifpartner bei Abschluß des Manteltarifvertrages vom 1. Oktober 1979 von der damaligen gesetzlichen Situation, nämlich für die Grundfrist der Angestellten von § 622 Abs. 1 BGB i.d.F. des Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes vom 16. August 1969 (BGBl. I, S. 1106 f.) und für die verlängerten Kündigungsfristen von dem Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 (RGBl. I, S. 399), ausgegangen sind.
Die Tarifpartner haben insoweit die damalige gesetzliche Regelung nahezu wörtlich in § 3 Abs. 3 Buchst. b) MTV übernommen. Jedenfalls seit der Entscheidung des BAG vom 28. Januar 1988 (- 2 AZR 296/87 - AP Nr. 24 zu § 622 BGB) spricht eine inhaltliche Übernahme gesetzlicher Regelungen in ein umfassenderes tarifliches Regelungswerk gegen einen eigenen Normsetzungswillen der Tarifparteien, wenn diese einen Hinweis auf die gewollte Eigenständigkeit der Regelung unterlassen. Die Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nämlich von den Tarifvertragsparteien erwartet werden. Deshalb ist auch zu erwarten, daß die Tarifparteien jedenfalls bei neueren Tarifverträgen dafür Sorge tragen, daß ihr Normsetzungswille im Tarifvertrag einen deutlichen Niederschlag findet, wenn sie mit der partiellen Übernahme von Gesetzesrecht eine eigenständige Tarifregelung beabsichtigen (Senatsurteil vom 14. Februar 1996 - 2 AZR 201/95 - AP Nr. 50, aaO, m.w.N.).
An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz der erneut vorgetragenen Kritik (Bengelsdorf in Anm. zu AP Nr. 48, aaO), mit der sich der Senat im Urteil vom 5. Oktober 1995 (- 2 AZR 1028/94 - BAGE 81, 76 = AP Nr. 48, aaO) im grundsätzlichen bereits auseinandergesetzt hat, fest. Gerade die vorliegende, vollständige Übernahme der Kündigungsfristenregelung für Angestellte neben den teilweise vom früheren Gesetz (§ 626 Abs. 2 BGB a.F.) abweichenden Regelungen für die Kündigung von Arbeitern in § 3 Abs. 3 Buchst. a) MTV spricht für die bisherige Argumentation des Senats, die Tarifpartner hätten aus Gründen der vollständigen Darstellung und Übersichtlichkeit der Kündigungsfristenregelung sowie zur Information der Tarifunterworfenen auch solche Regelungen im Tarifvertrag aufgenommen, die ohnehin im Gesetz verankert seien; deshalb sei ihnen eben keine konstitutive, eigenständige Bedeutung beizumessen. So hat auch das Bundesarbeitsgericht bereits im Urteil vom 27. August 1982 (- 7 AZR 190/80 - BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung, zu II 3 der Gründe) eine ähnliche Klausel im MTV vom 18. April 1979 für die Volksbanken und Raiffeisenbanken als derartige deklaratorische Verweisung angesehen; ja es war nahezu tarifüblich, zur Vervollständigung der Wiedergabe von Angestellten-Kündigungsfristen in Tarifverträgen die "alten" Kündigungsfristen nach dem Gesetz von 1926 abzuschreiben. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage wäre zu erwarten gewesen, daß die Tarifpartner des MTV für die Erdöl- und Erdgas-, Bohr- und Gewinnungsbetriebe schon bei der Fassung des MTV vom 7. April 1988, jedenfalls aber nach Verabschiedung des Kündigungsfristengesetzes vom 7. Oktober 1993, nämlich anläßlich des Abschlusses des Tarifvertrages vom 15. Mai 1997, eine Neufassung des MTV auch hinsichtlich der Kündigungsfristen für Angestellte vorsahen, wenn sie diese als konstitutive, tarifliche Fristen ansahen (siehe dazu nachfolgend unter dd). Hinsichtlich der hier in Rede stehenden verlängerten Kündigungsfristen kam im übrigen eine konstitutive tarifliche Regelung im MTV vom 7. April 1988 schon deshalb nicht in Betracht, weil die Bestimmungen des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes 1926 nicht tarifdispositiv waren; § 622 Abs. 3 BGB a.F. enthielt nämlich eine Tariföffnungsklausel nur für die Absätze 1 und 2, also die Angestellten-Grundkündigungsfrist und die Arbeiter-Kündigungsfristen (vgl. auch Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 7. Aufl., S. 577 Fn 34; KR-Etzel, 3. Aufl., §§ 1, 2 AngKSchG, Rz 33; Knorr/Bichelmeier/ Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 3. Aufl., S. 173 Rz 16, 28; Kittner/Trittin, KSchR, 1. Aufl., § 2 Ang KSchG Rz 2; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 372; Bauer/Rennpferdt, AR-Blattei SD 1010.5 Rz 7).
cc) Die lediglich deklaratorische Verweisung auf das Gesetz führt, nachdem die bisherige Regelung über die Fristen für die Kündigung von Angestellten aufgrund Art. 7 des Kündigungsfristengesetzes vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I, S. 1668) außer Kraft getreten ist, zu dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Ergebnis, daß die gesetzliche Neuregelung des § 622 BGB an die Stelle der im Tarifvertrag wiedergegebenen früheren gesetzlichen Regelung des § 622 Abs. 1 BGB a.F. und des Gesetzes über die Fristen der Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 getreten ist.
dd) Soweit die Revision rügt, für eine konstitutive Regelung der Kündigungsfristen spreche, daß die Fristenregelung in den späteren Fassungen des Tarifvertrages (MTV 1988, 1989 und 1997) unangetastet geblieben sei, greift dieser Einwand - wie bereits angedeutet - nicht durch.
Was die Fassung des Manteltarifvertrages vom 7. April 1988 angeht, ist diese jedenfalls hinsichtlich der Vorschrift des § 3 Abs. 2 und des § 3 Abs. 3 Buchst. b) MTV unverändert geblieben, ohne daß hinsichtlich der Kündigungsfristen ein gegenüber der Fassung von 1979 anders gearteter Regelungswille der Tarifpartner erkennbar wäre. Lediglich die Regelung über Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß § 8 Abs. 3 MTV wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1990 geändert; ferner regelten die Tarifvertragsparteien am 15. Mai 1997 mit Wirkung ab 1. Juli 1997 bzw. 1. Januar 1998 die Entgeltfortzahlung, den Anspruch auf Weihnachtsgeld sowie die Berechnung des Urlaubsentgeltes neu; außerdem verabschiedeten sie unter dem 27. Juni 1996 eine Protokollnotiz zu den §§ 4 bis 8 und 15 des Manteltarifvertrages. Angesichts dieser Tarifgeschichte hätte nichts näher gelegen, als daß die Tarifpartner - ggf. wiederum durch eine Protokollnotiz oder durch eine Neufassung des MTV - zum Ausdruck gebracht hätten, sie wollten trotz der inzwischen erfolgten gesetzlichen Neuregelung der Kündigungsfristen nach dem Kündigungsfristengesetz von 1993 in Anwendung des § 622 Abs. 4 BGB eine vom Gesetz abweichende tarifliche Regelung treffen. Auch insoweit gilt die Rechtsprechung des Senats, daß von den Tarifvertragsparteien zu erwarten sei, daß sie bei Änderungen von bestehenden Tarifverträgen oder bei Abschluß neuer Tarifverträge dafür Sorge tragen, daß ihr Normsetzungswille im Tarifvertrag einen deutlichen Niederschlag findet (Senatsurteil vom 5. Oktober 1995, BAGE 81, 76 = AP aaO, zu II 2 b der Gründe). Gerade die Tatsache, daß die Tarifpartner nach der gesetzlichen Absenkung der Entgeltfortzahlung auf 80 % im Tarifvertrag vom 15. Mai 1997 durch eine partielle Neuregelung der Entgeltfortzahlung für eine abweichende tarifliche Regelung gesorgt haben, gleichwohl aber die Kündigungsfristenregelung des Tarifvertrages unverändert ließen, spricht entgegen der Meinung der Revision nicht für einen eigenen Regelungswillen der Tarifpartner, soweit die Kündigungsfristenregelung in § 3 MTV betroffen ist.
Etzel
Bitter BröhI. Walter
Dr. Roeckl
Fundstellen