Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung wegen geschlechtsbedingter Diskriminierung. Ausschlußfrist
Normenkette
BGB § 611a
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 1995 – 8 Sa 902/95 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Entschädigung wegen geschlechtsbedingter Diskriminierung.
Die im Jahre 1951 geborene Klägerin ist seit Januar 1977 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie als Sekretärin des Betriebsrates und verdiente monatlich brutto 5.700,00 DM.
Im Jahre 1969 bestand die Klägerin nach einer Ausbildung in dem Lehrberuf „Industriekaufmann” die Kaufmannsgehilfenprüfung, 1975 legte sie die staatliche Abschlußprüfung der Wirtschaftsfachschule in der Fachrichtung Betriebswirtschaft ab, 1992 besuchte die Klägerin zwei EDV-Kurse an der Volkshochschule.
Im Frühjahr 1994 schrieb die Beklagte betriebsintern zwei Arbeitsplätze „Personalsachbearbeiter/-innen” aus. Gefordert wurden ein qualifizierter Schulabschluß in Verbindung mit einer kaufmännischen Berufsausbildung sowie PC-Kenntnisse.
Die Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 5. Juni 1994 um eine der beiden ausgeschriebenen Stellen. Mit Schreiben vom 15. August 1994 lehnte die Beklagte die Bewerbung der Klägerin ab und teilte ihr mit:
„nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger Auswertung aller eingegangenen Bewerbungen haben wir unsere Entscheidung getroffen. Leider müssen wir Ihnen heute mitteilen, daß wir uns anderweitig entschieden haben. Wir dürfen Ihnen aber versichern, daß uns die Entscheidung nicht leichtgefallen ist und diese keinerlei Werturteil in persönlicher Hinsicht beinhaltet.”
Dieses Ablehnungsschreiben ging der Klägerin noch im August 1994 zu.
Mit der am 6. Dezember 1994 eingegangenen und am 9. Dezember 1994 der Beklagten zugestellten Klage macht die Klägerin einen Schadensersatzanspruch geltend, den sie auf eine geschlechtsbedingte Diskriminierung stützt. Sie verlangt eine Entschädigung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts.
Dazu hat sie die Auffassung vertreten, ihre Bewerbung sei allein wegen ihres Geschlechts nicht berücksichtigt worden. Nachdem eine der beiden Stellen bereits mit einer weiblichen Mitarbeiterin besetzt worden war, habe die andere Stelle auf jeden Fall mit einem männlichen Bewerber besetzt werden sollen. Dies habe bereits im Juli 1994 der Personalchef der Beklagten einer Zeugin und der örtliche Personalchef der Klägerin mitgeteilt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.700,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Dezember 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Sie habe die beiden vakanten Stellen an die Bewerber, eine Frau und einen Mann, vergeben, die den besten Eindruck hinterlassen hätten. Selbst wenn von einer gleichen Qualifikation der Klägerin auszugehen wäre, habe die Auswahl sachlichen Gründen entsprochen. Es könne einem Arbeitgeber nicht verwehrt sein, die Stellenbesetzung in der Personalabteilung so vorzunehmen, daß entsprechend der tatsächlichen Verteilung im Betrieb auch das Personalwesen sowohl mit Vertretern des männlichen wie des weiblichen Geschlechts besetzt sei. Im übrigen habe die Klägerin ihren Anspruch nicht innerhalb der gesetzlichen Verfallfrist geltend gemacht.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Ein etwaiger Entschädigungsanspruch der Klägerin wegen geschlechtsbedingter Diskriminierung ist verfallen, weil die Klägerin ihn nicht rechtzeitig geltend gemacht hat.
1. Gemäß § 611 a Abs. 4 BGB verfällt der Anspruch auf Entschädigung wegen geschlechtlicher Benachteiligung nach § 611 a Abs. 2 BGB, wenn der Anspruch nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung der Bewerbung schriftlich geltend gemacht wurde. Diese gesetzliche Verfallfrist hat die Klägerin nicht gewahrt.
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch von der Verfallklausel des § 611 a Abs. 4 BGB erfaßt wird. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Ablehnung ihrer Bewerbung sei bereits im August 1994, mithin vor Inkrafttreten der gesetzlichen Verfallklausel zugegangen. Richtig ist allerdings, daß die Verfallvorschrift des § 611 a Abs. 4 BGB erst durch das am 1. September 1994 in Kraft getretene 2. Gleichberechtigungsgesetz vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1406) in § 611 a BGB aufgenommen wurde. Aus Gründen des Vertrauensschutzes hat der Gesetzgeber in Art. 12 GleiBG folgende Übergangsregelung getroffen:
- „In Fällen, in denen der Arbeitgeber vor dem 1. September 1994 gegen das Benachteiligungsverbot des § 611 a Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verstoßen hat, ist § 61 b des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht anzuwenden.
- Bei der Berechnung der in § 611 a Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten Frist bleiben Zeiten vor dem 1. September 1994 außer Betracht.”
Daraus folgt, daß die zweimonatige Verfallfrist auch für Diskriminierungen vor dem 1. September 1994 gilt. Allerdings beginnt die Ausschlußfrist auch in diesen „Altfällen” frühestens ab dem 1. September 1994 (vgl. MünchKomm-Müller-Glöge, 3. Aufl., § 611 a Rz 63; KR-Pfeiffer, 4. Aufl., § 611 a BGB Rz 150).
3. Die so modifiziert auf „Altfälle” anwendbare Verfallfrist des § 611 a Abs. 4 BGB begegnet jedenfalls im Streitfall keinen durchgreifenden rechtsstaatlichen Bedenken. Eine unzulässige Rückwirkung liegt nicht vor. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben im Juli 1994 davon erfahren, daß ihre Bewerbung keinen Erfolg haben werde, weil die Beklagte die zweite Stelle auf jeden Fall mit einem männlichen Bewerber besetzen wolle. Ende August 1994 war der Klägerin der ablehnende Bescheid der Beklagten zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt war das 2. Gleichberechtigungsgesetz bereits im Bundesgesetzblatt vom 30. Juni 1994 verkündet. Die Klägerin konnte sich daher darauf einstellen, daß ihr Entschädigungsanspruch ab 1. September 1994 einer zweimonatigen Verfallfrist unterliegt.
4. Entgegen der Auffassung der Revision stehen der zweimonatigen Verfallfrist des § 611 a Abs. 4 BGB auch gemeinschaftsrechtliche Bedenken nicht entgegen.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. April 1997 (Rechtssache C-180/95 – Draehmpaehl – EuGHE I 1997, 2195 = AP Nr. 13 zu § 611 a BGB) steht die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (fortan: Gleichbehandlungsrichtlinie) einer innerstaatlichen gesetzlichen Regelung entgegen, die für den Schadensersatz, den ein Bewerber verlangen kann, der bei der Einstellung aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden war, im Gegensatz zu sonstigen innerstaatlichen zivil- und arbeitsrechtlichen Regelungen eine Höchstgrenze von drei Monatsgehältern vorgibt, falls dieser Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position erhalten hätte. Danach entspricht die Höchstgrenzenregelung des § 611 a Abs. 2 BGB nicht der Gleichbehandlungsrichtlinie. Die Verfallklausel des § 611 a Abs. 4 BGB ist aber davon nicht berührt. Die Gleichbehandlungsrichtlinie verbietet nach der Rechtsprechung des EuGH Verfallklauseln für Entschädigungsansprüche bei geschlechtsspezifischer Diskriminierung jedenfalls insoweit nicht, als sie nicht im Gegensatz zu sonstigen innerstaatlichen zivil- und arbeitsrechtlichen Regelungen stehen. Ein solcher Gegensatz zum sonstigen innerstaatlichen Recht besteht hier nicht.
Im deutschen arbeitsrechtlichen Verfahren gilt der Beschleunigungsgrundsatz. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren legt dies § 9 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ausdrücklich fest. Der Arbeitnehmer ist auch sonst häufig gehalten, seine Rechte innerhalb kurzer Fristen geltend zu machen. So muß z.B. ein Arbeitnehmer, der die Sozialwidrigkeit einer Kündigung geltend machen will, gem. § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben. Versäumt der Arbeitnehmer die Klagefrist, so gilt die Kündigung, wenn sie nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, nach § 7 KSchG als von Anfang an wirksam. In ähnlicher Weise muß ein Arbeitnehmer, der geltend machen will, daß die Befristung eines Arbeitsvertrages rechtsunwirksam ist, innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages gem. § 1 Abs. 5 BeschFG Feststellungsklage erheben. Eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. In Tarifverträgen ist häufig bestimmt, daß Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb weniger Monate geltend gemacht werden. Dies gilt auch bei allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, aus deren Wirkung sich die Arbeitsvertragsparteien nicht entziehen können. So bestimmt z.B. der allgemeinverbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe zuletzt in der Fassung vom 9. Juni 1997 in § 16, daß alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. In ähnlicher Weise bestimmt der bundesweit geltende, allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie in der Fassung vom 10. Juni 1992 in § 25 eine dreimonatige Ausschlußfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.
Eines Ersuchens um Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes gem. Art. 177 Abs. 3 EG-Vertrag bedarf es nicht. Der EuGH hat die Grundsatz fragen in seinem Urteil in der Rechtssache Draehmpaehl entschieden. Die Anwendung der vom EuGH aufgestellten Rechtssätze auf den vorliegenden Fall ist Aufgabe des erkennenden Senats.
5. Im Streitfall ist somit die zweimonatige Ausschlußfrist nach § 611 a Abs. 4 BGB am 31. Oktober 1994 abgelaufen. Mit der am
6. Dezember 1994 eingereichten Klage hat die Klägerin ihren etwaigen Entschädigungsanspruch nach § 611 a Abs. 2 BGB zu spät geltend gemacht.
II. Da ein etwaiger Entschädigungsanspruch der Klägerin verfallen ist, konnte es dahingestellt bleiben, ob der Entschädigungsanspruch dem Grunde nach bestanden hätte.
III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge ist infolge Erkrankung an der Leistung der Unterschrift verhindert Ascheid, P. Knospe, Dr. E. Vesper
Fundstellen