Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsänderung. Interessenausgleich. Sozialauswahl. Namensliste. wesentliche Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs. Anforderungsprofil. Kündigung
Orientierungssatz
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG aF) ist der Zugang der Kündigung. Bei späteren Änderungen kommt nur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3, 5 in der vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 geltenden Fassung; BetrVG §§ 111, 102
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Brandenburg vom 11. August 1999 – 6 Sa 347/98 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung. Die 1951 geborene, verheiratete Klägerin war seit 1978 bei der beklagten gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der früheren kommunalen Wohnungsverwaltung der Stadt L…, beschäftigt und dort zuletzt als Sekretärin tätig. Aufgabe der Beklagten ist es, für breite Bevölkerungsschichten angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. 1997 wurden von ihr 4.153 Mieteinheiten verwaltet. Nachdem die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Änderungskündigung ausgesprochen hatte, einigten sich die Parteien in einem Vorprozeß darauf, daß die Klägerin ab 1. Januar 1997 als Sekretärin im Bereich Gebäudewirtschaft beschäftigt und mit Aufgaben der Vergütungsgruppe IV des Vergütungstarifvertrages für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft betraut werden sollte.
Nach Durchführung einer Organisationsuntersuchung kam die Beklagte zu dem Schluß, ihre Verwaltungskosten lägen erheblich über denen vergleichbarer anderer Wohnungsbaugesellschaften und seien nur durch eine einschneidende Personalreduzierung abzusenken. Unter dem 12. Mai 1997 vereinbarte die Beklagte mit dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich, der 26 Kündigungen, darüberhinaus innerbetriebliche Versetzungen und die Gründung einer Tochtergesellschaft, zu der weitere 26 Arbeitnehmer versetzt werden sollten, vorsah. Als Anlage zum Interessenausgleich vereinbarten die Betriebspartner Richtlinien für die Sozialauswahl; darin wurde festgelegt, welche Arbeitnehmer in die soziale Auswahl nicht einbezogen werden sollten, weil ihre Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse lag. Außerdem enthielt die Richtlinie eine Punktetabelle zur Bewertung der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters und der gesetzlichen Unterhaltspflichten innerhalb der Sozialauswahl. Eine weitere Anlage zum Interessenausgleich enthielt eine Liste mit den Namen der im Jahre 1997 zu kündigenden Arbeitnehmer, darunter die Klägerin. Am 13. Mai 1997 vereinbarten die Betriebspartner einen Sozialplan. Mit Schreiben vom 3. Juni 1997, der Klägerin zugegangen am 30. Juni 1997, kündigte die Beklagte der Klägerin betriebsbedingt zum 31. Dezember 1997. Im Kündigungsschreiben gab sie an, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden und habe der Kündigung zugestimmt.
Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats gerügt und geltend gemacht, die Kündigung beruhe nicht auf einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Beklagte habe ihren Betrieb nicht umstrukturiert, sondern lediglich die ursprünglich von den Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeiten umbenannt. Es bestehe jedenfalls kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Betriebsänderung, dem Interessenausgleich und der namentlichen Bezeichnung der zu entlassenden Arbeitnehmer. Die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG aF, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei, könne deshalb nicht eingreifen. Der Interessenausgleich sei auch von der Beklagten nicht durchgeführt worden. Insbesondere sei es zur Gründung der Tochtergesellschaft nicht gekommen und die Beklagte habe sogar neue Mitarbeiter eingestellt. Jedenfalls sei die getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft. Die der Auswahl zugrunde liegende Richtlinie sei unausgewogen und es seien Arbeitnehmer unzulässigerweise aus der Auswahl herausgenommen worden. Eine Einzelfallabwägung habe nicht stattgefunden. Sie selbst sei angesichts ihrer bisherigen Tätigkeit und Vorbildung bei der Beklagten als Wohnungsverwalterin, Abteilungsleiterin im allgemeinen Geschäftsbereich und als Sachbearbeiterin im allgemeinen Geschäftsführungsbereich einsetzbar gewesen. Insbesondere die Mitarbeiterin M… sei mit einem Alter von 55 Jahren und einer Betriebszugehörigkeit seit 1993 sozial weniger schutzbedürftig. Es treffe nicht zu, daß die Zeugin M… zur sozialpädagogischen Betreuung der Mieter eingesetzt werde, sie sei vielmehr nach wie vor als Sekretärin tätig. Eine sozialpädagogische Betreuung der Mieter habe die Beklagte nie konzipiert. Diese würde angesichts der extremen Personalkürzung und der hohen Anzahl von Überstunden auch keinen Sinn machen. Sie selbst sei für die Mieterbetreuung auch besser geeignet als Frau M… und sei schon bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten für Mietangelegenheiten zuständig gewesen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 3. Juni 1997, zugegangen am 30. Juni 1997, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, sie habe die Kündigung gemäß dem Interessenausgleich und Sozialplan ausgesprochen und die soziale Auswahl einvernehmlich mit dem Betriebsrat nach den vereinbarten Richtlinien vorgenommen. Deshalb habe die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung nachzuweisen. Jedenfalls hätten dringende betriebliche Erfordernisse für die Kündigung vorgelegen. Ihr Verwaltungsbereich habe im Vergleich zu marktwirtschaftlich strukturierten Unternehmen einen Personalüberhang von weit mehr als der Hälfte der Mitarbeiter gehabt. Wegen der überhöhten Personalkosten hätten die eingenommenen Mieten nicht zur Deckung ihrer Kosten und zur Instandsetzung und Instandhaltung der Wohnungen ausgereicht. Ihre betriebswirtschaftliche Auswertung zum 31. Mai 1996 habe einen Verlust von fast 6 Mio. DM ausgewiesen. Sie habe deshalb ein Sanierungskonzept beschlossen, das anstelle des bisherigen Baubereichs die Gründung einer Service-GmbH und eine völlige Neugliederung des Verwaltungsbereichs vorgesehen habe. Von den danach verbleibenden Stellen habe die Klägerin entsprechend ihrer Ausbildung als Schreibkraft und ihrer Berufserfahrung als Sekretärin allein auf einer Stelle als Sekretärin eingesetzt werden können. Bei äußerst großzügiger Betrachtung wäre für die Klägerin noch die mit dem Mitarbeiter L… besetzte Stelle in Frage gekommen. Der 1940 geborene, verheiratete, einem Kind unterhaltspflichtige und seit 1983 beschäftigte Mitarbeiter L… genieße jedoch aufgrund seines Alters und seiner Betriebszugehörigkeit besonderen tariflichen Kündigungsschutz. Auf der mit der Zeugin M… besetzten Stelle habe die Klägerin nicht eingesetzt werden können. Der Aufgabenbereich dieser Stelle umfasse ua. die sozialpädagogische Betreuung der Mieter, die Schuldnerberatung, die inhaltliche und organisatorische Zusammenarbeit mit dem Mieterbeirat, die Durchführung von Mietersprechstunden sowie die Organisation von Wohngebietsfesten und -aktivitäten. Frau M… sei aufgrund ihrer Ausbildung als Erzieherin mit Lehrbefähigung und ihrer früheren Tätigkeit als Erzieherin dafür besonders geeignet gewesen. Dies treffe für die Klägerin nicht zu. Der Betriebsrat sei zu der Kündigung der Klägerin zusammen mit der Beratung über den Interessenausgleich und Sozialplan gehört worden und habe der Kündigung zugestimmt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgelöst.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Fischermeier, Beckerle, Piper
Fundstellen
Haufe-Index 892420 |
SAE 2001, 335 |
ZIP 2001, 1825 |
EzA |
ZInsO 2001, 1071 |