Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Arbeitnehmers. grobe Fahrlässigkeit
Normenkette
BGB §§ 611, 276-277, 823; BetrVG § 81 Abs. 1, § 98 Abs. 1; TVG § 4 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 29.09.1992; Aktenzeichen 2 Sa 248/92) |
ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 15.01.1992; Aktenzeichen 1 Ca 256/91) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. September 1992 – 2 Sa 248/92 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt einen Teilbetrag des ihr bei einem Unfall mit einem Gabelstapler entstandenen Schadens.
Die Klägerin betreibt ein Druck- und Verlagszentrum. Sie wendet in ihrem Betrieb die Inhaltsnormen des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der ab 10. März 1989 geltenden Fassung unabhängig von der Verbandsmitgliedschaft des Arbeitnehmers an. Der Beklagte wurde am 2. Oktober 1989 als Helfer in der Abteilung Papierlager zu einem Stundenlohn von 14,50 DM brutto eingestellt. In den ersten vier Wochen seiner Tätigkeit half er anstelle eines erkrankten Arbeitnehmers beim Entladen von LKWs. Anschließend wies ihn ein als Gabelstaplerfahrer eingesetzter Arbeitskollege zeitweise in die Bedienung eines kleinen Gabelstaplers für den Transport von Papier und Paletten ein. Als der Beklagte mit der Bedienung vertraut war, wurde ihm zwei Wochen später ein größerer Gabelstapler des Fabrikats „Steinbock” zugewiesen. Dieser diente zum Transport von 700 bis 800 kg schweren Papierrollen in das Hochdruck- und Offsethochlager. Zum Erfassen der Papierrollen war auf dem Hubgerüst eine 635 kg schwere Rollenklammer als sogenanntes Lastaufnahmemittel angebracht.
Der Beklagte erhielt am 5. Januar 1990 einen „Fahrerausweis für motorisch angetriebene Flurförderzeuge nach DIN 15140 im innerbetrieblichen Werkverkehr”, auf dem durch einen Angestellten der Klägerin bescheinigt wird:
Herr M. D. wird aufgrund seiner Eignung, der nachgewiesenen Ausbildung und der bestandenen Prüfung als Fahrer nachstehender Flurförderzeuge zugelassen: Gabelstapler, Rollenstapler. Der Fahrerausweis hat nur Gültigkeit im Werksgelände und ist stets mitzuführen.
In dem Ausweis ist die Dienstanweisung für Fahrer von motorisch angetriebenen Flurförderzeugen VDI 3313 abgedruckt. Darin heißt es u.a.:
Die am Ende jeden Abschnitts angegebenen Paragraphen weisen auf UVV 12 a „Unfallverhütungsvorschrift Flurförderzeuge” hin.
…
3. Aufnehmen, Absetzen und Stapeln von Lasten
…
3.6 Während der Fahrt sollte das Lastaufnahmemittel (Gabelzinken oder Anbaugerät) in möglichst niedriger Stellung sein. Der Mast ist zum Fahrer hin zu neigen (§ 33 Abs. 1).
3.7 Das Ausfahren des Masts zum Absetzen von Lasten (Einstapeln) oder umgekehrt darf nur bei stehendem Fahrzeug erfolgen.
Mit ausgefahrenem Lastaufnahmemittel darf die Last nur zum Auf- und Absetzen verfahren werden.
Der Mast darf erst dann nach vom geneigt werden, wenn die Last über ihrem Bestimmungsort ist (§ 33 Abs. 2).
In Fettdruck ist vermerkt:
Der Fahrer ist verpflichtet, sich mit dem Inhalt dieser Dienstanweisung vertraut zu machen.
Die in Bezug genommenen Unfallverhütungsvorschriften lauten wie folgt:
§ 33
(1) Hochhubwagen und Gabelstapler sind in möglichst niedriger Stellung des Lastaufnahmemittels zu verfahren.
(2) Mit hochgestelltem Lastaufnahmemittel darf die Last nur zum Auf- und Absetzen verfahren werden. Das Hubgerüst darf nur über der Stapelfläche nach vom geneigt werden.
Mit Wirkung zum 1. April 1990 wurde der Beklagte in die Lohngruppe IV (Stundenlohn 15,63 DM brutto) eingestuft, nachdem sein Vorgesetzter am 20. März 1990 der Geschäftsleitung mitgeteilt hatte, der Beklagte sei als Staplerfahrer in allen Bereichen des Rollenlagers einsetzbar und werde regelmäßig im Papierlager zum Stapeln eingesetzt.
Am Morgen des 12. November 1990 hatte der Beklagte 1,02 Meter hohe Papierrollen mit einem Gabelstapler des Fabrikats „Steinbock” 6-fach aufeinanderzustapeln. Nachdem er eine Rolle in der obersten Lage gestapelt hatte, setzte er mit vollständig auf 5,20 Meter ausgefahrenem Hubgerüst zurück. Während der Rückwärtsfahrt wurde die Lenkung nach links eingeschlagen. In einem Abstand von 6,00 Meter zum Stapelgut stürzte das Fahrzeug um. Der Beklagte blieb unverletzt, der Gabelstapler wurde beschädigt. Der von der Klägerin sofort hinzugezogene Sachverständige Dipl.-Ing. B. vom Rheinisch-Westfälischen Technischen Überwachungsverein rekonstruierte folgenden Unfallhergang:
„Das Fahrzeug wurde entgegen der Vorschrift des § 33 VBG 12 A mit angehobenem Lastaufnahmemittel verfahren. Hierbei wurde offensichtlich bei der Rückwärtsfahrt eine Lenkbewegung durchgeführt und das Fahrzeug nach kurzer Fahrstrecke abgebremst.
Bedingt durch das ausgefahrene Hubgerüst und dem mit einem Leergewicht von 635 kg relativ schweren Lastaufnahmemittel wird ein hohes Kippmoment verursacht, welches das Fahrzeug begünstigt durch die konstruktionsbedingte geringe Spurweite zum Umsturz bringt.
Bei einer beschleunigten Vorwärtsfahrt würde sich ein ähnlicher Kräftezustand ergeben.”
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte habe den Unfall grob fahrlässig verschuldet. Sie hat behauptet, der Beklagte habe die Verursachung aufgrund eines Fahrfehlers unmittelbar nach dem Unfall zugegeben. Anstatt in einem Abstand von ca. 0,50 Metern in Geradeausrichtung zurückzusetzen, um das Hubgerüst vor Weiterfahrt vollständig abzusenken, sei er mit eingeschlagener Lenkung nach rechts mindestens 12,00 Meter rückwärts gefahren, bis er abgebremst habe. Dabei sei ihm bewußt gewesen, daß er nicht mit ausgefahrenem Hubgerät und Lastaufnahmemittel habe zurücksetzen dürfen. Er sei ausreichend theoretisch und praktisch im Betrieb geschult worden und habe daher die Gefahren seines Tuns gekannt. Insbesondere sei er ständig dahin angewiesen worden, das Hubgerüst nach Abschluß des Stapelvorgangs abzusetzen. Wäre er nicht ordnungsgemäß ausgebildet und in die jeweiligen Flurförderzeuge eingewiesen worden, hätte er schon viel früher einen Unfall verursacht. Auf seine mangelnden Vorkenntnisse habe man Rücksicht genommen, indem man ihn anfangs nur zu einem Drittel der Arbeitszeit auf dem Gabelstapler beschäftigt und erst nach dem Erwerb einer größeren Fahrpraxis ausschließlich als Staplerfahrer eingesetzt habe. Durch das grob fahrlässige Verhalten des Beklagten sei ein wirtschaftlicher Totalschaden an dem Gabelstapler eingetreten. Der Sachschaden betrage 46.000,00 DM bei einem Zeitwert des Staplers von 50.000,00 DM unter Berücksichtigung des erzielten Verkaufspreises von 4.000,00 DM. Als weitere Schadenspositionen seien das Sachverständigengutachten mit 8.000,00 DM und der Nutzungsausfall für 43 Arbeitstage in Höhe von je 150,00 DM zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 20.000,00 DM nebst 9,5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, er habe niemals seine Schuld eingestanden. Er habe nach dem Unfall unter Schock gestanden und wisse nicht, aus welchem Grund das Fahrzeug umgekippt sei. An Einzelheiten könne er sich nicht erinnern, insbesondere nicht daran, ob er abgebremst habe. Er sei immer vorsichtig gefahren. Der Grund des Unfalls sei bisher nicht aufgeklärt. Möglicherweise liege eine unglückliche Verkettung widriger Umstände vor. Nicht auszuschließen sei, daß der Hubhebel geklemmt habe und statt des Hubhebels der daneben liegende Hebel zum Neigen des Hubgerüstes bewegt worden sei. Infolge der plötzlichen Neigung des Hubmastes sei es dann möglicherweise zu einer Bremsung gekommen, die das Umkippen des Fahrzeuges bewirkt habe. Es habe auch ein Fehler in der Elektronik vorliegen können. Der von der Klägerin hinzugezogene Sachverständige habe weder Bremsspuren festgestellt noch den Gabelstapler auf technische Defekte untersucht; seine Ausführungen ergingen sich in Spekulationen.
Der Beklagte hat weiter vorgetragen, ein etwaiger Fahrfehler könne ihm jedenfalls nicht angelastet werden. Es habe an jeder systematischen Ausbildung gefehlt. Weder sei er ausreichend praktisch geschult, noch über die einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften belehrt worden. Der Ausstellung des Fahrerausweises am 5. Januar 1990 sei keinerlei Prüfung vorausgegangen. Vielmehr habe die gesamte Ausbildung nur darin bestanden, daß der Fahrer R. eine Zeitlang immer dann, wenn wenig zu tun gewesen sei, die Bedienungshebel erklärt und seine Fahrversuche überwacht habe. An einer theoretischen Unterweisung über physikalische Gesetzmäßigkeiten und einzuhaltende Vorschriften habe es überhaupt gefehlt, eine entsprechende Schulung sei erstmalig nach dem Unfall durch eine Fremdfirma erfolgt. Die gänzliche Unzulänglichkeit der Ausbildung zum Staplerfahrer werde auch vom. Betriebsrat vertreten. Unstreitig ist dieser an der Durchführung der Ausbildung nicht beteiligt worden.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren bisherigen Antrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht durfte eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten mit der von ihm gegebenen Begründung nicht verneinen. Der Senat kann nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen hierüber nicht selbst abschließend entscheiden.
I. Die Klage ist zulässig, nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 1994 erklärt hat, sie verlange in erster Linie Ersatz des Sachschadens, hilfsweise Ersatz von Kosten für das Sachverständigengutachten und höchsthilfsweise Nutzungsentschädigung. Die nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderliche Konkretisierung, wenn ein Teilbetrag aus mehreren selbständigen prozessualen Ansprüchen geltend gemacht wird, konnte noch in der Revisionsinstanz erfolgen (vgl. BGHZ 11, 192, 195 f.; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 253 Rz 15; MünchKomm ZPO-Luke, 1992, § 253 Rz 109; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 253 Anm. G III a 7).
II.1. Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Inhaltsnormen des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in der ab 10. März 1989 geltenden Fassung (MTV) Anwendung finden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich zwar nicht um eine normative Geltung nach § 4 Abs. 1 TVG, weil eine beiderseitige Tarifbindung weder vorgetragen noch festgestellt worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat aber in tatsächlicher Hinsicht eine allgemeine Übung im Betrieb der Klägerin festgestellt, wonach die Inhaltsnormen des MTV unabhängig von der Tarifbindung angewendet werden. Daher besteht eine einzelvertragliche Bindung (vgl. nur Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 206 III, § 208).
2. Nach § 2.1 MTV haftet jeder Arbeitnehmer für ordnungsmäßige und regelgerechte Arbeit. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, sind die von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Durchführungsbestimmungen nach § 17 MTV Bestandteil des Tarifvertrags. Damit gilt auch Abs. 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 2 MTV, der wie folgt lautet:
Der Arbeitnehmer haftet nur, wenn er rechtswidrig handelt und ihn ein Verschulden i.S. von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit trifft. Ob der Arbeitnehmer den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, muß der Arbeitgeber beweisen. In welchem Umfange der angerichtete Schaden zu ersetzen ist, richtet sich nach den Umständen des einzelnen Falles. …
Demnach ist kein Schadensersatzanspruch gegeben, wenn die Klägerin nicht eine mindestens grob fahrlässige Pflichtverletzung des Beklagten darlegt und beweist. Das gilt sowohl für den Anspruch wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten („positive Forderungsverletzung”) wie für den Anspruch aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einer Schutznorm).
3. Für die Anwendung der tariflichen Haftungserleichterung kommt es nicht darauf an, ob der Schaden bei einer gefahrgeneigten Arbeit im Sinne der herkömmlichen Rechtsprechung eingetreten ist. Die Tarifregelung gilt unabhängig hiervon bei jeder Schadensverursachung. Erst für den Umfang der Ersatzpflicht im Haftungsfalle ist die Gefahrgeneigtheit als Umstand des einzelnen Falles nach Abs. 3 Satz 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 2 MTV von Bedeutung. Davon abgesehen ist der Unfall vom 12. November 1990 zweifellos in Verrichtung gefahrgeneigter Arbeit geschehen (vgl. BAGE 57, 55, 58 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu B II 1 der Gründe, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts; BAGE 63, 120, 122 f. = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu B I der Gründe).
III. Ob dem Beklagten eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
1. Der Beklagte hat die arbeitsvertragliche (Neben-) Pflicht, das ihm als Arbeitsmittel anvertraute Eigentum des Arbeitgebers nicht zu beschädigen, verletzt und zugleich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB verwirklicht. Sein Einwand, er wisse nicht, aus welchem Grund das Fahrzeug umgekippt sei, es liege möglicherweise eine unglückliche Verkettung widriger Umstände vor, ist insoweit unbeachtlich. Mit diesem Vortrag wird das von der Klägerin dargelegte objektiv fehlerhafte Verhalten nicht substantiiert bestritten (§ 138 Abs. 2 ZPO). Auf die Auslegung von Dienstanweisung und Unfallverhütungsvorschriften kommt es für die Annahme einer objektiven Pflichtverletzung nicht an.
2. Die Verneinung einer groben Fahrlässigkeit des Beklagten durch das Landesarbeitsgericht hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob einem Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen sei, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt hat, ob er bei der Beurteilung des Verschuldensgrades die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften beachtet hat (BAGE 59, 203, 212 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers, zu A II 2 b aa der Gründe; BAG Urteil vom 10. Mai 1990 – 8 AZR 400/88 – n.v., zu I 2 der Gründe, jeweils m.w.N.; BGH Urteil vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 15/88 – AP Nr. 4 zu § 640 RVO, zu II 1 der Gründe).
b) Das Landesarbeitsgericht hat seiner Beurteilung den zutreffenden Begriff der groben Fahrlässigkeit zugrunde gelegt. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Grade verstoßen wird. Erforderlich ist eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB erheblich übersteigt. Der Schädiger muß das außer acht gelassen haben, was in der gegebenen Situation einem jeden einleuchtet (BAGE 42, 130, 136 = AP Nr. 82 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu II 2 der Gründe; BAGE 59, 203, 212 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers, zu A II 2 b aa der Gründe, jeweils m.w.N.).
c) Die Revision rügt aber mit Erfolg, daß das Landesarbeitsgericht die Berücksichtigung etwaiger Kenntnisse des Beklagten zur Handhabung des Gabelstaplers aus formalen Gründen abgelehnt hat.
aa) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, Ziff. 3.6 der Dienstanweisung sei nur auf das Fahren mit Last bezogen, erscheint zweifelhaft. Deren Überschrift zu 3 handelt zwar vom „Aufnehmen, Absetzen und Stapeln von Lasten”; Ziff. 3.6 betrifft aber allgemein die Stellung des Lastaufnahmemittels „während der Fahrt”. Dabei dürfte die Neigung des Mastes zum Fahrer hin (Satz 2) mit Last kaum in Betracht kommen. Auch der Zusammenhang mit § 33 Abs. 1 und 2 der UVV 12 a spricht eher gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, weil hier zwischen dem „Verfahren” allgemein und dem mit Last unterschieden wird. Dagegen erscheint die Auffassung der Revision, das Lastaufnahmemittel stelle selbst schon eine Last dar, nicht richtig. Es dient vielmehr gerade dazu, die Last aufzunehmen.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist freilich anzunehmen, daß die Dienstanweisung für das Zurücksetzen des Gabelstaplers nicht klar ist. Auch wenn die Auslegung des Landesarbeitsgerichts nicht zutreffen mag, konnte von dem Beklagten nicht erwartet werden, daß er die Bedeutung der Anweisung ohne weiteres erkannte. Zudem handelt es sich um eine abgeschwächte Sollvorschrift („sollte”). Ein etwaiger Verstoß gegen die Dienstanweisung begründet daher für sich genommen keine grobe Fahrlässigkeit. Dem Landesarbeitsgericht ist zuzustimmen, wenn es darauf abstellt, ob der Arbeitnehmer konkret und hinreichend intensiv belehrt worden ist. Die bloße Aushändigung komplizierter technischer Regelwerke kann nicht genügen.
bb) Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin gegen § 98 Abs. 1 BetrVG verstoßen, indem sie es versäumt hat, die Zustimmung des Betriebsrats zur Durchführung der Ausbildung des Beklagten einzuholen. Nach § 98 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Dazu gehören insbesondere solche Maßnahmen, die den Arbeitnehmern diejenigen Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen sollen, die zur Ausfüllung ihres Arbeitsplatzes und ihrer beruflichen Tätigkeit dienen. Der Mitbestimmungstatbestand ist von der mitbestimmungsfreien Unterrichtung und Belehrung nach § 81 Abs. 1 BetrVG abzugrenzen (BAGE 50, 85, 88 f. = AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe; BAGE 57, 295, 301 = AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG, zu B II 1 a der Gründe; BAGE 66, 292, 299 f. = AP Nr. 1 zu § 97 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe; BAG Beschluß vom 23. April 1991 – 1 ABR 49/90 – AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 96 Rz 26 ff.; Kraft, GK-BetrVG, § 98 Rz 1 ff., § 96 Rz 3 ff.; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., vor § 96 und § 97 Rz 3 ff.; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 96 Rz 3 ff.).
Die Anleitung des Beklagten ging über eine Einweisung in seinen Aufgabenbereich und in die Benutzung des Arbeitsgeräts deutlich hinaus. Der Beklagte konnte zu Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht mit einem Gabelstapler umgehen. Ein solcher Umgang stellt sich auch nicht etwa (z.B. für einen Führerscheininhaber) als eine Selbstverständlichkeit dar. Der Beklagte wurde aufgrund der erworbenen Fähigkeiten höhergruppiert und kann diese auch bei anderen Arbeitgebern entsprechend verwenden, obwohl der ausgestellte Ausweis formal nur im Betrieb der Klägerin gültig ist. Es spricht demnach viel dafür, daß die Klägerin betriebliche Berufsbildung tatsächlich durchgeführt hat und nicht erst deren – mitbestimmungsfreie – Einführung in Rede steht.
cc) Die Frage des Verstoßes gegen § 98 Abs. 1 BetrVG kann letztlich dahingestellt bleiben. Auch wenn die Klägerin Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt hat, ist es ihr entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht verwehrt, sich auf die dabei vermittelten Kenntnisse zu berufen.
Nach der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung oder notwendigen Mitbestimmung soll verhindert werden, daß der Arbeitgeber dem Einigungszwang mit dem Betriebsrat durch Rückgriff auf arbeitsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Die Rechtsunwirksamkeit von arbeitsvertraglichen Maßnahmen und Abreden ist eine Sanktion dafür, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat. Wer sich betriebsverfassungswidrig verhält, soll sich Dritten gegenüber nicht auf diese Verletzung berufen können mit dem Ziel, sich so seiner vertraglich eingegangenen Verpflichtungen zu entledigen (BAGE 53, 42, 73 f. = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C III 4 der Gründe; BAGE 58, 156, 165 = AP Nr. 16 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung, zu II 5 a der Gründe; BAG Urteil vom 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – AP Nr. 50 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu II 2 e der Gründe; BAG Beschluß vom 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu D II der Gründe; Wiese, GK-BetrVG, 4. Aufl., § 87 Rz 73 ff., 94 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Voraussetzung für eine bestimmte Gestaltung im Arbeitsverhältnis, so verlangt der Schutzzweck des Mitbestimmungsrechts, Maßnahmen oder Abreden, die ohne Mitbestimmung des Betriebsrats auf eine solche Gestaltung gerichtet sind, als unwirksam anzusehen.
Demgegenüber betrifft die Prüfung des Verschuldens keine Gestaltung im Arbeitsverhältnis. Der Grad der Vorwerfbarkeit ergibt sich aus tatsächlichen Gegebenheiten, insbesondere auch aus dem inneren Zustand des Handelnden. Dieser Bereich ist der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung entzogen. Deren Sinn besteht nicht darin, tatsächliche Handlungen ungeschehen zu machen, vorhandenes Wissen kraft einer Fiktion als nicht vorhanden anzusehen. Woher das maßgebliche Wissen stammt, spielt für den Verschuldensgrad grundsätzlich keine Rolle. § 98 Abs. 1 BetrVG bezweckt, die betriebliche Berufsbildung – auch zur Schadens- und Haftungsvermeidung – optimal zu gestalten, nicht aber, einen vorsätzlich oder grob fahrlässig handelnden Arbeitnehmer zu schützen.
3. Der Senat kann die Frage der groben Fahrlässigkeit nicht selbst abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht ist der zwischen den Parteien streitigen Frage, in welchem Maße der Beklagte gerade im Hinblick auf das Fahren mit ausgefahrenem Hubgerüst nebst Lastaufnahmemittel belehrt worden ist, nicht nachgegangen. Fehlt es an einer entsprechenden Belehrung, kann eine grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden. Ist dagegen entsprechend dem Vortrag der Klägerin eine Schulung und ständige Anweisung erfolgt, das Hubgerüst nach Abschluß des Stapelvorgangs abzusetzen, kommt eine grobe Fahrlässigkeit durchaus in Betracht. Das Landesarbeitsgericht wird daher den streitigen Vortrag der Parteien aufzuklären haben und den Grad der Fahrlässigkeit sodann erneut beurteilen müssen. Bei grober Fahrlässigkeit ist der Umfang des Schadensersatzes nach den konkreten Umständen zu bemessen (Abs. 3 Satz 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 2 MTV).
IV. Das Landesarbeitsgericht wird im erneuten Berufungsverfahren auch darauf hinzuwirken haben, daß die Klägerin den ihr aufgrund der Verletzungshandlung entstandenen Schaden näher konkretisiert. Der Vortrag der Klägerin ist insoweit bisher weitgehend unsubstantiiert.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Plenge, Hickler
Fundstellen