Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahressonderzahlung im Gebäudereiniger-Handwerk. Tarifauslegung. Gratifikation
Orientierungssatz
Der Anspruch auf eine Jahressonderzahlung entsteht erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten gemäß § 15 Ziffer 1 und 2 RTV und 7 Monaten gemäß § 15 Ziffer 7 RTV. Dies gilt sowohl für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 1. Januar 2001 beschäftigt waren, als auch für solche, die danach eingetreten sind. Der Anspruch erstreckt sich der Höhe nach nicht auf die Monate der Wartezeit.
Normenkette
Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereiniger-Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des Landes Berlin vom 16. August 2000 § 15 Nr. 1, 2 und 7
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des tarifvertraglichen Anspruchs der Klägerin auf Jahressonderzahlung für das Jahr 2002.
Die Beklagte betreibt ein Gebäudereinigungsunternehmen. Die Klägerin ist bei ihr seit dem 14. Februar 2002 als Unterhaltsreinigerin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34,31 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereiniger-Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des Landes Berlin vom 16. August 2000 (RTV) Anwendung.
Die Regelung über die Jahressonderzahlung in § 15 RTV lautet auszugsweise wie folgt:
Ҥ 15
Jahressonderzahlung
1. Arbeitnehmer/innen sowie Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis am 1. Januar 2001 mindestens 6 Monate bestand, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung von
25 % im Jahr 2001
45 % im Jahr 2002
65 % im Jahr 2003
85 % im Jahr 2004
des im April des Kalenderjahres vereinbarten tariflichen Monatsentgeltes auf Grundlage der geltenden Tarifsätze der jeweiligen Entgeltgruppen.
2. Für Arbeitnehmer/innen sowie Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis nach dem 1. Januar 2001 beginnt, entsteht ab dem 7. Beschäftigungsmonat ein Anspruch auf Jahressonderzahlung.
Ab dem 7. bis zum 18. Beschäftigungsmonat in Höhe von 25 %,
ab dem 19. bis zum 30. Beschäftigungsmonat in Höhe von 45 %,
ab dem 31. bis zum 42. Beschäftigungsmonat in Höhe von 65 %,
ab dem 43. Beschäftigungsmonat in Höhe von 85 % des im April des Kalenderjahres vereinbarten tariflichen Monatsentgeltes auf Grundlage der geltenden Tarifsätze der jeweiligen Entgeltgruppen bzw. der Ausbildungsvergütung. Als Beschäftigungsmonat gilt der volle Kalendermonat.
3. Die Jahressonderzahlung wird jeweils zur Hälfte zum Stichtag 30. April bzw. 31. Oktober fällig und wird spätestens mit der April- bzw. Oktoberabrechnung hälftig ausbezahlt.
…
5. Bei Teilzeitbeschäftigten vermindert sich der Anspruch auf die Zahlung der Jahressonderzahlung im Verhältnis seiner/ihrer vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit zur tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit.
6. Anspruchsberechtigte Beschäftigte bzw. Auszubildende, deren Beschäftigungs- bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr wegen Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs ruht, erhalten keine Leistungen gemäß Abs. 1 und 2. Ruht dieses Beschäftigungs- bzw. Ausbildungsverhältnis teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
7. Eintretende oder ausscheidende Beschäftigte haben nach 7 Monaten Anspruch auf je 1/12 der Jahressonderzahlung für jeden angefangenen Monat.”
Der Tarifstundenlohn der Klägerin betrug im Jahr 2002 7,26 Euro brutto.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin mit der Abrechnung für den Monat Dezember 2002 eine Jahressonderzahlung iHv. 47,06 Euro brutto.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, für ihren Anspruch auf Jahressonderzahlung sei zunächst gem. § 15 Ziff. 2 Satz 1 RTV vom tariflichen Monatsentgelt iHv. 169 Tarifstunden × 7,26 Euro = 1.226,94 Euro ein Prozentsatz von 25, also 306,74 Euro, anzusetzen. Hiervon seien 10/12 zu zahlen; also 255,62 Euro brutto. § 15 RTV könne nur so ausgelegt werden, dass Ziff. 2 die Höhe und Ziff. 7 den Anspruchszeitraum betreffe. Mit der Staffelung in Ziff. 2 solle allein die Betriebszugehörigkeit belohnt werden. Ziff. 7 habe den Zweck, Ansprüche der innerhalb der Wartezeit, also während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, ausscheidenden Arbeitnehmer auszuschließen.
Die gezahlten 47,06 Euro brutto hat sie abgesetzt.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 209,55 Euro brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und gemeint, sie habe die Jahressonderzahlung der Klägerin richtig berechnet.
Für die ab dem 1. Januar 2001 angestellten Mitarbeiter entstehe ein Anspruch erst ab dem siebten Beschäftigungsmonat, für die Klägerin damit erst ab 1. September 2002. Zum Fälligkeitszeitpunkt 31. Oktober seien folglich nur 2/12 fällig, wobei die Klägerin wegen ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 34,31 Stunden lediglich 152,51 anrechnungsfähige Monatsstunden aufweise.
Das Arbeitsgericht hat der Klage zunächst durch Versäumnisurteil stattgegeben, sie aber dann durch streitiges Endurteil abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und das Versäumnisurteil vom 7. Februar 2003 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen iHv. 62,76 Euro aufrechterhalten. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2002 iHv. 109,82 Euro zu, so dass sie noch weitere 62,76 Euro beanspruchen könne. Der Anspruch betrage 4/12 der Jahressonderzahlung des § 15 RTV. Im Hinblick auf den Beginn der Beschäftigung der Klägerin am 14. Februar 2002 sei zunächst von § 15 Ziff. 2 RTV auszugehen. Hiernach betrage der Anspruch auf die Jahressonderzahlung ab dem siebten Beschäftigungsmonat 25 % des im April vereinbarten tariflichen Monatsentgelts. Gem. § 15 Ziff. 7 RTV habe die Klägerin nach sieben Monaten Anspruch auf je 1/12 der Jahressonderzahlung für jeden angefangenen Monat. Vorher entstehe kein Anspruch. Als angefangene Monate seien solche des Kalenderjahres anzusehen, bei der Klägerin also ausgehend vom 14. September noch vier Monate. Der RTV enthalte zwar insoweit eine Ungereimtheit als er in § 15 Ziff. 2 einen Anspruch ab dem siebten Beschäftigungsmonat entstehen lasse, während § 15 Ziff. 7 für eintretende und ausscheidende Beschäftigte einen Anspruch nach dem siebten Monat gewähre. § 15 Ziff. 7 RTV könne jedoch nicht entgegen seinem klaren Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, dass dort “nach dem 6. Monat” gemeint sei.
Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend in der Begründung. Die Klägerin hat für das Jahr 2002 Anspruch auf 4/12 der Jahressonderzahlung.
1. Da die Klägerin erst am 14. Februar 2002 ihre Beschäftigung bei der Beklagten aufgenommen hat, ergeben sich die Voraussetzungen für ihren Anspruch auf Jahressonderzahlung nicht aus § 15 Ziff. 1, sondern aus § 15 Ziff. 2 und Ziff. 7 RTV. Das Landesarbeitsgericht hat die für die Berechnung der der Klägerin zustehenden Jahressonderzahlung maßgebenden Bestimmungen des RTV zutreffend ausgelegt.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).
b) § 15 Ziff. 2 Satz 1 iVm. Satz 3 RTV bestimmt, dass bei nach dem 1. Januar 2001 eintretenden Arbeitnehmern ein Anspruch auf Jahressonderzahlung ab dem siebten Beschäftigungsmonat entsteht, wobei als Beschäftigungsmonate nur volle Kalendermonate gelten. Sechs volle Beschäftigungsmonate in diesem tariflich definierten Sinne hat die Klägerin am 31. August 2002 vollendet.
c) § 15 Ziff. 7 RTV regelt darüber hinaus ua., dass eintretende Arbeitnehmer “nach 7 Monaten” Anspruch auf je 1/12 der Jahressonderzahlung für jeden angefangenen Monat haben. Damit haben die Tarifvertragsparteien eine Frist bestimmt, deren Ablauf Rechte des Arbeitnehmers begründen soll. Die Fristberechnung richtet sich nach §§ 186 ff. BGB, die auch im Tarifvertragsrecht gelten, wenn die Tarifvertragsparteien keine von den Regelungen des BGB abweichenden Bestimmungen getroffen haben (BAG 19. August 1965 – 2 AZR 448/64 – AP BGB § 186 Nr. 1). Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich. Da ein Arbeitsverhältnis in der Regel nicht während des Tages, an dem die Arbeit angetreten werden soll, sondern bereits mit dem Beginn des vorgesehenen ersten Arbeitstages beginnt (BAG 2. November 1978 – 2 AZR 74/77 – BAGE 31, 121, 132), lief die Sieben-Monats-Frist des § 15 Ziff. 7 RTV gem. § 188 Abs. 2 BGB iVm. § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB mit Ablauf des 13. September 2002 ab, denn die Tarifvertragsparteien haben in § 15 Ziff. 7 RTV gerade nicht den von ihnen in § 15 Ziff. 2 Satz 3 RTV definierten Begriff des Beschäftigungsmonats verwendet.
d) Wie die Regelungen in § 15 Ziff. 2 und Ziff. 7 RTV zu harmonisieren sind, wenn deren Anwendung je für sich genommen zu unterschiedlichen Ergebnissen führt (Beispiel: Eintritt des Arbeitnehmers am 1. Februar; nach Ziff. 2 bestünde dann ab 1. August ein Anspruch auf Sonderzahlung, während nach Ziff. 7 Leistungsansprüche erst ab 1. September gegeben wären), kann dahinstehen, da die Klägerin nicht zum Monatsersten eingetreten ist und daher in ihrem Fall sowohl Ziff. 2 als auch Ziff. 7 zu dem Ergebnis führen, dass der den Anspruch der Klägerin auf Jahressonderzahlung auslösende Zeitpunkt im September 2002 liegt.
e) Die Klägerin kann damit für das Jahr 2002 eine anteilige Sonderzahlung iHv. 4/12 für die Monate September bis Dezember 2002 verlangen.
aa) Für die Berechnung der Sonderzahlung ist als Anspruchszeitraum das jeweilige Kalenderjahr zugrunde zu legen. Hierfür spricht schon der Wortlaut des § 15 Ziff. 1 RTV. Danach besteht der Anspruch auf eine Jahressonderzahlung “im Jahr 2001” usw. Weiterhin wird auf das tarifliche Entgelt “im April des Kalenderjahres” verwiesen. Schließlich wird die Zahlung für das Jahr 2001 von einem mindestens sechsmonatigen Bestehen des Arbeitsverhältnisses am 1. Januar 2001 abhängig gemacht und damit der Beginn des Kalenderjahres als maßgeblicher Zeitpunkt gewählt. Auch bei ruhenden Arbeitsverhältnissen bestimmt § 15 Ziff. 6 RTV ausdrücklich das Kalenderjahr als maßgeblichen Anspruchszeitraum. Dagegen regeln die in § 15 Ziff. 3 RTV genannten Stichtage lediglich die Fälligkeitszeitpunkte für die jeweils hälftig auszuzahlende Jahressonderzahlung.
bb) Nach Ablauf der sechs- bzw. siebenmonatigen Wartezeit besteht der Anspruch nicht rückwirkend auch für die Monate der Wartezeit. Der Wortlaut des § 15 Nr. 7 RTV ist allerdings nicht eindeutig und könnte im Sinne der Klägerin so ausgelegt werden, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein anteiliger Anspruch für jeden angefangenen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses entstehen soll. Jedoch widerspräche eine solche Auslegung dem tariflichen Gesamtzusammenhang und erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien. In § 15 Ziff. 2 ist eindeutig geregelt, dass der Anspruch erst nach sechs Monaten “entsteht” und zwar “ab dem 7. Beschäftigungsmonat in Höhe von: …”. § 15 Ziff. 1 RTV verlangt bei vor dem 1. Januar 2001 eingetretenen Arbeitnehmern für ein Entstehen des Anspruchs auf Jahressonderzahlung für das Jahr 2001 einen mindestens sechsmonatigen Bestand des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2000, ohne dass für diese Monate ein Anspruch entsteht. Der RTV in der Fassung vom 16. August 2000 sieht nämlich gerade keine Sonderzahlung für das Jahr 2000 vor (BAG 20. März 2002 – 10 AZR 501/01 – BAGE 100, 377; 12. Februar 2003 – 10 AZR 293/02 –). Es ist kein Grund dafür ersichtlich, einem nach dem 1. Januar 2001 eintretenden Arbeitnehmer einen Anspruch auf Sonderzuwendung für alle geleisteten Beschäftigungsmonate zu gewähren und einem schon im Jahr 2000 tätigen Beschäftigten nicht. Folglich ist § 15 Ziff. 7 RTV so auszulegen, dass ein anteiliger Anspruch auf Jahressonderzahlung nach Vollendung der sechs- bzw. siebenmonatigen Wartezeit nicht für jeden angefangenen Monat des Arbeitsverhältnisses, sondern nur für jeden nach Ablauf der Wartezeit angefangenen Monat des Arbeitsverhältnisses im Kalenderjahr anfällt.
f) Die für die Monate September bis Dezember 2002 anteilig zu berechnende Jahressonderzahlung wurde gem. § 15 Ziff. 3 RTV zum 31. Oktober 2002 fällig, da ein Anspruch der Klägerin sowohl nach § 15 Ziff. 2 als auch nach Ziff. 7 RTV erst ab September 2002 entstanden ist.
3. Die Jahressonderzahlung ist nach § 15 Ziff. 2 Satz 2 RTV für jeden Beschäftigungsmonat gesondert zu berechnen. Für die Klägerin ist damit für die Monate September bis Dezember 2002 von 4/12 × 25 % des nach § 15 Ziff. 2 Satz 2 RTV maßgeblichen tariflichen Monatsentgelts auszugehen.
- Die Klägerin hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Hermann, Trümner
Fundstellen
Haufe-Index 1278962 |
FA 2005, 93 |
NZA 2005, 239 |
EzA-SD 2005, 16 |
EzA |