Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsame Posteinlaufstelle und Fristwahrung bei falscher Adressierung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Anwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Fristwahrung bei Übermittlung der fehlerhaft adressierten Berufungsbegründungsschrift per Telefax an eine gemeinsame Posteinlaufstelle
Leitsatz (amtlich)
Wird die mit zutreffendem Aktenzeichen des Landesarbeitsgerichts, aber an das Arbeitsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift am letzten Tage der Berufungsbegründungsfrist nach Dienstschluß per Telefax einer gemeinsamen Briefannahmestelle für das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Berlin übermittelt, geht sie beim Arbeitsgericht ein. Wird der Schriftsatz von dort geschäftsordnungsgemäß an das Landesarbeitsgericht weitergeleitet und geht er dort erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ein, so ist die Berufungsbegründungsfrist versäumt (im Anschluß zu Senat 14.Juli 1988 – 4 AZB 6/88 – AP ZPO § 518 Nr. 57 = EzA ZPO § 518 Nr. 34).
Orientierungssatz
Ein bei der gemeinsamen Einlaufstelle der Arbeitsgerichtsbarkeit in Berlin eingegangener Schriftsatz ist bei dem Gericht eingereicht worden, an das er adressiert ist.
Eine fehlerhaft an das erstinstanzliche Arbeitsgericht Berlin statt an das Landesarbeitsgericht Berlin als Berufungsgericht adressierte Berufungsbegründungsschrift, die am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist bei dem gemeinsamen Telefaxanschluß der für das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht eingerichteten gemeinsamen Einlaufstelle nach Ende der Dienstzeit eingeht, wahrt die Berufungsbegründungsfrist nicht; der Schriftsatz ist beim Arbeitsgericht eingereicht. Daran ändert die zutreffende Angabe des Aktenzeichens des Landesarbeitsgerichts nichts (Abgrenzung BGH 6. Oktober 1988 – VII ZB 1/88 – NJW 1989, 590).
Eine Einreichung liegt erst mit dem Eingang des Schriftsatzes beim zuständigen Gericht vor. Die fristwahrende Weiterleitung ist geschäftsordnungsmäßig nicht mehr möglich, wenn der Schriftsatz erst am letzten Tag der Frist nach Dienstschluß bei der gemeinsamen Einlaufstelle eingeht.
Die Angabe des unrichtigen Gerichts auf einer Berufungsbegründungsschrift muß sich der Prozeßbevollmächtigte und damit die Partei zurechnen lassen.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, §§ 133, 234, 236, 519 Abs. 1; ArbGG § 66; Geschäftsordnung für die Wachtmeisterei und die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin vom 9. November 1989 i.d.F vom 18. Juli 1995 § 4; Geschäftsordnung für die Wachtmeisterei und die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin vom 9. November 1989 i.d.F. vom 18. Juli 1995 § 7
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 3. April 2000 – 18 Sa 2204/99 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger verlangt im Wege einer Feststellungsklage von der Beklagten für Oktober und November 1998 Vergütung nach § 2 Ziff. 1.2 und ab 1. Dezember 1998 nach § 2 Ziff. 5.1 des Entgelttarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe Berlin vom 18. Februar 1998.
Mit Urteil vom 20. August 1999 – 79 Ca 3623/99 – hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Gegen dieses der Beklagten am 21. September 1999 zugestellte Urteil hat sie mit dem am 19. Oktober 1999 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag vom 19. November 1999 wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 3. Dezember 1999 einschließlich verlängert; der Antrag wurde im übrigen zurückgewiesen. Mit am 7. Dezember 1999 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem dasselbe Datum tragenden Schriftsatz, dem ein an das Arbeitsgericht adressierter Schriftsatz versehen mit Berufungsaktenzeichen und datiert auf den 3. Dezember 1999, der unter Bezugnahme auf den „Berufungseinlegungsschriftsatz” den Antrag und die „Begründung” enthält, beigefügt war, beantragte die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat die Beklagte vorgetragen, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei im Fristenbuch korrekt notiert und als Rotfrist markiert worden. Am 3. Dezember 1999 habe Rechtsanwalt G. sodann die Berufungsbegründung diktiert und diese mit der Bitte, diese zu schreiben und noch am gleichen Tag an das Landesarbeitsgericht per Telefax zu übermitteln unter Hinweis auf den Fristablauf, an die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte Frau F. übergeben. Gegen 15.00 Uhr sei der Schriftsatz unterschrieben worden. Frau F. sei sodann nochmals ausdrücklich angewiesen worden, den Schriftsatz fristwahrend an das Landesarbeitsgericht zu faxen und sodann die Frist aus dem Kalender zu streichen. Entgegen ihrer Zusage habe sie dies unterlassen. Stattdessen habe sie die Frist gemeinsam mit einer Vergleichswiderrufsfrist in anderer Sache vor Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax gestrichen. Abgelenkt durch verschiedene Telefonate habe sie die geplante Übermittlung nicht vorgenommen und auf Nachfrage des Rechtsanwalts vor dessen Verlassen der Kanzleiräume wahrheitswidrig die Erledigung des Auftrages behauptet. Nachdem sich der Rechtsanwalt im Fristenbuch vergewissert gehabt habe, daß alle Fristen erledigt seien, habe er die Kanzleiräume verlassen. Die langjährige Mitarbeiterin Frau F., die stets zuverlässig, ehrlich und aufrichtig gewesen sei und stets zuverlässig, pünktlich und gewissenhaft ihre Aufgaben erfüllt habe, was durch Einweisung und unregelmäßige Kontrollen überprüft worden sei, habe es sodann versäumt, den Schriftsatz noch zu übermitteln, da sie davon ausgegangen sei, daß dies eine Kollegin bereits erledigt habe.
Diesen Vortrag hat die Beklagte durch anwaltliche Versicherung und Eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin Frau F. glaubhaft gemacht.
Die Beklagte hat beantragt,
- ihr bezüglich der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einzuräumen;
- das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. August 1999 – 79 Ca 3623/99 – abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Der Kläger hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Ihr war Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu gewähren.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei nicht fristgerecht begründet worden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei nicht begründet. Auch ohne das grundsätzlich als Wiedereinsetzungsgrund anzuerkennende Versäumnis der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten, das der Beklagten nicht zugerechnet werden könne, wäre die Berufungsbegründung nicht fristgerecht bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen. Eine Wiedereinsetzung komme nur dann in Betracht, wenn ohne den unverschuldeten Umstand die Frist gewahrt worden wäre. Das sei hier nicht der Fall. Auch wenn die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte anweisungsgemäß den Berufungsbegründungsschriftsatz, der mit der Adresse des Arbeitsgerichts und dem Berufungsaktenzeichen versehen gewesen sei, am 3. Dezember 1999 nach 15.00 Uhr per Telefax an das in den Räumen der gemeinsamen Briefannahmestelle aufgestellte Telefaxgerät der Gerichte für Arbeitssachen übermittelt hätte, wäre dieser Eingang nicht als fristwahrend anzusehen gewesen. Entsprechend § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung der gemeinsamen Briefannahmestelle wäre dieser Schriftsatz, der außerhalb der gemäß § 4 der Geschäftsordnung in der Zeit von 8.15 Uhr bis 15.00 Uhr liegenden Dienststunden der Briefannahmestelle eingegangen wäre, zunächst am nächsten Tag dem auf der Anschrift benannten Arbeitsgericht zugeleitet und von dort nach Zuständigkeitsprüfung durch die Hauptkartei des Arbeitsgerichts an das Landesarbeitsgericht weitergeleitet worden. Der Schriftsatz wäre also auch ohne das Verschulden der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten erst am 4. Dezember 1999, damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen. Der fristgerechte Eingang des Schriftsatzes allein bei der gemeinsamen Briefannahmestelle hätte nämlich nicht als fristwahrend angesehen werden können. Dieser begründe lediglich Gewahrsam und Verfügungsgewalt des Gerichts, an das der Schriftsatz gerichtet sei, hier das Arbeitsgericht. Zur wirksamen Einreichung einer Berufungsbegründung sei es erforderlich, daß für das Berufungsgericht Gewahrsam an dem betreffenden Schriftstück begründet werde. Die Existenz einer gemeinsamen Briefannahmestelle für mehrere Gerichte ändere nichts daran, daß immer nur eines der angeschlossenen Gerichte Empfänger der eingehenden Schriftstücke seien könne. Dies könne nur das Gericht sein, an das der Schriftsatz gerichtet sei. Die Umstände, die zur fehlerhaften Adressierung im vorliegenden Fall geführt hätten, seien nicht von der Beklagten vorgetragen worden. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes die korrekte Adressierung zu überprüfen gehabt. Ein etwaiges Verschulden sei insoweit der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen gewesen.
II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts hält den Angriffen der Revision stand.
Die Beklagte hat die Berufung nicht fristgerecht begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Gegen die Fristversäumung hat sie zwar in zulässiger Weise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt; insbesondere hat sie den Antrag in der gebotenen Form (§ 236 ZPO) und innerhalb der hierfür geltenden Frist (§ 234 ZPO) gestellt. Ihr Antrag ist aber, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, unbegründet.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn die Versäumung der Frist auf ein Fehlverhalten Dritter, insbesondere des Büropersonals zurückzuführen ist, auf das Aufgaben zulässigerweise übertragen wurden. Das war deswegen hier nicht der Fall, weil auch bei Befolgung der Weisung, den Schriftsatz fristwahrend an das Landesarbeitsgericht zu faxen, die Frist wegen der unzutreffenden Bezeichnung des Berufungsgerichts nicht eingehalten worden wäre.
a) Fristgebundene Schriftsätze können mit Telefax fristwahrend übermittelt werden(vgl. BVerfG 11. Februar 1987 – 1 BvR 475/85 – BVerfGE 74, 228, 234 = AP GG Art. 103 Nr. 37; BAG 30. März 1995 – 2 AZR 1020/94 – BAGE 79, 379). Dabei darf der Anwalt das Absenden der Telekopie auch einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft überlassen(vgl. BGH 28. Oktober 1993 – VII ZB 22/93 – AP ZPO 1977 § 233 Nr. 28; BAG 30. März 1995, aaO). Die Weisung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten an die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, die Berufungsbegründungsschrift zu faxen, war sonach nicht zu beanstanden. Daß die Weisung nicht ausgeführt wurde und auf Nachfrage des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten wahrheitswidrig die Erledigung des Auftrages behauptet wurde, ist kein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Vertreterverschulden, sondern ein Verschulden Dritter, das an sich die Wiedereinsetzung begründet, solange der Vertreter Fehlleistungen Dritter, insbesondere seines Personals nicht wegen eines Aufsichts-, Organisationsverschuldens selbst zu verantworten hat. Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
b) Darauf kommt es aber dann nicht an, wenn das schuldhafte Tun oder Unterlassen nicht ursächlich für die Fristversäumung war, die Fristversäumung auch dann eingetreten wäre, wenn die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte die Berufungsbegründungsschrift weisungsgemäß mit Telefax übermittelt hätte. Das aber wäre hier der Fall gewesen.
aa) Zwar wäre die Berufungsbegründungsschrift noch am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin eingegangen. Der Eingang des Schriftsatzes bei dieser Stelle ist aber deshalb, weil er an das Arbeitsgericht Berlin adressiert war, nicht als Eingang bei dem Berufungsgericht anzusehen. In ständiger Rechtsprechung vertreten der Bundesgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, daß ein bei einer gemeinsamen Einlaufstelle mehrerer Gerichte eingehender Schriftsatz einer Partei mit der Einreichung bei der Einlaufstelle bei dem Gericht eingereicht worden ist, an das er adressiert ist(vgl. zB BGH 16. Februar 1998 – AnwZ (B) 63/97 – BRAK-Mitt 1998, 151; BGH 18. Februar 1997 – VI ZB 28/96 – NJW-RR 1997, 892; BAG 14. Juli 1988 – 4 AZB 6/88 – AP ZPO § 518 Nr. 57 = EzA ZPO § 518 Nr. 34; BAG 29. August 1988 – 4 AZB 16/88 – nv.). Diese Rechtsprechung, an der festzuhalten ist und die in der Literatur fast ausnahmslos Zustimmung gefunden hat(vgl. zB MünchKommZPO-Rimmelspacher 2. Aufl. § 518 Rn. 28; Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 270 Rn. 6 a), beruht auf der Erwägung, daß ein bei einer für mehrere Gerichte eingerichteten gemeinsamen Briefannahmestelle eingereichter Schriftsatz für das Gericht angenommen wird, an das er gerichtet ist; nur dieses Gericht erlangt deshalb mit der Einreichung die tatsächliche Verfügungsgewalt. Bei Einrichtung eines gemeinsamen Telefaxanschlusses gilt dasselbe(vgl. BGH 16. Februar 1998, aaO; BGH 3. Juni 1987 – IVa ZR 292/85 – BGHZ 101, 276, 280).
Danach wäre die an das Arbeitsgericht gerichtete Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 3. Dezember 1999 bei dem Arbeitsgericht eingegangen. Bei dem Landesarbeitsgericht wäre sie frühestens erst am Montag, den 6. Dezember 1999 eingegangen. Denn die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin hätte das Telefax, da es erst nach Dienstschluß eingegangen wäre, frühestens am folgenden Arbeitstag an das Arbeitsgericht geleitet, dort wäre bei der Hauptkartei des Arbeitsgerichts festgestellt worden, daß die Berufungsbegründungsschrift zum Landesarbeitsgericht gehört, und diesem zugeleitet worden, mithin verspätet.
Diese Fehladressierung muß sich der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten als eigenes Verschulden hinzurechnen lassen. Denn der Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift durch den Prozeßbevollmächtigten muß stets eine eigene anwaltliche Überprüfung auf Vollständigkeit und richtige Adressierung vorausgehen. Der Prozeßbevollmächtigte trägt die persönliche Verantwortung dafür, daß eine Rechtsmittelbegründungsschrift bei dem richtigen Gericht eingeht(vgl. BGH 10. Januar 1990 – XII B 141/89 – NJW 1990, 990). Deswegen bestand für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kein Grund.
bb) Lediglich Lüke(MünchKommZPO 2. Aufl. § 270 Rn. 38) hält die Auffassung, die fristwahrende Einreichung liege erst mit der Weiterleitung an das richtige Gericht vor, weil Bedienstete der Briefannahmestelle zwar auch zur Entgegennahme für das Berufungsgericht befugt seien, jedoch wegen der in der Berufungsbegründungsschrift angegebenen Adresse diese für das Gericht I. Instanz hätten annehmen wollen, wegen der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der es auf die Mitwirkung der Bediensteten nicht ankomme, für nicht mehr vertretbar. Es sei nicht richtig, daß die Einlieferung bei einer für mehrere Gerichte eingerichtete Posteingangsstelle nicht die Verfügungsgewalt aller angeschlossenen Gerichte begründe. Gemeinsame Briefannahmestellen der Justizbehörden dienten den rechtsuchenden Publikum. Daraus folge unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Aspekte, daß der Eingang bei ihr fristwahrend für jedes ihr angeschlossene Gericht wirke, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das falsche Gericht in der Adresse genannt sei. Unklarheiten in der Zuordnung der der Annahmestelle angeschlossenen Gerichte gingen zu Lasten der Gerichte.
Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts(zB 17. Februar 1993 – 1 BvR 1666/92 – nv.) die Rechtsprechung zum Posteingang bei gemeinsamen Annahmestellen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist. Deshalb müsse es – so die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – für die Fristwahrung nicht ausreichen, wenn die an das Amtsgericht adressierte Berufungsschrift innerhalb der Frist bei der gemeinsamen Poststelle des Land- und Amtsgerichts eingegangen ist, wobei sich auch aus der Kennzeichnung des Schriftsatzes als „Berufung” nichts anderes ergebe, es sei denn, der Zugang zur Berufungsinstanz sei durch die Art der Weitergabe der Berufungsschrift an das Landgericht unzumutbar dadurch erschwert worden, daß das Amtsgericht die Weiterleitung zögerlich vorgenommen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Mit diesem Grundsatz ist es unvereinbar, wenn ein Gericht einen Schriftsatz als verspätet ansieht, obwohl er rechtzeitig in seine Verfügungsgewalt gelangt ist(BVerfG 3. Oktober 1979 – 1 BvR 726/78 – BVerfGE 52, 203, 209; BVerfG 29. April 1981 – 1 BvR 159/80 – BVerfGE 57, 117, 120). Wie und wann ein Schriftsatz in die Verfügungsgewalt eines Gerichtes gelangt, ist eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts, deren Beantwortung den dafür allgemein zuständigen Gerichten obliegt(BVerfG 20. April 1982 – 1 BvR 944/80 – BVerfGE 60, 243, 246). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Posteingang bei gemeinsamen Anlaufstellen, der die Instanzgerichte folgen, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden(so schon 7. September 1984 – 2 BvR 1633/82 – und wie genannt 17. Februar 1993 – 1 BvR 1666/92 – nv.).
2. Die Revision hält dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg entgegen, daß der BGH eine irrtümlich an das Landgericht gerichtete Berufungsbegründung, die am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist in den gemeinsamen Nachtbriefkasten der Justizbehörden eingelegt wurde, noch als fristwahrend erachtet hat, weil der falsch adressierte Brief mit dem richtigen Aktenzeichen des Oberlandesgerichts versehen war(BGH 6. Oktober 1988 – VII ZB 1/88 – NJW 1989, 590, 591). Abgesehen davon, daß diese Entscheidung zu Recht abgelehnt wird(Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 270 Rn. 6 a), läßt sie sich entgegen der Revision und entgegen der Entscheidung der Sechsten Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 7. Januar 2000(– 6 Sa 1849/99 – NZA-RR 2000, 460 f.) nicht auf den Eingang der an das Arbeitsgericht gerichteten Berufungsbegründungsschrift bei der gemeinsamen Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin übertragen, auch wenn die Berufungsbegründung – wie hier – mit dem zutreffenden Aktenzeichen des Landesarbeitsgerichts versehen war.
a) Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, entscheidend für die Zuordnung einer Sendung zu einem bestimmten Empfänger müsse in erster Linie die vom Absender gewählte Adressierung sein und bleiben. Erst wenn eine solche fehle, könne und dürfe auf andere Anhaltspunkte wie das Aktenzeichen für die Zuordnung zurückgegriffen werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß sich über den allein in der Adressierung zum Ausdruck kommenden Willen des Absenders, wer Empfänger der Sendung sein solle, hinweggesetzt werde. Es komme hinzu, daß nach der Geschäftsordnung der gemeinsamen Briefannahmestelle eine solche Vorgehensweise den Bediensteten der allgemeinen Briefannahmestelle auch vorgegeben sei: Nach § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung für die Wachtmeisterei und die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin vom 9. November 1989 in der Fassung vom 18. Juli 1995 – „Bestimmung des Empfängers eingehender Sendungen” – seien Posteingänge dem auf der Anschrift benannten Gericht zuzuleiten. Die Briefannahmestelle habe sich einer Zuständigkeitsprüfung zu enthalten. Auch sei zu beachten, daß die Zusammensetzung der Aktenzeichen der Arbeitsgerichtsbarkeit – Ca, Sa – eine Ähnlichkeit aufweise, die bereits in einer Vielzahl von Fällen zu Versehen in Schriftsätzen geführt habe und deshalb bei Divergenz zwischen Adressierung und angegebenem Aktenzeichen keine eindeutige Qualifizierung zuließe, an welcher Stelle sich ein Versehen eingeschlichen habe.
b) Dem ist jedenfalls im Ergebnis zu folgen. Für die Entscheidung des BGH vom 6. Oktober 1988 (– VII ZB 1/88 – NJW 1989, 590, 591) waren die Besonderheiten des Falles entscheidend, die darin bestanden, daß die die Berufungsbegründung enthaltende Prozeßerklärung zu dem bereits anhängigen Berufungsverfahren mit dem richtigen „U”-Aktenzeichen eingereicht worden war, so daß aus dem Gesamtzusammenhang der Erklärung die Fehlerhaftigkeit der Adressierung ohne weiteres erkennbar war. Der BGH hat in „Abgrenzung” zu der genannten Entscheidung vom 6. Oktober 1988 (aaO) an der Auffassung festgehalten, daß sich die Prozeßpartei mit einer bestimmten Adressierung eindeutig dafür entschieden habe, daß der Schriftsatz in die Verfügungsgewalt des darin bezeichneten Gerichts gelangen solle(18. Februar 1997 – VI ZB 28/96 – NJW-RR 1997, 892).
Im übrigen ist im Unterschied zu dem vom BGH entschiedenen Fall(BGH 6. Oktober 1988 – VII ZB 1/88 – aaO) die Zulässigkeit/Unzulässigkeit von Rechtsmitteln in Fällen der vorliegenden Art nicht in nicht zu rechtfertigender Weise von Zufällen abhängig, etwa davon, ob der die Eingangsbehandlung vornehmende Bedienstete nach Anschriften oder Aktenzeichen ordnet. Vorliegend ist die Behandlung der eingehenden Schriftsätze den Bediensteten in § 7 der Geschäftsordnung für die Wachtmeisterei und die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin vom 9. November 1989 in der Fassung vom 18. Juli 1995 vorgegeben. Nach deren § 7 – „Bestimmung des Empfängers eingehender Sendungen” – sind Posteingänge dem auf der Anschrift benannten Gericht zuzuleiten. Die Briefannahmestelle hat sich einer Zuständigkeitsprüfung zu enthalten. Dann aber gilt der auch von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannte Grundsatz, daß der bei einer allgemeinen Eingangsstelle mehrerer Gerichte eingegangene Schriftsatz einer Partei mit der Einreichung bei der Eingangsstelle bei dem Gericht eingegangen ist, an das er adressiert ist(vgl. nur BGH 12. Oktober 1995 – VII ZR 8/95 – NJW-RR 1996, 443). Der an ein unzuständiges Gericht adressierte Schriftsatz geht erst dann beim zuständigen Gericht ein, wenn er nach Weiterleitung durch das zunächst angegangene Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt (BGH, aaO). Es käme hier dann auf den tatsächlichen Eingang beim Landesarbeitsgericht an (§ 519 Abs. 2 ZPO). Dieser Eingang wäre frühestens am nächsten Arbeitstag, 6. Dezember 1999, erfolgt, also außerhalb der Berufungsbegründungsfrist.
Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, diese Geschäftsordnung sei nicht bekannt. Die von der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts und vom Präsidenten des Arbeitsgerichts erlassene Geschäftsordnung ist zwar nicht veröffentlicht. Sie spiegelt jedoch lediglich das wieder, was von der Rechtsprechung für die gemeinsamen Annahmestellen allgemein anerkannt ist, nämlich daß es entscheidend auf die Adressierung ankommt und, ist diese unzutreffend, der Schriftsatz erst dann bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist, wenn er tatsächlich dorthin weitergeleitet worden ist (für Hamburg besteht indessen eine – veröffentlichte – Sonderregelung,vgl. dazu BAG 17. Dezember 1968 – 5 AZR 149/68 – BAGE 21, 263). Im übrigen wird die Berliner Geschäftsordnung immer wieder von den Berliner Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit zitiert(vgl. zB LAG Berlin 7. Januar 2000 – 6 Sa 1849/99 – NZA-RR 2000, 460 f.; vgl. schon LAG Berlin 2. August 1961 – 1 Sa 29/61 – ArbuR 1962, 90; 19. August 1971 – 5 Sa 89/71 – DB 1971, 2320 = ARSt 1972, 77).
Hinzu kommt, daß durchaus Schriftsätze mit zweitinstanzlichen Aktenzeichen an das Arbeitsgericht gerichtet werden. Das Arbeitsgericht ist als Gericht erster Instanz grundsätzlich zuständig für die Erteilung der Vollstreckungsklausel (§ 724 Abs. 2 Halbs. 1 ZPO), es sei denn, daß der Rechtsstreit in höherer Instanz noch anhängig ist. Die erste Instanz ist auch zuständig für die Kostenfestsetzung (§ 104 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Auch unter diesem Gesichtspunkt stellt der Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 6. Oktober 1988 (aaO) eine einzelfallbezogene, nicht zu verallgemeinernde und auf die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht übertragbare Entscheidung dar.
3. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Recht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 519 b Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Die Revision der Beklagten war deshalb zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Wolter, Friedrich, Schmalz, Weßelkock
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.08.2001 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2002, 312 |
BB 2002, 839 |
DB 2002, 800 |
HFR 2002, 660 |
NJW 2002, 845 |
ARST 2002, 92 |
FA 2002, 113 |
JurBüro 2002, 334 |
NZA 2002, 347 |
SAE 2002, 202 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 15 |
EzA |
SGb 2002, 384 |
AUR 2002, 78 |