Entscheidungsstichwort (Thema)
Verband als Träger von Arbeitskampfmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. In der Auseinandersetzung um einen Verbandstarifvertrag bedürfen sowohl Streiks als auch Aussperrungen eines Verbandsbeschlusses.
2. Über den Inhalt des Streik- oder Aussperrungsbeschlusses muß die Gegenseite nicht im einzelnen unterrichtet werden. Sie muß aber erkennen können, ob sie es mit einer zulässigen oder einer unzulässigen („wilden”) Arbeitskampfmaßnahme zu tun hat. Hieran fehlt es jedenfalls dann, wenn nicht einmal die Existenz eines Beschlusses für die Gegenseite erkennbar ist.
3. Eine betriebliche Regelung, nach der eine Anwesenheitsprämie nur für Monate gezahlt wird, in denen der Arbeitnehmer keinerlei Arbeitsunfähigkeits- und unbezahlte Ausfallzeiten aufweist, führt zwar bei Streikteilnahme zum Prämienverlust, bedeutet aber dennoch keine nach § 612 a BGB verbotene Maßregelung.
Normenkette
GG Art. 9; BGB § 612a
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Februar 1995 – 7 (5) Sa 785/93 – teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 15. April 1993 – 2 Ca 1250/92 H – teilweise abgeändert.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15,81 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15. Dezember 1992 zu zahlen.
- Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt 2/3, die Beklagte 1/3 der Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit einer Aussperrung zur Entgeltzahlung verpflichtet ist, und ob sie ihm wegen der Teilnahme an einem Streik die Zahlung einer Anwesenheitsprämie verweigern durfte.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Textilmaschinenführer beschäftigt. Im Mai 1992 betrug sein Bruttostundenlohn 15,81 DM. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB). Die Beklagte gehört dem Verband der nordbayerischen Textilindustrie e.V. (Arbeitgeberverband) an. Sie zahlt eine monatliche Anwesenheitsprämie in Höhe von 30,00 DM an alle Arbeitnehmer, die während des Kalendermonats keine Ausfallzeiten – z.B. durch Unpünktlichkeit, unbezahlten Urlaub oder Krankheit – aufweisen.
Im Mai 1992 kam es zwischen der GTB und dem Arbeitgeberverband zu Tarifverhandlungen. Sie wurden am 25. Mai 1992 abgebrochen. Der Vorstand des Arbeitgeberverbandes beschloß am 26. Mai 1992, daß Mitgliedsfirmen nach entsprechender Ermächtigung durch den Hauptgeschäftsführer des Verbandes befugt sein sollten, auf Warnstreiks mit gleich langen und auf die Streikteilnehmer beschränkten Aussperrungen zu reagieren. Der Beschluß wurde nicht veröffentlicht und auch der GTB nicht mitgeteilt.
Am 26. Mai 1992 wurde im Betrieb der Beklagten folgendes Flugblatt verteilt:
heute: 21.00–22.00 Uhr
Kollegin, Kollege!
Jetzt bist Du gefordert!!
Das Unternehmer-Verhalten ist verantwortungslos und unsozial! |
Wir lassen uns nicht an der Nase herumführen!
Wir wollen ernst genommen werden!
Neues Angebot der Arbeitgeber –
weiterhin unzureichend!
EIN BILLIG-ABSCHLUSS LÄUFT MIT UNS NICHT! |
Arbeitgeber wollen uns mit ihrem Angebot an das Ende der Lohnskala drücken.
GTB
Gewerkschaft Textil-Bekleidung Verwaltungsstelle H.” |
In das gedruckte Flugblatt, das auch das Gewerkschaftslogo zeigt, ist die Zeitangabe handschriftlich eingefügt. Eine gesonderte Unterrichtung der Beklagten über den Streikbeschluß erfolgte nicht.
55 Arbeitnehmer – darunter auch der Kläger – beteiligten sich an diesem Streik. Als sie danach um 22.00 Uhr die Arbeit wieder aufnehmen wollten, wurden sie von der Beklagten bis 23.00 Uhr ausgesperrt. Die Beklagte war hierzu am 26. Mai 1992 vom Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes entsprechend dem Vorstandsbeschluß ermächtigt worden. Daß die Aussperrung auf einem Verbandsbeschluß beruhte, teilte die Beklagte weder den Arbeitnehmern noch der GTB mit. Die Beklagte verweigerte die Lohnzahlung für die durch die Aussperrung ausgefallene Arbeitsstunde und außerdem die Zahlung der Anwesenheitsprämie für den Monat Mai.
Die am 15. Dezember 1992 zugestellte Klage hat der Kläger damit begründet, ihm stünden Lohn für die Zeit der Aussperrung sowie die Anwesenheitsprämie für Mai 1992 zu. Die Beklagte habe sich im Annahmeverzug befunden. Die Aussperrung sei rechtswidrig gewesen, da die Beklagte weder die GTB noch die Arbeitnehmer über den Verbandsbeschluß informiert habe. Hiergegen könne die Beklagte nicht geltend machen, ihr sei auch nicht mitgeteilt worden, daß der vorangegangene Kurzstreik von der GTB getragen wurde. Daß es sich um einen gewerkschaftlichen Streik gehandelt habe, sei im Streikaufruf ausdrücklich angegeben gewesen. Dieser habe erkennbar dem Betrieb der Beklagten gegolten, denn dort seien die Flugblätter verteilt worden. Die rechtswidrige Aussperrung könne auch nicht zum Verlust der Anwesenheitsprämie führen. Ebensowenig dürfe die Streikteilnahme insoweit berücksichtigt werden. Das ergebe sich aus dem Verbot, einen Arbeitnehmer wegen zulässiger Ausübung seiner Rechte zu maßregeln. Allenfalls könne eine anteilige Kürzung der Prämie entsprechend der Streikdauer in Betracht kommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 45,81 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung hat der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt für die durch die Aussperrung ausgefallene Arbeitszeit. Die Aussperrung sei rechtmäßig gewesen. Eine Ermächtigung durch den Arbeitgeberverband habe vorgelegen. Eine Verlautbarung des Verbandsbeschlusses sei nicht erforderlich gewesen, da es sich bei der Aussperrung um eine Abwehrmaßnahme gehandelt habe, mit der auf einen Streik reagiert worden sei. Im übrigen habe sich hier eine Bekanntgabe des Verbandsbeschlusses auch deshalb erübrigt, weil der Warnstreik rechtswidrig gewesen sei. Die GTB habe nämlich ihren Streikbeschluß der Beklagten nicht mitgeteilt. Für die Beklagte sei auch aus den Flugblättern nicht erkennbar gewesen, für welchen Betrieb zum Streik aufgerufen wurde. Immerhin wäre möglich gewesen, daß die Flugblätter für einen anderen Betrieb bestimmt waren und von dort mitgebracht wurden. Einem Anspruch des Klägers auf die Anwesenheitsprämie stehe seine Streikteilnahme entgegen. Hierin liege keine verbotene Maßregelung, denn die Prämie entfalle nicht nur bei Streikteilnahme.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat teilweise Erfolg. Die Klage ist begründet, soweit der Kläger Arbeitsentgelt für die aufgrund der Aussperrung ausgefallene Arbeitszeit begehrt. Dagegen hat der Kläger keinen Anspruch auf Anwesenheitsprämie für den Monat Mai 1992.
I. Der Kläger kann nach § 615 BGB für die durch die Aussperrung ausgefallene Arbeitszeit im Umfang von einer Stunde Arbeitsentgelt in Höhe von 15,81 DM brutto verlangen. Die Beklagte befand sich insoweit mit der Annahme der angebotenen Arbeitsleistung im Verzug. Das Arbeitsverhältnis war nicht suspendiert, denn die Aussperrung war rechtswidrig. Weder für die GTB noch für die betroffenen Arbeitnehmer war erkennbar, daß es einen Verbandsbeschluß gab, der die Beklagte zur Aussperrung ermächtigte.
1. Die Ermächtigung durch den Arbeitgeberverband, deren die Beklagte zur Aussperrung bedurfte, lag allerdings vor.
Die Aussperrung war nur aufgrund eines Verbandsbeschlusses zulässig, weil der Arbeitskampf den Abschluß eines Verbandstarifvertrages zum Ziel hatte. In der Auseinandersetzung um einen Verbandstarifvertrag müssen Arbeitskampfmaßnahmen der Arbeitgeberseite vom Arbeitgeberverband getragen sein wie auch auf der Arbeitnehmerseite Streikmaßnahmen von der Gewerkschaft. Fehlt die Ermächtigung durch den Arbeitgeberverband, so handelt es sich um eine „wilde” Aussperrung, die rechtswidrig ist (LAG Hamm Urteil vom 21. August 1980 – 8 Sa 66/80 – AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, mit zustimmender Anm. von Löwisch/Mikosch; Däubler/Wolter, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 939 f.; Kalb, Arbeitskampfrecht, Rz 186; Löwisch/Rieble, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, Rz 317; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 339 f.; a.A. noch Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 53). Dies entspricht dem Interesse des Arbeitgeberverbandes an einer einheitlichen Kampfführung. Die Verantwortung für Abschluß und Inhalt des Tarifvertrags kann nur tragen, wer auch in der Lage ist, die hierauf gerichteten Kampfmaßnahmen zu steuern.
Der Arbeitgeberverband hat der Beklagten die erbetene Ermächtigung erteilt. Die dann vorgenommene Aussperrung blieb auch unstreitig in dem Rahmen, den der Verbandsbeschluß festgelegt hatte.
2. Dennoch war die Aussperrung rechtswidrig, weil die Arbeitnehmerseite nicht in der erforderlichen Weise unterrichtet wurde.
a) Sperrt der Arbeitgeber aus, so muß er dies der Arbeitnehmerseite gegenüber zum Ausdruck bringen (BAGE 23, 484, 496 = AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A II 1 der Gründe; Brox/Rüthers, aaO, Rz 314; Löwisch/Krauß, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, Rz 507; MünchArbR/Otto, § 281 Rz 4). Die Arbeitnehmer müssen wissen, ob im Verhalten des Arbeitgebers eine Kampfmaßnahme zu sehen ist. Hiernach richten sich ihre Reaktionsmöglichkeiten. Fordert der Arbeitgeber die Arbeitnehmer zum Verlassen der Arbeitsplätze auf, so muß er darüber hinaus deutlich machen, ob er sie damit aussperren oder nur auf eine streikbedingte Betriebsstörung reagieren will (Senatsurteil vom 27. Juni 1995 – 1 AZR 1016/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Das entspricht spiegelbildlich dem für Streiks geltenden Grundsatz, daß die Teilnahme des einzelnen Arbeitnehmers einer entsprechenden Erklärung bedarf (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Urteil vom 22. März 1994 – 1 AZR 622/93 – AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 c der Gründe).
Diese Erklärung hat die Beklagte allerdings mit hinreichender Deutlichkeit abgegeben. Anders als in dem am 27. Juni 1995 entschiedenen Fall besteht hier zu Zweifeln darüber, ob es sich um eine Aussperrung oder um die Berufung der Beklagten auf eine streikbedingte Unmöglichkeit der Arbeitsleistung handelt, kein Anlaß. Der Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß der Warnstreik den Betriebsablauf längerfristig gestört hätte und der Beklagten eine Wiederaufnahme der Arbeit durch die am Streik beteiligten Arbeitnehmer unmöglich oder zumindest unzumutbar erschienen wäre.
b) Die Aussperrungserklärung reichte aber im vorliegenden Fall nicht aus. Es fehlte jeder Hinweis der Beklagten oder des Arbeitgeberverbandes, aus dem für die Arbeitnehmerseite erkennbar gewesen wäre, daß es sich nicht um eine wilde Aussperrung handelte, sondern daß die Kampfmaßnahme vom Arbeitgeberverband getragen war. Eine solche Unterrichtung ist erforderlich.
aa) Die Frage, ob eine Aussperrung nur rechtmäßig ist, wenn die Arbeitnehmerseite über die Ermächtigung des Arbeitgebers durch den Arbeitgeberverband informiert ist, wird bisher fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Übernahme einer „wilden” Aussperrung durch den Verband erörtert.
So hat das Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 21. August 1980 – 8 Sa 66/80 – AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 b und c der Gründe) entschieden, daß die Übernahme einer „wilden” Aussperrung durch den Arbeitgeberverband noch während deren Dauer in einer Weise verlautbart werden müsse, die eine Kenntnisnahme durch die Gewerkschaft sicherstelle, z.B. durch eine Pressekonferenz, Aushang an den Werkstoren oder Unterrichtung der wartenden Arbeitnehmer über Lautsprecher. Geschehe dies nicht, so bleibe die Aussperrung bis zuletzt rechtswidrig. Das ergebe sich aus dem Gebot der fairen Kampfführung. Die Gewerkschaft müsse wissen, ob sie es lediglich mit dem Alleingang eines Arbeitgebers zu tun habe oder aber mit einer vom Arbeitgeberverband beschlossenen Kampfmaßnahme, der weitaus stärkeres Gewicht zukomme. Insoweit sei das Informationsinteresse der Gewerkschaft ebenso schützenswert wie dasjenige des Arbeitgeberverbandes, der im Fall eines Streiks wissen müsse, ob dieser von der Gewerkschaft getragen werde. Die Gewerkschaft habe unterschiedlich zu disponieren, je nachdem, welcher Kampfform sie sich gegenübersehe. Auch für die betroffenen Arbeitnehmer ergäben sich bei einer „wilden” Aussperrung andere Verhaltenspflichten und Reaktionsmöglichkeiten als bei einer vom Arbeitgeberverband getragenen (zustimmend: Löwisch/Mikosch, Anm. zu AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch/Rieble, aaO, Rz 314, 319; in der Sache ebenso Däubler/Wolter, aaO, Rz 984, 988 f.).
bb) Diese Erwägungen überzeugen. Sie gelten nicht nur für die nachträgliche Übernahme einer „wilden” Aussperrung, sondern in gleicher Weise für eine Aussperrung, die von vornherein vom Arbeitgeberverband getragen wird (vgl. Däubler/Wolter, aaO). In beiden Fällen ergibt sich aus dem Gebot der fairen Kampfführung das gleiche Informationsbedürfnis der Gegenseite. Es wird durch die Notwendigkeit bestimmt, das eigene Verhalten auf die Kampfmaßnahmen des Arbeitgebers einzustellen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, daß sich das Arbeitskampfgeschehen seiner Natur nach einer Formalisierung weitgehend entzieht. An Form und Umfang der Unterrichtung über den Verbandsbeschluß dürfen deshalb keine hohen Anforderungen gestellt werden, Der Arbeitnehmerseite muß nicht förmlich mitgeteilt werden, daß eine Aussperrung durch den Arbeitgeberverband veranlaßt oder gebilligt ist. Vielmehr reicht es aus, wenn sich dies rechtzeitig aus den Umständen ergibt. So erübrigt sich beispielsweise ein besonderer Hinweis dann, wenn der Arbeitgeberverband schon vorsorglich für den Fall von Kurzstreiks öffentlich Aussperrungen in den etwa betroffenen Unternehmen angekündigt hatte. Dagegen ist der Hinweis auf einen Aussperrungsbeschluß des zuständigen Verbandes nicht schon allein deshalb entbehrlich, weil es sich lediglich um die Reaktion auf einen vorangehenden Warnstreik handelt. Bisher läßt sich nicht feststellen, daß Arbeitgeberverbände regelmäßig auf Warnstreiks mit entsprechenden Aussperrungen antworteten.
cc) Hier kann dahinstehen, von wem und wem gegenüber die Unterrichtung erfolgen kann oder muß. Die Arbeitnehmerseite ist in keiner Weise (auch nicht mittelbar) darüber informiert worden, daß der Arbeitgeberverband seine Mitgliedsunternehmen zu Aussperrungen ermächtigt hatte. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, erst im Lauf des Rechtsstreits sei bekannt geworden, daß ein entsprechender Beschluß vorlag. Durch eine nachträgliche Information nach dem Ende der Kampfmaßnahme ist deren Rechtswidrigkeit nicht rückwirkend zu beseitigen. Eine verspätete Unterrichtung kann ihren vorstehend beschriebenen Zweck nicht mehr erfüllen.
c) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, im vorliegenden Fall führe die fehlende Verlautbarung des Verbandsbeschlusses ausnahmsweise nicht zur Rechtswidrigkeit der Aussperrung, weil der vorangegangene Warnstreik rechtswidrig gewesen sei. Aus dem Streikaufruf habe nämlich die Beklagte nicht erkennen können, daß gerade ihr Betrieb bestreikt werden sollte. Daß die Flugblätter in ihrem Betrieb verteilt wurden, sei nicht aussagekräftig.
Allerdings trifft es zu, daß ein rechtmäßiger Streik einer Erklärung der Gewerkschaft bedarf, mit der sie zum Streik aufruft oder einen „wild” begonnenen Streik übernimmt (vgl. BAGE 58, 320, 323 = AP Nr. 56 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG, zu II 1 der Gründe). Für sogenannte Warnstreiks gilt nichts anderes. Solche Streiks sind gegenüber anderen Arbeitskampfformen nicht privilegiert (BAGE 58, 364 = AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Es sind auch keine Gesichtspunkte erkennbar, aufgrund derer sich bei Kurzstreiks ausnahmsweise eine entsprechende Erklärung der Gewerkschaft erübrigen könnte.
Das Landesarbeitsgericht hat indessen die Anforderungen überspannt, die an eine solche Erklärung zu stellen sind. Wenn ein gewerkschaftlicher Streikaufruf mit Flugblättern im Betrieb verteilt wird, dann ist im Regelfall schon hieraus zu schließen, daß er sich auf diesen Betrieb bezieht, auch wenn die Flugblätter den Betrieb nicht ausdrücklich nennen. Ein solcher Schluß scheidet nur dann aus, wenn besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Deutung nahelegen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn im Betrieb lediglich vereinzelte Flugblätter kursieren und die Gewerkschaft vorher die Arbeitsniederlegung für andere Betriebe angekündigt hatte. Im vorliegenden Fall spricht nichts für eine solche Ausnahme.
3. Da die Aussperrung wegen mangelnder Bekanntgabe des Verbandsbeschlusses rechtswidrig war, bedarf es keiner Prüfung mehr, ob die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben. Insbesondere kann hier dahinstehen, inwieweit diejenigen Grundsätze zur Verhältnismäßigkeit, die nach dem Urteil des Senats vom 11. August 1992 (BAGE 71, 92, 99 f. = AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A I 3 c – e der Gründe) für Abwehraussperrungen durch ein nicht verbandsangehöriges Unternehmen bei Kurzstreiks gelten, auch für Aussperrungen maßgeblich sind, die ein Arbeitgeberverband beruhen. Wesentlich für die Entscheidung von 1992 war die Situation eines mittelständischen Unternehmens mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, das nicht auf die Unterstützung eines Verbandes zurückgreifen konnte. In einem Verbandsarbeitskampf stellen sich etwas andere Fragen.
II. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die Beklagte die Anwesenheitsprämie für den Monat Mai 1992 nicht schuldet.
1. Ein Anspruch auf Prämie setzt nach der von der Beklagten getroffenen Regelung voraus, daß in dem betreffenden Monat kein – auch kein geringfügiger – Arbeitsausfall eingetreten ist, der mit einer entsprechenden Lohnminderung verbunden war. Soweit ein Arbeitsausfall nicht zu einer Lohnminderung geführt hat, ist er jedenfalls dann schädlich, wenn er auf krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beruht. Danach erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Anwesenheitsprämie nicht, weil durch seine Streikteilnahme Arbeit ausgefallen und der entsprechende Lohnanspruch nicht entstanden ist.
Entgegen der Auffassung des Klägers liegt in der Versagung der Anwesenheitsprämie keine von § 612 a BGB verbotene Maßregelung (LAG Köln Urteil vom 18. Dezember 1986 – 8 Sa 880/86 – LAGE Nr. 30 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Däubler/Colneric, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 1378). Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die in der Prämienregelung enthaltenen Anspruchsvoraussetzungen den Zweck hätten, die Streikbereitschaft zu beeinflussen. Die Abhängigkeit des Prämienanspruchs von der tatsächlichen Arbeitsleistung zielt vielmehr auch und in erster Linie auf andere Formen der Leistungsstörung oder -unterbrechung, wie Unpünktlichkeit, Krankheit und unbezahlten Urlaub. In diesem Sinne hat der Senat bei einer vergleichbaren Gratifikationsregelung sogar die Vereinbarkeit mit einem tariflichen Maßregelungsverbot bejaht, dessen Schutz über denjenigen des § 612 a BGB noch hinausging (BAGE 56, 6, 12 = AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu 3 b der Gründe).
2. Dem Kläger steht die Anwesenheitsprämie auch nicht, wie er hilfsweise geltend gemacht hat, anteilig in der um die Zeit des Streiks verminderten Höhe zu. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für den Prämienanspruch so geregelt, daß jede – auch nur geringfügige – Ausfallzeit, wie z.B. eine Verspätung beim Arbeitsbeginn, seine Entstehung für den laufenden Monat verhindert. Es sind keine übergeordneten Gesichtspunkte erkennbar, die der Wirksamkeit einer solchen Regelung entgegenstünden (im Ergebnis ebenso Däubler/Colneric, aaO, Rz 585). Zu Unrecht beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf Äußerungen im arbeitsrechtlichen Schrifttum, nach denen eine jährlich fällige Anwesenheitsprämie im Streikfall nur anteilig zu kürzen sein soll (so Däubler/Colneric, aaO). Insoweit ist zwischen monatlich und jährlich fälligen Prämien zu unterscheiden. Mit letzteren kann neben der tatsächlichen Arbeitsleistung auch die Betriebstreue honoriert werden. Bei monatlich zu zahlenden Prämien ist das hingegen nicht anzunehmen, schon weil die Kündigungsfristen meist länger als einen Monat dauern.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, K.H. Janzen, Wisskirchen
Fundstellen
Haufe-Index 437197 |
BAGE, 213 |
BB 1995, 2376 |
BB 1996, 1275 |
BB 1996, 436 |
NJW 1996, 1844 |
JR 1996, 440 |
NZA 1996, 389 |
AP, 0 |