1 Leitsatz
Eine 70 cm hohe Gabionenwand, verkleidet mit einer 1,80 m hohen Sichtschutzwand aus Holz, stellt in der Regel keinen unbilligen Nachteil im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG dar.
2 Normenkette
§ 20 Abs. 1, Abs. 4 WEG
3 Das Problem
Ein Wohnungseigentümer errichtet auf der einem Sondernutzungsrecht unterliegenden Terrasse eine über die gesamte Frontbreite (ca. 6,60 m) verlaufende Gabionenmauer. Die Mauer weist entlang des Zugangs zur Eingangstür (ca. 3,25 m) eine Sichtschutzwand aus Holz mit einer gestuften Höhe von zunächst 1,33 m und sodann von 1,80 m auf. Die Wohnungseigentümer gestatten nachträglich die Errichtung der Mauer nach § 20 Abs. 1 WEG. Dagegen geht Wohnungseigentümer K vor.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Der Beschluss entspreche einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Die bauliche Veränderung gestalte die Wohnungseigentumsanlage nicht grundlegend um. Für die Frage, wann eine grundlegende Umgestaltung anzunehmen sei, sei die Gestaltung der Wohnungseigentumsanlage vor und nach der im Streit stehenden baulichen Veränderung objektiv zu vergleichen ("objektiver Vorher-Nachher-Vergleich"). Bezugspunkt sei die Wohnungseigentumsanlage als Ganzes. Entscheidend sei, ob der Eingriff in die äußere Gestalt der Wohnungseigentumsanlage so krass sei, dass er das Gesicht bzw. das charakteristische Aussehen der Wohnungseigentumsanlage verändere. So liege es nicht! K werde durch die bauliche Veränderung auch nicht unbillig benachteiligt. Voraussetzung für die Annahme einer unbilligen Benachteiligung sei, dass einem Betroffenen Nachteile zugemutet würden, die bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den bei der baulichen Veränderung verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer nicht abverlangt werden dürften. Zudem müsse die bauliche Veränderung zu einer treuwidrigen Ungleichbehandlung führen, indem Nachteile einem oder mehreren Wohnungseigentümern in größerem Umfang zugemutet werden würden als den Übrigen. Der Begriff "Benachteiligung" sei erheblich restriktiver auszulegen als eine bloße Beeinträchtigung im Sinne von § 20 Abs. 3 WEG. Auf subjektive Befindlichkeiten komme es nicht an. K beziehe sich nur auf eine optische Beeinträchtigung. Insoweit liege kein "Sonderopfer" vor, da Änderungen des optischen Gesamteindrucks alle Wohnungseigentümer in gleichem Maße beeinträchtigten.
5 Hinweis
Problemüberblick
In Fall errichtet ein Wohnungseigentümer auf einer Fläche, die im gemeinschaftlichen Eigentum steht, eine Mauer. Das ist eine bauliche Veränderung. Diese ist rechtswidrig, wenn sie nicht gestattet wird. Im Fall liegt diese Gestattung vor. Zu fragen ist, ob die Gestattung einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht.
Ordnungsmäßigkeit
Die bauliche Veränderung muss § 18 Abs. 2 WEG entsprechen. Daran besteht im Fall kein Zweifel. Außerdem dürfen bauliche Veränderungen, die die Wohnungseigentumsanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, nach § 20 Abs. 4 WEG nicht beschlossen und gestattet werden. Zu beiden Begriffen schildert das LG die herrschende Meinung. Danach liegen beide Alternativen im Fall offensichtlich nicht vor.
Was ist für Verwaltungen besonders wichtig?
Eine Verwaltung muss wissen, dass die Wohnungseigentümer auch eine bereits durchgeführte bauliche Veränderung gestatten können. Die Verwaltung muss ferner wissen, dass ein Wohnungseigentümer, der nach einer Sondernutzungsrechtsvereinbarung eine Fläche allein gebrauchen und nutzen darf, dort ohne Gestattung nicht bauen darf. Die Wohnungseigentümer können etwas Anderes vereinbaren.
6 Entscheidung
LG München I, Urteil v. 22.9.2022, 36 S 613/22 WEG