Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Prüfung der Erfolgsaussichten. Verbot der Verlagerung des Hauptsacheverfahrens in das PKH-Verfahren. schwierige Rechtsfrage
Leitsatz (amtlich)
1. Es existiert ein verfassungsrechtlich begründetes Verbot, das Hauptsacheverfahren in das PKH-Verfahren zu verlagern. Bei der Beurteilung, ob die Erfolgschance des Rechtsschutzbegehrens nur eine entfernte ist, kann dies dazu führen, dass das Gericht nicht jeden Fall bis ins letzte rechtlich "durchprüfen" darf.
2. Die Lösung schwieriger rechtlicher Probleme muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
3. Dass Nachforschungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlich sind, macht eine Rechtsfrage noch nicht zu einer schwierigen, sofern sie vom Bundessozialgericht eindeutig beantwortet wird.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 8. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Zwischen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Bf) und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Bg) ist vor dem Sozialgericht Würzburg ein Klageverfahren in einer Angelegenheit nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) anhängig (Aktenzeichen S 5 VG 5/10). Im hier vorliegenden Verfahren geht es darum, ob die Bf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten verlangen kann.
Die Bf ist in der ehemaligen DDR Opfer eines langjährigen sexuellen Missbrauchs während ihrer Kindheit und Jugend geworden. 1989 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über. Am 29.10.1996 stellte sie beim damaligen Versorgungsamt W. einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG wegen des erlittenen sexuellen Missbrauchs. Mit Bescheid vom 21.01.2008 erkannte der Bg mit Wirkung vom 01.10.1996 die Schädigungsfolge "schizotype Störung mit Borderlinestruktur" an, stellte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. fest und regelte, dass die Höhe der Beschädigtenversorgung im Rahmen eines Härteausgleichs nach § 10a OEG festzustellen sei.
Am 24.07.2008 beantragte die Bf, ihr Beschädigtenversorgung bereits vor Oktober 1996 zu gewähren. Sie trug vor, sie sei ohne ihr Verschulden an einer früheren Antragstellung gehindert gewesen. Das Schadensereignis sei erst im Lauf einer psychotherapeutischen Behandlung im Jahr 1996 an die Oberfläche ihres Bewusstseins gedrungen. Bis dahin habe sie das Geschehen verdrängt und nicht erkennen können. Jedoch habe sie, die Bf, bereits seit ihrer Kindheit an mannigfaltigen körperlichen und psychischen Beschwerden gelitten, deren Ursache sie bis dato nicht habe deuten können.
Mit Bescheid vom 09.03.2010 lehnte der Bg den Antrag auf Beschädigtenversorgung vor Oktober 1996 ab. Zur Begründung führte er aus, die Verlängerung nach § 60 Abs. 1 Satz 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) greife nicht, weil keine unverschuldete Verhinderung vorgelegen habe. Der Verlängerungstatbestand beziehe sich vorwiegend auf traumatische Verletzungen, welche zeitweise die Vornahme von Überlegungen bezüglich der Geltendmachung eines Versorgungsanspruchs verhindern würden. Das wäre beispielsweise bei einem monatelangen Koma der Fall. Der Ausnahmecharakter von § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG gebiete eine enge Handhabung. Eine Erweiterung auf Konstellationen, in denen Betroffene um die Möglichkeit einer Leistungsgewährung bzw. eines Schädigungstatbestandes vor der Antragstellung überhaupt nichts gewusst hätten, wäre, so der Bg weiter, mit dem Antragsprinzip nicht vereinbar und würde die Möglichkeit der Gewährung von Versorgungsleistungen in einem rückwirkenden Ausmaß erweitern, wie es vom Gesetzgeber nicht gewollt sei.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Bg mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2010 als unbegründet zurück. Er vertrat in der Begründung die Ansicht, ein Verschulden liege regelmäßig nicht vor, wenn der Leistungsberechtigte objektiv nicht in der Lage sei, einen Antrag zu stellen. Verzögerungen aufgrund von Unwissenheit über die Opferentschädigung oder das Antragserfordernis seien stets verschuldet, weil sie subjektiver Natur seien. Das Verschulden eines gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreters müsse sich der Betroffene zurechnen lassen; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannte Ausnahmetatbestände seien nicht gegeben.
Am 15.07.2010 hat die Bf Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben mit dem Ziel, Beschädigtenversorgung bereits vor Oktober 1996 zuerkannt zu erhalten. Mit der Klageerhebung hat die Bf beantragt, ihr PKH zu bewilligen und ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von PKH und Anwaltsbeiordnung mit Beschluss vom 08.10.2010 abgelehnt, weil eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des PKH-Rechts nicht bestehe. In Bezug auf die Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG, so das Sozialgericht zur Begründung, fehle es an einem durchgehend unverschuldeten Verhindertsein an der Antragstellung. Das Sozialgericht hat insoweit die Argumentation des Bg weitgehend übernommen. Gleich...