Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung wegen eines Untersuchungstermins. Wiedereinsetzung gem § 2 JVEG. Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes. verfassungskonforme Auslegung. Korrektiv
Leitsatz (amtlich)
1. § 2 Abs. 2 JVEG sieht nur eine Wiedereinsetzung auf Antrag vor.
2. Die 2-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gilt auch für die Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes.
3. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gebietet es, von einer Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes im Rahmen der Darlegungslast eines Antragstellers schon dann auszugehen, wenn ein Antragsteller im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags plausibel einen nach der Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darstellt, der eine Wiedereinsetzung begründet.
4. Die verfassungsrechtlich gebotene weite Auslegung des Begriffs der Glaubhaftmachung im Rahmen der Darlegungslast verlangt ein Korrektiv, um Missbrauch zu vermeiden. Das Gericht hat daher in einem zweiten Schritt die Frage zu prüfen, ob es - möglicherweise erst nach weiterer Sachprüfung - einen Wiedereinsetzungsgrund tatsächlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält.
Tenor
Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Geltendmachung der Entschädigung für die Wahrnehmung des Untersuchungstermins am 05.04.2012 gewährt.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Antragstellerin für die Entschädigung wegen der Wahrnehmung eines Untersuchungstermins am 05.04.2012 Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) zu gewähren ist.
In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) unter dem Aktenzeichen geführten Rechtsstreit wurde die Antragstellerin am 05.04.2012 auf Anordnung des Gerichts durch Frau Dr. B. ärztlich begutachtet.
Mit Entschädigungsantrag vom 16.07.2012, bei Gericht eingegangen am folgenden Tag, hat die Antragstellerin beantragt, sie für die Fahrt zum Begutachtungstermin zu entschädigen. Im Begleitschreiben hat sie darauf hingewiesen, dass sie die Frist nicht habe einhalten können, da sie den Antrag von der Gutachterin erst am 14.07.2012 und damit zu spät erhalten habe; sie bitte dies zu berücksichtigen. Auf dem von der Antragstellerin vorgelegten Antragsformular befindet sich ein von der Sachverständigen unterzeichneter Zettel mit dem Hinweis "im Nachgang".
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Gutachterin am 27.08.2012 mitgeteilt, dass sie den Entschädigungsantrag erst beim Diktat des Gutachtens gefunden und ihn dann an die Antragstellerin gesandt habe. Die Antragstellerin hat auf die Anfrage des Gerichts, ob sie über Nachweise einer erst im Juli erfolgten Zusendung des Entschädigungsantrags verfüge, mit Schreiben vom 23.08.2012, bei Gericht eingegangen am 27.08.2012, den Briefumschlag vorgelegt, mit dem ihr der Entschädigungsantrag von der Sachverständigen übersandt worden war. Der Briefumschlag war am 10.07.2012 abgestempelt worden.
II.
Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung zu gewähren.
Im vorliegenden Fall ist der Entschädigungsantrag zwar zu spät gestellt worden. Es liegen aber die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor.
1. Entschädigungsantrag zu spät gestellt
Die Antragstellerin hat den Entschädigungsanspruch für die Wahrnehmung des Untersuchungstermins am 05.04.2012 erst am 17.07.2012 und damit nach Ablauf der dreimonatigen Ausschlussfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG geltend gemacht.
2. Wiedereinsetzung
Der Antragstellerin ist Wiedereinsetzung zu gewähren, da
- sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht hat,
- sich das Gericht bei weiteren, von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen vom hinreichend wahrscheinlichen Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrunds überzeugt hat,
- sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und
- sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG den Entschädigungsanspruch beziffert hat.
Ausgangspunkt für die Prüfung, ob Wiedereinsetzung zu gewähren ist, ist der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung. Ohne einen derartigen Antrag könnte Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, da § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG - anders als viele andere gesetzliche Regelungen, so z.B. auch § 67 Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - eine Wiedereinsetzung nur auf Antrag, nicht aber von Amts wegen ermöglicht (vgl. Beschluss des Senats vom 01.08.2012, Az.: L 15 SF 156/12).
2.1. Fristgerechte Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes
Ein Wiedereinsetzungsgrund ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG dann gegeben, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG gehindert war. Vom Antragsteller glaubhaft zu machen ist dabei neben dem Vorliegen des Hindernisses auch die Dauer des Hindernisses, damit vom Gericht die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG überprüft werden kann.
Die Antragstell...