Entscheidungsstichwort (Thema)
Eilverfahren. Güter- und Folgenabwägung. Prozentualer Abschlag
Leitsatz (amtlich)
1. Ist eine abschließende Prüfung im Rahmen der für das Eilverfahren zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, ist - sofern ein Zustehen des Hauptsacheanspruchs immerhin möglich ist - eine Güter- und Folgenabwägung (dazu BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 juris Rn 25; vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06; vom 25.02.2009 1 BvR 120/09 juris Rn 11) unter Beachtung der gesetzlichen Regelungen des § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG durchzuführen.
2. In die Abwägung sind stets die Abwägungselemente des prospektiven Hauptsacheerfolgs und der ohne Eilrechtsschutz drohenden Rechtsverletzungen einzustellen. Das Gewicht dieser Abwägungselemente wird nach der Rspr des BVerfG insbesondere von den jeweils feststellbaren Wahrscheinlichkeiten und der Schwere der drohenden (Grund-) Rechtsverletzung bestimmt. Bei entsprechender Schwere der drohenden Grundrechtsverletzung muss (zugunsten des Ast) von dem gesetzlich festgesetzten Wahrscheinlichkeitsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit abgewichen werden; § 86 b SGG verlangt für einen Erfolg des Eilantrags jeweils eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Hauptsacheerfolgs und der Abwendung wesentlicher Nachteile.
3. Bei entsprechender Schwere der ohne Eilrechtschutz drohenden Rechtsverletzung steht auch eine geringe Wahrscheinlichkeit des Zustehens des Hauptsacheanspruchs und eine geringe Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Rechtsverletzungen einem dem Eilantrag stattgebenden Eilbeschluss nicht entgegen.
4. Bei der Abwägung sind insbesondere bestehende Gesundheitsstörungen, bestehende Zweifel an der Erwerbsfähigkeit, eine Weigerung der Leistung durch die Arge, das Fehlen einer Entscheidung nach § 43 SGB I, die Erfolgsaussicht der Hauptsache, eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Bedürftigkeit der Ast und das Fehlen entgegenstehender wichtigerer Interessen öffentlicher oder privater Natur sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen.
5. Zur Verhinderung des Eintritts der Rechtsverletzungen kann die Zuerkennung von 80 % des Regelsatzes geboten und ausreichend sein. Dafür sprechen die in den Grundsicherungsleistungen enthaltenen Ansparbeträge sowie die in § 31 SGB II vorgesehene Kürzungsmöglichkeit.
6. Die Leistungen können für den Zeitraum ab Erlass des Senatsbeschlusses des LSG (und nicht ab Eingang des Eilantrags beim SG) zuerkannt werden.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; GG Art. 19 Abs. 4; ZPO § 938 Abs. 1; SGB I § 43
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 4. Februar 2009 wird aufgehoben.
II. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum ab 01.04.2009 bis zum 30.09.2009 Leistungen der Grundsicherung nach § 41 SGB XII in Höhe von 281.- Euro pro Monat zu gewähren.
III. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe
I.
Im vorliegenden Eilverfahren geht es um die Frage, ob der Antragsgegner (Ag) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, der Antragstellerin (Ast) Sozialhilfeleistungen zu gewähren.
Die 1977 geborene Ast ist Eigentümerin des im Zuständigkeitsbereich des Ag gelegenen Hausgrundstücks A-Straße in A-Stadt (F).
Die Ast führt bzw. führte auch Rechtstreitigkeiten gegen Grundsicherungsträger nach dem SGB II (z.B. mit dem Az. des SG S 13 AS 498/08 ER). Dort war auch die Frage der Erwerbsfähigkeit im Streit.
Am 01.10.2008 hatte die Ast Sozialhilfeleistungen beim Antragsgegner (Ag) beantragt. Dieser hat weitere Ermittlungen zu den Aufenthaltsverhältnissen der Ast durchgeführt.
Am 26.01.2009 hat die Ast beim Sozialgericht Landshut - SG - einstweiligen Rechtsschutz beantragt, gerichtet auf Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung für Erwerbsunfähige. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 4. Februar 2009 abgelehnt. Die Zulässigkeit des Antrags ergebe sich daraus, dass der Ag sich weigere eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Unter Inbezugnahme einer “rechtskräftigen Feststellung„ des Bayer. Landessozialgerichts vom 27.06.2006, L 11 SO 6/06, führt das SG aus, die abschließende Prüfung der Hauptsache habe ergeben, dass der Ast der geltend gemachte Sozialhilfeanspruch gegen den Ag nicht zustehe. Ausschlaggebend sei die fehlende örtliche Zuständigkeit. Die Ast habe ihren tatsächlichen Aufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich des Ag und insbesondere nicht im Anwesen A-Straße in A-Stadt. Die Ast habe bereits im Verfahren S 13 AS 498/08 ER angegeben, dass sie in der Stadt B-Stadt wohne. Sozialhilfeleistungen müssten bei der kreisfreien Stadt B-Stadt beantragt werden. Diese müsste dann prüfen, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit Herrn H. (H.) vorliege, welche Möglichkeiten der Verwertung des Anwesens in F. bestünden und ob die Ast gegenwärtig Einnahmen aus der Vermietung dies Objekts erziele.
Dagegen hat die Ast Beschwerde zum LSG eingelegt und ausgeführt, im Dezember 2003 sei ihr H...