Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. überwiegende Wahrscheinlichkeit. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Kostenübernahme für einen Gebärdensprachkurs
Leitsatz (amtlich)
Besteht die gute Möglichkeit (sog überwiegende Wahrscheinlichkeit) für das Bestehen des Hauptsacheanspruchs - hier Übernahme der Kosten eines Hausgebärdensprachkurses im Wege der Eingliederungshilfe - und droht ohne Eilrechtsschutz ein wesentlicher Nachteil, liegen die (einfachgesetzlichen) Voraussetzungen des § 86b Abs 2 SGG vor, so dass Eilrechtsschutz zu gewähren ist. Eine Güter- und Folgenabwägung muss dann nicht mehr durchgeführt werden.
Tenor
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. November 2018 wird aufgehoben.
II. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses im Umfang von vier Stunden wöchentlich zu höchstens 50,00 Euro je Stunde für die Zeit ab 01.02.2019 bis längstens zur Bekanntgabe der erstinstanzlichen Hauptsacheentscheidung gegenüber dem Antragsteller zu übernehmen.
III. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Im vorliegenden Eilverfahren - Beschwerdeverfahren - geht es um die Frage, ob der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, die Kosten des Antragstellers für das Erlernen der Deutschen Gebärdensprache (DGS) im Rahmen eines Hausgebärdensprachkurses zu übernehmen.
Der 2015 geborene Antragsteller ist von Geburt an beidseitig hörgemindert. Wegen der diagnostizierten sensorineuralen Schwerhörigkeit beidseits mit Sprachentwicklungsstörungen sind ihm ein Grad der Behinderung von 80 und die Merkzeichen G, B und RF zuerkannt (Bescheid des Zentrums Bayern für Familie und Soziales vom 09.05.2018).
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller für den Zeitraum 15.01.2016 bis 14.01.2019 Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von interdisziplinärer Frühförderung als Komplexleistung im Umfang von 72 psychologischen/heilpädagogischen Behandlungseinheiten in den Räumen der interdisziplinären Frühförderstelle am Zentrum für Hörgeschädigte und durch den mobilen Frühförderdienst (Bescheide vom 01.02.2016, 20.01.2017 und 18.01.2018). Darüber hinaus erhält der Antragsteller logopädische Therapie in Kostenträgerschaft der zuständigen Krankenkasse.
Mit Bescheid vom 12.10.2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe im Umfang der Regelleistungen in der Kindertageseinrichtung für den Zeitraum 15.09.2017 bis 31.08.2019. Der Einrichtung werde eine Erhöhung der Personalausstattung finanziert. Hierbei handele es sich um mindestens zwei Betreuungsstunden pro Wochen. Darüber hinaus müsse die Einrichtung einen Fachdienst (z.B.: Heilpädagogen) im Umfang von mindestens 50 Stunden jährlich für die heilpädagogische Förderung des Antragstellers bereitstellen.
Mit Schreiben vom 25.10.2017 beantragte der Antragsteller einen Hausgebärdensprachkurs als persönliches Budget für vier Stunden pro Woche zu jeweils 50,00 Euro bis zum Erlernen einer guten Sprachkompetenz. Der Antragsteller verstehe fast keine gesprochene Sprache. Eine Kommunikation sei nur über die DGS möglich. Der Antragsteller brauche eine professionelle Unterstützung, da er gerne altersentsprechend kommunizieren würde und einen starken Wissensdrang habe, den seine Eltern nicht mehr befriedigen können.
Mit Bescheid vom 08.01.2018 (Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 29.03.2018) lehnte der Antragsgegner nach entsprechender Anhörung den Antrag auf Übernahme der Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs ab. Der Antragsteller habe dem Grunde nach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB X. Der bestehende Eingliederungsbedarf sei jedoch bereits abgedeckt. Ein darüberhinausgehender Bedarf nicht gegeben. Neben der Eingliederungshilfe in der Kindertagesstätte und der Frühförderung am Zentrum für Hörgeschädigte könne im Therapiebereich des Cochlea-Implantat-Centrums C. an der Universitätsklinik in E-Stadt weitere medizinische Förderung in Anspruch genommen werden.
Dagegen erhob der Antragsteller am 03.05.2018 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG).
Am 09.10.2018 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellte und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der alleinige Erwerb der Lautsprache für die Entwicklung des Antragstellers nicht ausreichend sei, wissenschaftliche Studien einen bilingualen Spracherwerb bezüglich Lautsprache und deutsche Gebärdensprache im Hinblick auf eine umfassende kindgerechte Förderung für notwendig erachten würden und es nicht absehbar sei, ob der Antragsteller durch die Cochlea-Implantat (CI) - Versorgung später gesichert die Lautsprache vollständig erlernen könne, zumal diesbezüglich gesicherte fachliche Erkenntnisse erst nach einer Therapiezeit von drei Jahren erlangt werden könnten.
Mit Beschluss v...