Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Anforderungen an eine auflösenden Bedingung bei Bewilligung einer Verletztenrente

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine auflösende Bedingung muss hinreichend konkret den Wegfall der Leistung bei Eintritt eines genau bezeichneten zukünftigen Ereignisses regeln. Dabei muss auch das Ereignis hinreichend konkret bestimmt sein, damit erkennbar ist, von welchen Umständen die Geltung der Hauptregelung abhängt.

2. Die Mitteilung im Rentenbescheid, dass Anspruch auf Rente nur besteht, solange die Erwerbsfähigkeit wegen eines anderen Versicherungsfalls um mindestens 10 v.H. gemindert, enthält keine hinreichend bestimmte auflösende Bedingung.

 

Normenkette

SGB X §§ 32-33, 56 Abs. 1 S. 2, § 48 Abs. 1, § 24; SGB VII § 56 Abs. 1 Sätze 1-3, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2, § 11; SGG § 54 Abs. 4, § 128 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 08.02.2011 und der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2009 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente für den Arbeitsunfall vom 04.03.1975 nach einer MdE von 10 v. H. über den 31.07.2011 hinaus zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren unter dem Az. L 2 U 100/11 darüber, ob der Kläger aufgrund seines Arbeitsunfalls vom 04.03.1975 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. bzw. Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. über den 31.07.2011 hinaus hat.

Am 04.03.1975 stürzte der 1946 geborene Kläger gegen 17:30 Uhr bei der Arbeit als abhängig beschäftigter Montagefacharbeiter aus einigen Metern Höhe zu Boden. Die Höhe wurde in der Unfallanzeige des Bauunternehmens vom 07.03.1975 mit ca. 3 m und vom Durchgangsarzt (D-Arzt) im Bericht vom 11.03.1975 mit ca. 4 m Höhe angegeben. Im Berufungsverfahren trug der Kläger mit Schreiben vom 28.05.2016 vor, er sei nicht von einer Leiter, sondern von einer am Kran hängenden Wandplatte 6 m tief auf den Betonboden gefallen, mit sehr heftigem Aufprall und starken Schmerzen.

Die am Unfalltag behandelnden Ärzte des Kreiskrankenhauses (KKH) E-Stadt stellten laut D-Arztbericht von Dr. D. / Dr. S. vom 11.03.1975 nach Durchsicht von Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule (LWS), einer Beckenübersicht, der linken Hüfte und des linken Handgelenks eine Längsfraktur im distalen Radiusbereich ohne Dislokation fest, aber keine Brüche von Lendenwirbelkörpern (LWK) bei Rechts-Dreh-Skoliose der LWS. Als Beschwerden bestanden bei Aufnahme Schmerzen im linken Handgelenk und in der Glutealmuskulatur links. Die LWS-Beweglichkeit war frei, ohne Klopf- oder Stauchungsschmerz, die Beweglichkeit in beiden Hüften war möglich, die Reflexe waren normal und die Beweglichkeit sowie die Sensibilität an den Beinen war uneingeschränkt. Der Handgelenksbruch wurde mit Gipsverband versorgt und der Kläger stationär aufgenommen bis 10.03.1975 (vgl. Entlassungsbericht vom 13.03.1975).

Am 19.06.1980 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall mit offener Unterkieferquerfraktur und Verlust bzw. Verletzungen von Zähnen. Es erfolgten u.a. Behandlungen im KKH B-Stadt. In einem Zwischenbericht vom 22.03.1982 führte der Chefarzt der dortigen chirurgischen Abteilung Dr. P. aus, dass auf den vom Kläger mitgebrachten Originalaufnahmen der LWS des KKH E-Stadt vom 04.03.1975 eine Kompressionsfraktur des 1. LWK mit Absprengung eines 10 x 8 mm großen vorderen unteren Kantendreiecks erkennbar sei, entgegen dem Befund des D-Arztberichts von 1975. Auch eine LWS-Aufnahme vom 18.11.1980 durch Dr. F., KKH L-Stadt, würde die Kompressionsfraktur des 1. LWK zeigen, die unter Höhenminderung der vorderen Kante von etwa 1/5 knöchern konsolidiert sei. Rezidivierende Schmerzen im LWS-Bereich seien sicherlich auf Folgen dieses Wirbelbruchs zurückzuführen.

Daraufhin stellte sich der Kläger am 21.04.1982 erneut in der chirurgischen Abteilung des KKH E-Stadt vor und klagte über Beschwerden, die von der Nackenregion bis zur Zehenspitze rechts ausstrahlen würden. Der damalige Chefarzt der dortigen chirurgischen Abteilung Dr. K. nannte in seinem Nachschaubericht unter Diagnosen einen dringenden Verdacht auf minimalen Vorderkantenabriss des 1. LWK, folgenlos verheilt, eine unfallunabhängige Chondropathie patellae rechts bei Patella alta und "dringenden Verdacht auf ischialgieforme Beschwerden (Bandscheibenprolaps?, unfallunabhängig". Im klinischen Befund stellten die Ärzte einen Druck- und Klopfschmerz über den Dornfortsätzen der Halswirbelsäule (HWS) und LWS fest. Weiter heißt es:

"Nach Durchsicht der Röntgenaufnahmen, auch aus dem Jahr 1975, kann ich eine Verletzung des 1. bis 3. LWK nicht bestätigen, lediglich einen minimalen Vorderkantenabriß am 1. LWK kann vermutet werden, zumal die Vorderkante des 1. LWK gegenüber den Vergleichswirbeln um ca. 3 mm höhenvermind...

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