Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit als Physiotherapeut in einer Physiotherapiepraxis auf Grundlage eines freien Mitarbeitervertrags
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Eingliederung auf Grundlage freier Mitarbeiterverträge tätiger Physiotherapeuten in die Organisationsstruktur gemäß § 125 SGB V zur Leistungserbringung im System der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassener Physiotherapiepraxen.
2. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach den regulatorischen Rahmenbedingungen und einer dadurch bedingten Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur einer stationären Einrichtung bei der Abgrenzung selbständiger Tätigkeiten von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen maßgebliche Bedeutung zukommt, ist auch für die Beurteilung von Tätigkeiten in ambulanten Einrichtungen (hier: Physiotherapiepraxis) maßgeblich.
3. Vgl BSG vom 7.6.2019 - B 12 R 6/18 R = BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44; BSG vom 4.6.2019 - B 12 R 12/18 R; BSG vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 29.
Tenor
I. Auf die Berufungen der Beklagten werden die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Bayreuth vom 21. Mai 2019 und vom 28. Mai 2019 aufgehoben.
II. Die Klagen gegen die Bescheide der Beklagten vom 29.12.2017 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.04.2018 werden abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in der Zeit von 03.04.2017 bis 30.06.2018 in ihrer Tätigkeit für die Beigeladenen zu 1) und 2) als Physiotherapeutin versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung war.
Die 1988 geborene Klägerin ist ausgebildete Physiotherapeutin. Sie besaß im streitigen Zeitraum keine Zulassung zur Leistungserbringung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen. Bis 31.03.2017 übte sie ihren Beruf als Vollzeitangestellte der Klinik H. aus, daneben war sie ab November 2012 auf geringfügiger Basis auch in der Praxis ihres Vaters, des Beigeladenen zu 1), tätig. Nachdem sie das Arbeitsverhältnis mit der Klinik H. zum 31.3.2017 gekündigt hatte, schloss sie jeweils am 01.04.2017 mit den Beigeladenen zu 1) und 2) (im Weiteren: Beigeladene) Verträge über eine freie Tätigkeit zur Erbringung sämtlicher physiotherapeutischer Maßnahmen in den zur Leistungsabrechnung im System der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Physiotherapiepraxen der Beigeladenen. Entsprechend der vertraglichen Vereinbarung nahm die Klägerin ihre Tätigkeit für die Beigeladenen jeweils zum 03.04.2017 auf.
Bereits am 30.03.2017 hatte die Klägerin Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status ihrer Tätigkeit gestellt. Die jeweils übermittelten gleichlautenden Verträge mit den Beigeladenen über eine "freie Mitarbeit" enthielten unter anderem Regelungen, wonach die Klägerin in ihrer Tätigkeit keinerlei Weisungen des Auftraggebers unterlag, Freiheit bei der Gestaltung der Tätigkeit hinsichtlich Zeit, Ort, Art und Dauer bestand und sie das Recht hatte, Aufträge abzulehnen. Bei notwendigen Abstimmung mit dem Auftraggeber waren diese bei der Arbeitsplanung zu berücksichtigen. Sofern Arbeitsaufträge fachlich und zeitlich gebunden waren, waren diese Vorgaben einzuhalten (jeweils § 2 der Verträge). Die vereinbarten Leistungen waren von der Klägerin grundsätzlich persönlich zu erbringen, eine Weitergabe an Dritte war nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Auftraggebers möglich. Die Ausübung der Tätigkeit sollte in den eigenen Räumen des freien Mitarbeiters erfolgen, sofern Absprachen mit dem Auftraggeber notwendig waren, stellte dieser entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung (§ 3). Neben der gegenseitigen Pflicht, Änderungen bei der Auftragsrealisierung unverzüglich mitzuteilen, verpflichtete sich die Klägerin zusätzlich, an notwendigen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen, Verschwiegenheit über alle im Rahmen der Auftragsbearbeitung bekannt gewordenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren, den Auftraggeber von allen Haftungen freizustellen und verursachte Mängel kostenlos nachzuarbeiten. Eine Tätigkeit für weitere Auftraggeber war nur möglich, soweit es sich nicht um Mitbewerber des Auftraggebers handelte, respektive soweit dieser ausdrücklich schriftlich zugestimmt hatte (§§ 4, 5, 6, 7,10). Es wurde eine monatliche Abrechnung der Leistungen vereinbart, ohne dass in den Verträgen selbst die Höhe der Vergütung geregelt war. Zudem verpflichtete sich die Klägerin, Statusfeststellungsverfahren einzuleiten und im Falle der Feststellung von Sozialversicherungspflicht dem Eintritt der Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Entscheidung zuzustimmen.
Im Rahmen der von der Beklagten durchgeführten Anhörungen gaben die Beteiligten übereinstimmend an, dass die Klägerin jeweils in den Praxen der Beigeladenen tätig wurde und dort neben Büro- und Reinigungskr...