Leitsatz (amtlich)

1. Die Zuwendung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung durch Vermächtnis ist unwirksam, wenn der Erblasser ohne Angabe eines weiteren Zwecks der Zuwendung die Bestimmung der Höhe des Geldbetrages dem Erben überlassen hat und auch dem Zweck der Einrichtung eine sachliche Begrenzung der Höhe der Zuwendung nicht entnommen werden kann.

2. Zur Frage, ob in einem solchen Fall auch die in demselben Testament enthalten Erbeinsetzung unwirksam ist.

3. Zur Verpflichtung der Tatsachengerichte, zur Ermittlung des Erblasserwillens den Notar zu hören, der das Testament beurkundet hat.

 

Normenkette

BGB § 2065 Abs. 2, §§ 2085, 2156, 2358 Abs. 1; FGG § 12

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 15.07.1998; Aktenzeichen 4 T 73/98)

AG Kaufbeuren (Aktenzeichen VI 369/97)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 15. Juli 1998 aufgehoben. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die im Alter von 92 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet und kinderlos. Sie stand seit September 1993 unter Betreuung. Zur Betreuerin war ihre Nichte, die Beteiligte zu 3, bestellt, die die Erblasserin bis zu deren Tod auch versorgte. Der Nachlaß besteht aus Geldvermögen und Grundstücken im Wert von zusammen mehr als 900.000 DM.

Die Erblasserin hat am 21.4.1988 ein notarielles Testament errichtet, in dem sie den Beteiligten zu 1, einen Tierschutzverein, und die Beteiligte zu 2, eine Behindertenwerkstätte, zu Erben je zur Hälfte eingesetzt und Testamentsvollstreckung angeordnet hat. Nachdem die Erblasserin am 10.6.1996 von der Amtsärztin auf ihre Testierfähigkeit untersucht worden war, kam es am 11.7.1996 zur Beurkundung eines weiteren notariellen Testaments. Darin hat die Erblasserin das frühere Testament in vollem Umfang widerrufen, die Beteiligte zu 3 zu ihrer Alleinerbin eingesetzt und „im Wege von Vermächtnissen” bestimmt, daß der Beteiligte zu 1 und die Beteiligte zu 2 „Geldbeträge erhalten, deren Höhe Frau … (Beteiligte zu 3) bestimmt.”

Der Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, daß das Vermächtnis in dem Testament vom 11.7.1996 mangels Bestimmtheit unwirksam sei. Hiervon würden auch die übrigen Verfügungen in diesem Testament erfaßt. Maßgebend sei daher das Testament vom 21.4.1988. Er hat deshalb einen Erbschein beantragt, in dem er und die Beteiligte zu 2 als Erben je zur Hälfte ausgewiesen sind. Das Nachlaßgericht hat diesen Antrag abgelehnt. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht diesen Beschluß aufgehoben und das Nachlaßgericht angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3, die außerdem nunmehr beim Nachlaßgericht einen Erbschein als Alleinerbin beantragt hat.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist begründet.

1. Das Landgericht hat angenommen, die Erbfolge richte sich nach der Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 in dem Testament vom 21.4.1988. Zu diesem Ergebnis ist es gekommen, weil es sowohl den Widerruf dieser Verfügung wie auch die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 in dem späteren Testament vom 11.7.1996 für unwirksam erachtet hat. Dies hat es mit der Unwirksamkeit der Verfügungen zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 in dem Testament vom 11.7.1996 (dort Nr. 4) begründet. Es sei anzunehmen, daß die Erblasserin bei Kenntnis der Nichtigkeit dieser Verfügungen auch die übrigen Verfügungen in diesem Testament nicht getroffen hätte. Daher sei das ganze Testament unwirksam.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG i.V.m. § 550 ZPO) nicht stand. Das Landgericht hat bei der Ermittlung des Willens der Erblasserin zur gegenseitigen Abhängigkeit der in dem Testament vom 11.7.1996 getroffenen Verfügungen wesentliche Umstände nicht beachtet und den maßgebenden Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Deshalb kann die Entscheidung, auch wenn der Senat die Ermittlung des Erblasserwillens durch das Landgericht als tatsächliche Feststellung nur in beschränktem Umfang überprüfen kann (vgl. Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 27 Rn. 42 und 48 m.w.N.), keinen Bestand haben.

a) Ist eine von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen unwirksam, so bleiben, im Gegensatz zur allgemeinen Auslegungsregel des § 139 BGB, die übrigen Verfügungen in diesem Testament grundsätzlich aufrechterhalten (§ 2085 BGB). Ähnlich wie § 2084 BGB verfolgt § 2085 BGB den Zweck, dem erklärten Willen des Erblassers nach Möglichkeit zum Erfolg zu verhelfen. Es handelt sich um eine Auslegungsregel, die für den Regelfall von der Selbständigkeit der einzelnen in einem Testament getroffenen Verfügungen ausgeht. Sie gründet sich auf die Annahme, daß es typischerweise dem Willen des Erblassers eher entspricht, wenn sein Testament wenigstens teilweise zur Geltung gelangt. Die Vorschrift gehört, wie §§ 2084, 2086 BGB, zu den Vorkehrungen, die das Ge...

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