Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer letztwilligen Verfügung
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwar bezieht sich die Erbeinsetzung regelmäßig auf das gesamte Vermögen, das der Erblasser bei seinem Tod hinterläßt. Das gilt aber dann nicht, wenn sich ein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß der Erblasser zu der testamentarischen Zuwendung durch die Vermögenslage im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bestimmt worden ist und eine andere Verfügung getroffen hätte, wenn er den späteren Vermögenserwerb vorausschauend bedacht haben würde.
2. Zur Frage der ergänzenden Testamentsauslegung, wenn Erblasser nach Errichtung des Testaments zu DDR-Zeiten noch Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland angesammelt haben.
Normenkette
BGB §§ 2087-2088, 2353, 2357, 2369
Verfahrensgang
LG Kempten (Beschluss vom 21.03.1988; Aktenzeichen 4 T 2209/87) |
AG Lindau (Bodensee) (Aktenzeichen VI 381/86) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 21. März 1988 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 21. März 1988 wird in Nr. 3 dahin abgeändert, daß der Zusatz „des in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Nachlasses” entfällt.
III. Die Beteiligte zu 2 hat die der Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 1.575 DM festgesetzt.
V. Der Beteiligten zu 2 wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde Prozeßkostenhilfe nicht bewilligt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die Kinder der Erblasserin aus ihrer einzigen Ehe. Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten Ende Juni 1979 aus der DDR kommend ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland begründet, wo die Beteiligte zu 1 bereits wohnte. Die Beteiligte zu 2 blieb in der DDR. Bei ihr ließen sie Bargeld, ein Sparbuch sowie eine Stahlkassette mit Inhalt zurück.
Am 28.9.1979 errichtete die Erblasserin in der Bundesrepublik gemeinsam mit ihrem Ehemann ein gemeinschaftliches Testament, welches vom Ehemann der Erblasserin eigenhändig geschrieben sowie von ihm und der Erblasserin unterzeichnet wurde. Es lautet wie folgt:
28.9.79.
Testament.
Zu unserer Erbin setzen wir unsere Tochter … (= Bet. zu 2) ein. Die in ihrem Besitz befindliche Stahlkassette mit Inhalt soll unserer Tochter … (= Bet. zu 2) alleiniges Eigentum sein.
Dieses Testament befand sich seit Oktober 1979 im Besitz der Beteiligten zu 2.
Im Jahr 1984 ist der Ehemann der Erblasserin verstorben. Er wurde gemäß Erbschein des Nachlaßgerichts Lindau (Bodensee) kraft Gesetzes beerbt von der Erblasserin zur Hälfte und von den Beteiligten zu 1 und 2 zu je einem Viertel.
Die Erblasserin verstarb … 1986. Ihr Nachlaß besteht im wesentlichen aus Bankguthaben und Spareinlagen in Höhe von etwa 15.000 DM; nach Abzug der Todesfallkosten verbleiben rund 6.300 DM.
Durch Beschluß vom 29.9.1986 hat das Nachlaßgericht auf Antrag der Beteiligten zu 1, dem sich die Beteiligte zu 2 zunächst angeschlossen hatte, die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins bewilligt, demzufolge die Erblasserin von den Beteiligten zu 1 und 2 kraft Gesetzes je zur Hälfte beerbt worden ist. Eine Ausfertigung war an die Beteiligte zu 1 hinausgegeben worden.
Mit Schreiben vom 11.6.1987 hat die Beteiligte zu 2 das gemeinschaftliche Testament vom 28.9.1979 beim Nachlaßgericht vorgelegt. Sie hat beantragt, den Erbschein einzuziehen und ihr einen Erbschein als Alleinerbin auf Grund des Testaments zu erteilen.
Das Nachlaßgericht hat das gemeinschaftliche Testament am 7.7.1987 eröffnet. Die Beteiligte zu 1 hat vorgetragen, das Schriftstück vom 28.9.1979 sei nicht als Testament anzusehen. Es sei nur zum Schein errichtet worden, um zu verhindern, daß das bei der Beteiligten zu 2 zurückgelassene Vermögen der Eltern in die Vermögensauseinandersetzung im Rahmen des damals anhängigen Ehescheidungsverfahrens der Beteiligten zu 2 einbezogen werde. Vorsorglich hat sie mit Schriftsatz vom 7.7.1987, eingegangen beim Nachlaßgericht am 8.7.1987, die Anfechtung des Testaments erklärt.
Durch Beschluß vom 8.7.1987 hat das Nachlaßgericht die Einziehung des Erbscheins angeordnet. Die Beteiligte zu 1 hat die ihr erteilte Ausfertigung an das Nachlaßgericht zurückgegeben. Durch Beschluß vom 7.10.1987 hat das Nachlaßgericht angekündigt, einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, daß die Beteiligte zu 2 Alleinerbin auf Grund des Testaments vom 28.9.1979 geworden ist, falls nicht binnen zwei Wochen Beschwerde eingelegt werde. Gegen diesen Beschluß hat die Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt. Die Beteiligte zu 2 ist der Beschwerde entgegengetreten.
Durch Beschluß vom 21.3.1988 hat das Landgericht den Vorbescheid aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, der Beteiligten zu 1 einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, „daß sie und die Beteiligte zu 2 gesetzliche Erbinnen zu je 1/2 des in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Nachlasses der Erblasserin sind”. Gegen diesen Beschluß richtet si...