Leitsatz (amtlich)

1. Zur Beurteilung der Frage der Testierfähigkeit bei paranoiden Wahnvorstellungen, aufgrund derer der Erblasser davon überzeugt ist, seine Ehefrau und gemeinsame Söhne wollten ihn töten, und diese von der Erbfolge ausgeschlossen hat (Fortführung von BayObLGZ 1999, 205).

2. Zum Beweiswert der Feststellung des Urkundsnotars, er habe sich von der Testierfähigkeit des Erblassers überzeugt.

 

Verfahrensgang

LG Memmingen (Beschluss vom 13.04.2004; Aktenzeichen 4 T 705/03)

AG Günzburg (Beschluss vom 17.03.2003; Aktenzeichen VI 763/01)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) werden der Beschluss des LG Memmingen vom 13.4.2004 und der Beschluss des AG Günzburg vom 17.3.2003 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das AG Günzburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Der Erblasser ist im Jahr 2001 im Alter von 90 Jahren verstorben. Er war seit 1939 mit der Beteiligten zu 1) verheiratet. Aus der Ehe stammen drei Söhne, die Beteiligten zu 2) bis 4). Die Beteiligte zu 5) ist eine örtliche Kirchengemeinde.

Mit notariellem Testament vom 28.6.1944 haben sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben eingesetzt.

Am 14.8.1997 hat der Erblasser ein notarielles Testament errichtet, in dem er den Sohn des Beteiligten zu 4), ersatzweise den Beteiligten zu 4) und dessen Abkömmlinge, als Alleinerben eingesetzt hat. Weiter hat er bestimmt:

"Meine Ehefrau und meine Söhne - (= Beteiligte zu 2) und 3)) schließe ich von jeglicher Erbfolge aus, soweit diese als Ersatzerben irgendwie zum Zuge kommen sollten."

Mit notarieller Urkunde vom 26.3.1998 hat der Erblasser die im gemeinschaftlichen Testament vom 28.6.1944 enthaltenen Verfügungen widerrufen; die Urkunde wurde der Beteiligten zu 1) am 3.4.1998 zugestellt.

Ebenfalls am 26.3.1998 hat der Erblasser ein notarielles Testament errichtet, mit dem er die letztwillige Verfügung vom 14.8.1997 aufgehoben und die Beteiligte zu 5, eine Kirchengemeinde, zur Alleinerbin eingesetzt hat. Weiter hat er bestimmt:

"Meine Ehefrau und meine Söhne - (= Beteiligte zu 2) und 3)) schließe ich von jeglicher Erbfolge aus, soweit diese als Ersatzerben irgendwie zum Zuge kommen sollten."

Der Erblasser befand sich 1993 und 1996 wegen Verfolgungsvorstellungen in stationärer psychiatrischer Behandlung. Durch Beschluss des VormG vom 2.3.1999 und 20.7.1999 wurden nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zwei Betreuer zur Vertretung des prozessunfähigen Erblassers in mehreren Rechtsstreiten bestellt. Der psychiatrische Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 14.2.1999 festgestellt, der Erblasser leide an einem organischen Psychosyndrom vom Ausprägungsgrad einer organischen Wesensänderung; Erinnerungs- und Merkfähigkeit, Kritik- und Urteilsfähigkeit und die Realitätskontrolle seien erheblich beeinträchtigt, er sei nicht in der Lage, einen Prozess zu führen. Die Betreuung wurde nach Beendigung der gerichtlichen Verfahren mit Beschluss des VormG vom 5.1.2001 aufgehoben.

Die Beteiligte zu 5) hat, gestützt auf das Testament vom 26.3.1998, mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin beantragt. Die Beteiligten zu 1) bis 4 sind dem Antrag entgegengetreten. Sie halten die letztwilligen Verfügungen des Erblassers von 1997 und 1998 für unwirksam, weil er nicht testierfähig gewesen sei. Der Erblasser habe an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten und seine Familienangehörigen beschuldigt, sie wollten ihn mit Stromschlägen oder Gift umbringen. Diese Wahnvorstellungen habe er auch in seinen Tagebüchern festgehalten. Das AG hat ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt. Der Sachverständige hat unter Bezugnahme auf die zu Lebzeiten des Erblassers zur Frage von dessen Prozessfähigkeit durchgeführte Untersuchung festgestellt, dass für die Zeitpunkte der Testamentserrichtungen ein altersbedingter Abbau der geistigen und seelischen Leistungsfähigkeit sowie ein organisches Psychosyndrom vorgelegen habe mit teilweise paranoider, wahnhafter Ausgestaltung und Störung der Affekt- und Impulssteuerung, unter dem es zu den berichteten Phänomenen wie den Beschuldigungen von Angehörigen und Bekannten, aber auch zu Fehlhandlungen und Konfabulationen gekommen sei. Es ließen sich jedoch keine Daten und Fakten erheben, die belegen könnten, dass der Erblasser in seiner Fähigkeit, ein Testament zu errichten, seinen Willen zu erklären, die Folgen seiner Anordnungen auf die Betroffenen abzuschätzen, soweit beeinträchtigt gewesen sei, dass er als testierunfähig beurteilt werden müsse. Insbesondere lasse sich nicht ausschließen, dass zu den Ausfertigungszeitpunkten der Testamente eine Phase besserer geistiger Leistungsfähigkeit im Sinne eines luziden Intervalls vorgelegen habe.

Das AG hat mit Beschluss vom 17.3.2003 die Erteilung eines Erbscheins angekündigt, der die Beteiligte zu 5) als Alleinerbin ausweist. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1), 2) und 4) hat das LG ein weiteres Gutachte...

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