Entscheidungsstichwort (Thema)

Testament

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Widerruf eines Testaments kann auch dadurch erfolgen, dass der Erblasser in Widerrufsabsicht die Blätter der Testamentsurkunde in gefaltetem Zustand zweimal (längs und quer) tief eingerissen hat.

2. Ist unter den Erbprätendenten die Frage umstritten, ob die Beschädigungen an einer zuletzt im Gewahrsam der Erblasserin befindliche Testamentsurkunde von ihr selbst oder von demjenigen vorgenommen wurden, der die Urkunde im Nachlaß aufgefunden und beim Nachlaßgericht abgeliefert hat, so darf das Beweismaß jedenfalls dann nicht abgesenkt werden, wenn der Abliefernde durch ein älteres Testament begünstigt wird.

 

Normenkette

BGB § 2255

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 03.03.1995; Aktenzeichen 13 T 10899/93)

AG Nürnberg (Aktenzeichen VI 35/93)

 

Tenor

I. Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. März 1995 werden zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben dem Beteiligten zu 4 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Die ledige und kinderlose Erblasserin ist im Jahr 1992 verstorben. Zu ihrem Nachlaß gehören mehrere Grundstücke sowie Wertpapiere und Sparguthaben.

Das Nachlaßgericht hat zwei handschriftliche, von der Erblasserin eigenhändig unterschriebene Testamente eröffnet:

In einem Testament vom 26.3.1975, das sich in einem verschlossenen Briefumschlag mit der Aufschrift „Testament !” befand, hat die Erblasserin den Beteiligten zu 4, einen ihrer Vettern, als Alleinerben eingesetzt.

In einem weiteren Testament vom 1.2.1991 hat die Erblasserin ihr Vermögen auf die Beteiligten zu 1 bis 5 (ihre Vettern und deren Kinder) aufgeteilt. Die Testamentsurkunde besteht aus zwei Blättern (DIN A 4). Diese weisen jeweils längs und quer vom Rand zur Mitte verlaufende deckungsgleiche Einrisse auf. Beim ersten doppelseitig beschriebenen Blatt fehlt die rechte untere Ecke ganz (rd. 1/16 der Fläche des Blattes); die übrigen eingerissenen Ecken sind noch (1 – 2 cm) mit der Urkunde verbunden. Faltet man die übereinandergelegten Seiten im deutlich erkennbaren Falz einmal längs und einmal quer auf das Format DIN A 6 zusammen, so ergeben die insgesamt 16 Einrißstellen das Bild zweier durchgängiger Einrisse: der eine verläuft vom oberen Rand längs bis zur Hälfte, der andere quer über 2/3 des gefalteten Papiers.

Der Beteiligte zu 4 hat am 28.12.1992 beim Nachlaßgericht sowohl den verschlossenen Briefumschlag, in dem sich das Testament vom 26.3.1975 befand, als auch das eingerissene Testament vom 1.2.1991 vorgelegt. Er behauptet, er habe letzteres nach dem Tod der Erblasserin im bereits eingerissenen Zustand in ihrer Handtasche vorgefunden. Den verschlossenen Briefumschlag mit der Aufschrift „Testament!” habe ihm die Erblasserin am 15.12.1992, einen Tag vor ihrem letzten stationären Krankenhausaufenthalt, zusammen mit den Haus- und Safeschlüsseln übergeben. Über seine ihm bis dahin unbekannte Einsetzung zum Alleinerben habe ihn die Erblasserin bei einem späteren Krankenhausbesuch informiert.

Gestützt auf das Testament vom 26.3.1975 hat der Beteiligte zu 4) beim Nachlaßgericht einen Alleinerbschein beantragt. Er behauptet, die Erblasserin selbst habe die Testamentsurkunde vom 1.2.1991 in Aufhebungsabsicht eingerissen.

Die Beteiligten zu 1 bis 3 und 5 sind dem Antrag entgegengetreten; die Beteiligten zu 1 bis 3 haben aufgrund des Testaments vom 1.2.1991 einen Erbschein jeweils als Miterben zu 1/5 beantragt. Sie behaupten, nicht die Erblasserin, sondern der Beteiligte zu 4 habe die Testamentsurkunde eingerissen. Die Erblasserin habe sie in unversehrtem Zustand aus „Sicherheitsgründen” mit in das Krankenhaus genommen und in ihrer Handtasche aufbewahrt. Sie habe keinen Grund gehabt, das Testament vom 1.2.1991 zu widerrufen. Außerdem sei die Erblasserin zuletzt nicht mehr testierfähig gewesen.

Das Nachlaßgericht hat zu der Frage, ob die Einrisse von der Erblasserin selbst oder ohne ihren Willen von einem anderen vorgenommen worden seien, die Beteiligten angehört und Zeugen vernommen. Mit Vorbescheid vom 15.12.1993 hat es einen Erbschein angekündigt, demzufolge die Erblasserin aufgrund des Testaments vom 26.3.1975 von dem Beteiligten zu 4 allein beerbt worden sei. Die Beteiligten zu 1 bis 3 haben Beschwerde eingelegt.

Das Landgericht hat zur Testierfähigkeit der Erblasserin eine gutachtliche Stellungnahme der Chirurgischen Klinik eingeholt, in welcher die Erblasserin am 16.12.1992 aufgenommen worden war und verstorben ist. Mit Beschluß vom 3.3.1995 hat es die Beschwerden zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richten sich die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2. Der Beteiligte zu 4 beantragt, die weiteren Beschwerden zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weiteren Beschwerden sind zulässig, aber nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Erblasserin habe das Testament vom 1.2.1991 dadurch widerrufen, daß sie in der Absicht, es auf...

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