Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsanfechtung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach dem Wortlaut des § 2079 Satz 1 BGB ist das Anfechtungsrecht auch in den Fällen, in denen der Anfechtende erst nach Errichtung der letztwilligen Verfügung pflichtteilsberechtigt geworden ist, nur dann gegeben, wenn der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten übergangen hat. Denn das Gesetz stellt lediglich denjenigen, dessen Pflichtteilsrecht nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung entstanden ist, demjenigen Pflichtteilsberechtigten gleich, den der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung nicht gekannt hat, während die beiden anderen Voraussetzungen der Anfechtung, das Vorhandensein eines Pflichtteilsberechtigten zur Zeit des Erbfalls und dessen Übergehen, hiervon nicht berührt werden.

2. Die Annahme, daß der Erblasser den Bedachten günstiger gestellt hätte, wenn er bei der Testamentserrichtung die Pflichtteilsberechtigung gekannt oder vorhergesehen hätte, ist als allgemeine gesetzliche Vermutung, wie sie § 2079 BGB begründet, nicht gerechtfertigt.

 

Normenkette

BGB § 2079 S. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 01.03.1993; Aktenzeichen 16 T 2262/93)

AG München (Beschluss vom 16.09.1992; Aktenzeichen 67 VI 2314/92)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 werden der Beschluß des Amtsgerichts München vom 16. September 1992 sowie der Beschluß des Landgerichts München I vom 1. März 1993 aufgehoben, soweit darin die Ernennung eines Testamentsvollstreckers angekündigt bzw. diese Ankündigung bestätigt wird. Die Sache wird insoweit an das Amtsgericht München zurückgegeben.

II. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluß des Landgerichts München I vom 1. März 1993 wird zurückgewiesen.

III. Der Beteiligte zu 2 hat der Beteiligten zu 1 die Kosten zu erstatten, die ihr durch seine weitere Beschwerde erwachsen sind.

IV. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird vorläufig auf 7 000 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Erblasserin ist am 1992 verstorben. Sie hatte am 19.12.1991 den ihr schon seit Jahren bekannten Beteiligten zu 2 geheiratet. Die Beteiligte zu 1 ist ihr einziges Kind. Zum Nachlaß gehören Grundstücke und Eigentumswohnungen, eine Geschäftsbeteiligung, Wertpapiere, Bankguthaben und verschiedene wertvolle bewegliche Habe.

In einem notariellen Testament vom 29.6.1990 hat die Erblasserin ihre Tochter zur Alleinerbin eingesetzt, diese aber mit verschiedenen Vermächtnissen und Auflagen beschwert. Insbesondere hat sie durch Vermächtnis eine Stiftung errichtet und dem Beteiligten zu 2 den Nießbrauch an einer Eigentumswohnung, verschiedene Gegenstände, Geld und Versorgungsleistungen zugewandt. Unter II. 4 des Testaments hat die Erblasserin zur Ausführung ihrer Verfügungen Testamentsvollstreckung angeordnet. Einen Testamentsvollstrecker hat sie nicht benannt, sich jedoch ausdrücklich vorbehalten, „durch ein eigenständiges Testament einen Testamentsvollstrecker namentlich zu berufen, sobald ich eine hierfür geeignete Person gefunden habe”.

Zwei Tage vor ihrer Hochzeit, am 17.12.1991, haben die Erblasserin und der Beteiligte zu 2 zu notarieller Urkunde gegenseitig auf ihr gesetzliches Ehegattenpflichtteilsrecht samt Pflichtteilsergänzungsansprüchen verzichtet. Kurz vor ihrem Tod beauftragte die Erblasserin einen Notar mit dem Entwurf eines neuen Testaments, wonach der Beteiligte zu 2 zur Hälfte, dessen Neffe sowie die Beteiligte zu 1 je zu 1/4 als Erben eingesetzt werden sollten. Eine Stiftung war in diesem Testament nicht mehr vorgesehen. Zu Testamentsvollstreckern sollten der Beteiligte zu 2 und dessen Neffe ernannt werden. Zur Beurkundung dieses Testaments kam es nicht mehr.

Mit Schreiben vom 31.3.1992 an die Beteiligte zu 1 hat der Beteiligte zu 2 den Pflichtteilsverzicht vom 17.12.1991 wegen Erklärungsirrtums, hilfsweise wegen Täuschung angefochten. Mit Schreiben vom 7.4.1992 an das Nachlaßgericht hat er ferner das Testament vom 29.6.1990 wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten angefochten. Er ist der Auffassung, daß sein Pflichtteilsverzicht infolge der Anfechtung, aber auch wegen krankheitsbedingter Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Beurkundung des Verzichts unwirksam sei. Als Pflichtteilsberechtigter sei er jedoch auch zur Anfechtung des bereits vor der Eheschließung und damit vor der Entstehung seiner Pflichtteilsberechtigung verfaßten Testaments vom 29.6.1990 berechtigt mit der Folge, daß gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Er hat daher einen Erbschein beantragt, der ihn und die Beteiligte zu 1 als Erben zu je 1/2 ausweisen soll.

Die Beteiligte zu 1 hält beide Anfechtungen für unwirksam und ihre Einsetzung zur Alleinerbin in dem Testament vom 29.6.1990 für wirksam. Hingegen entspreche es nicht dem Willen der Erblasserin, daß das Nachlaßgericht einen Testamentsvollstrecker benenne. Die Anordnung der Testamentsvollstrek-kung sei daher gegenstandslos.

Mit Beschluß vom 16.9.1992 hat das Amtsgericht München angekü...

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